Berlin Beatet Bestes, Folge 29

Wo die wilden Katzen wohnen

Berlin Beatet Bestes. Folge 29. Les Chats Sauvages. Ma p’tite amie est vache (1961).

Mal abgesehen von meiner Freundin sind Comics und Rock’n’Roll meine große Leidenschaft. Leider kommen diese Genres nur selten zusammen, aber dort, wo das der Fall ist, bin ich besonders aufmerksam. So fiel mir auch sofort die Zeichnung auf der Cover-Rückseite dieser EP auf. In der Twist-Zeit Anfang der sechziger Jahre waren die Chats Sauvages eine der bekanntesten französischen Rock’n’Roll-Bands. Was lag näher, als den durch seine Katzen-Cartoons bekannt gewordenen Zeichner Siné für die »wilden Katzen« zeichnen zu lassen. Zur selben Zeit erschienen Sinés Cartoon-Bücher »Alles für die Katze« und »Katzenjammer« auf Deutsch im Schweizer Diogenes-Verlag.
Anfang vorigen Jahres entdeckte ich in Frankreich die Satirezeitung Siné Hebdo. Ich wusste, dass Siné langjähriger Zeichner von Charlie Hebdo war, aber wieso hatte er plötzlich seine eigene Zeitung? Erst zu Hause in Berlin fand ich im Internet den Text »Ne touche pas le Präsidentensohn« aus der Jungle World vom Juli 2008.
Wie andere Zeichner seiner Generation ( André Francois, Chaval, Bosc) war Siné, mit bürgerlichem Namen Maurice Sinet, früh von Saul Steinberg beeinflusst, entwickelte aber später seinen eigenen minimalistischen Stil. 1946 sang er im Alter von 18 Jahren bereits in einer linken Kabarettgruppe anarchistische und antimilitaristische Lieder. Acht Monate seiner einjährigen Militärzeit verbrachte Siné im Gefängnis. In den fünfziger Jahren wurde er während des Algerien-Kriegs zweimal wegen Beleidigung der Armee angeklagt. Als Cartoonist arbeitete er für viele internationale Magazine, aber auch in der Werbung. 1962 gründete er seine erste eigene Zeitung Siné Massacre. 20 Jahre lang arbeitete er für die wichtigste französische Satirezeitung Charlie Hebdo, für die er eine handgeschriebene und gezeichnete satirische Kolumne fertigte.
Selbst mit 79 Jahren hat es Siné dann noch mal geschafft, in Frankreich einen kleinen Skandal zu provozieren. Einen Satz aus seiner Kolumne, in dem Siné über den Sohn des französischen Präsidenten, Jean Sarkozy, schrieb, »er werde es im Leben weit bringen«, bezeichnete ein Radiomoderator als antisemitisch. Es ging um die Heirat des Präsidentensohns mit der jüdischen Millionenerbin Jessica Seaoun-Darty, einer der reichsten Frauen Frankreichs, Erbin des Darty-Konzerns, und die Konversion Jean Sarkozys zum Judentum kurz vor der Eheschließung – aus Sicht des sperrigen Altlinken ein Paradebeispiel für Aufsteigertum. Als der Chefredakteur von Charlie Hebdo Siné aufforderte, sich für seine Bemerkung zu entschuldigen, antwortete dieser, er würde sich noch eher »die Eier abschneiden«. Und wurde prompt entlassen. Aus Protest gründete er seine eigene Zeitung Siné Hebdo.
Trotz seiner Erfahrung als Provokateur stolperte Siné letztlich über ein paar ungenaue Sätze, ausgerechnet in einer Zeitung, die 2006 mit dem Nachdruck der dänischen Mohammed-Cartoons provozierte. Ein 80jähriger Berufsprovokateur wurde von der jüngeren Generation der Berufsprovokateure entsorgt. Hätte Siné sich mal nur an seine Zeichnungen gehalten. Und an die wilden Katzen.