Proteste gegen Abschiebungen in Göttingen

Auf Zwangsfährte

In Göttingen gibt es Widerstand gegen Abschiebungen in das Kosovo. Nach einem Brand in der Ausländerbehörde wurden »Angehörige der linksextremen Szene« als Tatverdächtige präsentiert.

»Feuer und Flamme für die Rote Straße« – der Werbespruch, den Göttinger Einzelhändler in Anspielung auf die bewegte Geschichte der Straße in der Göttinger Innenstadt an ihren Schaufenstern kleben haben, bekam vergangene Woche eine ganz neue Bedeutung.

Am vorigen Mittwoch riegelte die Polizei die Straße mit einem Großaufgebot komplett ab, Anwohner bekamen Platzverweise und Nachbarn wurde der Zugang zu ihren Wohnungen verweigert. Anlass war eine Hausdurchsuchung in einem linken Wohnprojekt, um den Verantwortlichen eines vermeintlichen Anschlags in der Teeküche der Ausländerbehörde auf die Spur zu kom­men. Bei einer Verpuffung war dort ein Mitarbeiter ver­letzt worden, der Polizei zufolge soll eine »szenetypischer Brandsatz« explodiert sein. »Fünf Tage danach haben nun angeblich zwei Spezialhunde, so genannte Mantrailer, die Fährte durch Eis und Neuschnee direkt bis zur Türschwelle eines der Häuser der Roten Straße aufgenommen, woraufhin die Polizei das Haus stürm­te«, berichtet Rechtsanwalt Sven Adam der Jungle World.
Im Anschluss wurden vier Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses der Öffentlichkeit als Tatver­dächtige präsentiert. »Die Hunde sollen bei der Durchsuchung vor ihren Zimmern angeschlagen haben. Wie und auf was, bleibt unklar. Die Betroffenen durften zu diesem Zeitpunkt noch nicht da­bei sein«, berichtet Adam weiter. Konkretere Hin­weise oder gar Beweise für deren Tatbeteiligung gebe es nach Polizeiangaben nicht. Damit aber kei­ne Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aktion aufkommen, wird in den Pressemitteilungen stets be­tont, dass das Haus »vornehmlich von An­ge­hö­rigen der linksextremen Szene bewohnt« werde.
Die Razzia wird von linken Gruppen auch als Re­aktion auf die Geschehnisse in den vergangenen Wochen angesehen, in denen es vielfältige Proteste gegen die Abschiebungen von Roma in das Kosovo gegeben hat. Es fanden mehrere Demonstrationen statt, Anfang Januar besetzten 20 Personen kurzzeitig die Ausländerbehörde, und vor zwei Wochen blockierten spontan über 100 Menschen die Zufahrtswege des Landgerichts, um die Abschiebung eines zuvor festgenommenen Flücht­lings zu verhindern. Polizei und Medien waren sich schnell einig: Der Anschlag sei die gewalttätige Fortführung dieser Proteste. Obwohl es weder konkrete Hinweise auf die Täter noch ein Bekennerschreiben gebe, gehe er davon aus, dass »linke Extremisten« für die Tat verantwortlich seien, erklärte der Leiter der Göttinger Kriminalpolizei, Volker Warnecke, kurz nach dem Vorfall. In einer Presseerklärung war lediglich von einem »in der Nähe des Tatorts« aufgefundenen Schriftstück die Rede, das »Bezug zur Abschiebepolitik« nehme. So ist es wohl kein Zufall, dass die Spürhunde in den ältesten und bekanntesten linken Wohnprojekten der Stadt angeschla­gen haben sollen.

Die Polizei macht weiterhin keine konkreten Angaben zum verwendeten Material und zum Ablauf des Anschlags – die Rede ist abwechselnd von einer Sprengstoffexplosion, einem Brandanschlag und einer Verpuffung. Während die Kreisverwaltung in einer Rundmail, die das Online-Stadtmagazin goest.de veröffentlichte, bekannt gab, dass »ein Wasserkocher explodiert« sei, und darum bat, »Auffälligkeiten an technischen Geräten« zu melden, sprach die Polizei bereits von einem Anschlag.
Die Razzia hat zu großer Aufregung in der Stadt geführt, Patrick Humke-Focks (»Die Linke«) kündigte an, die Durchsuchung zum Thema im Landtag zu machen. Noch am Abend der Hausdurchsuchung gab es eine Spontandemonstration, am Samstag gingen über 500 Menschen »Gegen die Kriminalisierung antirassistischer Politik« auf die Straße.
Kritik am Verhalten der Polizei gibt es aus einem weiteren Grund: Gleichzeitig mit der Hausdurchsuchung fand im Alten Rathaus eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz statt, in deren Rahmen das Musikprojekt »Per la Vita«, bestehend aus der HipHop-Formation Microphone Mafia und der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, auftrat. Beim Verlassen des Gebäudes mussten die Besucher durch ein Spalier von Polizisten laufen und wurden zum Teil gefilmt. Sowohl das lokale Bündnis »Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus« als auch der Zusammenschluss niedersächsischer NS-Gedenkstätten verurteilten die Aktion scharf und fordern »unverzügliche Aufklärung«. Die Polizeiinspektion erklärte, sie könne die Vorwürfe nicht nachvollziehen.