Filme aus dem Iran und Israel auf der Berlinale

Authentische Konflikte

Filme aus dem Iran und aus Israel sind auf der Berlinale traditionell stark vertreten und beim Publikum sehr beliebt. Jürgen Kiontke hat sich den iranischen Beitrag »Red, White And The Green« und die beiden israelischen Filme »Budrus« und »Phobidilia« angesehen.

Die Berlinale, traditionell mit Ost-West-Gegensätzen beschäftigt, lässt gern die verschiedenen Welten aufeinanderkrachen. Während auf der Ebene staatlicher Politik zwischen dem Iran und Israel die Drohungen nur so hin- und herfliegen, versuchen in beiden Ländern Filmemacher, ihre jeweiligen Lebenswirklichkeiten und Konflikte in Bilder zu fassen. Gefordert wird Authentizität, besonders im und um den Iran. Denn die Echtheit hinter den Schlagzeilen ist ein seltenes Gut.
Man stelle sich vor: Am Abend einer deutschen Bundestagswahl dreht Sönke Wortmann einen bewegenden Dokumentarfilm über die Wähler und – noch besser – die Wählerinnen. Er stellt ihnen immer die gleichen Fragen: Gehst du wählen? Wen wählst du? Was machst du, wenn dein Kandidat nicht gewählt wird? Anschließend läuft der Film auf Festivals und gewinnt Preise.
So ungefähr ergeht es dem Regisseur Nader Davoodi. Er hat in der Nacht des 14. Juni 2009 in Teheran gedreht, anlässlich der Präsidentschaftswahlen. »Red, White And The Green« heißt sein Film.
Die Iraner würden ihrem Ruf als Spaßvögel bzw. Ostfriesen des Orients nicht gerecht, hätten sie nicht ein paar passende Antworten auf Lager: »Wenn Mousavi nicht gewinnt? Dann erhäng’ ich mich ... nee, war Spaß jetzt«, sagt einer. »Ich wähl’ Ahmadinejad, der ist gut für unser Land«, meint der nächste.
Konnte ja keiner wissen, was daraus wird. Die Menschheit mag den Iran, das ist gar keine Frage. Die Iraner in Davoodis Film geben dem Publikum – speziell dem deutschen – viel zurück. »Diese ganze grüne Opposition, die ist von den Deutschen angeschoben worden«, sagt einer seiner Interviewpartner im Wahlgetümmel. Die Deutschen hätten da schon so eine komische grüne Partei, die sei an allem schuld.
Als Iraner sitzt man in einer besonderen Klemme: »Als wir uns im Krieg mit dem Irak befanden, da hat man uns beschuldigt, wir Iraner seien doch alle eklige Zionisten.« Nein, in den arabischen Ländern sehe man daher keine geeigneten Bündnispartner …
Die 21jährige iranische Regisseurin Hana Makhmalbaf ist Jury-Präsidentin der Berlinale-Sektion »Generation«. Sie ist bei ihrem Film »Green Days«, der allerdings nicht auf der Berlinale gezeigt wird, ganz ähnlich wie Davoodi vorgegangen. In der Wahlnacht lief sie mit der Kamera herum und interviewte Menschen. Ich habe sie interviewt.

Was gucken eigentlich die Iraner so für Filme?
Makhmalbaf: Belanglose Beziehungskomödien. Die mag unser Präsident gern. Übrigens: Wir Iraner sagen, Ahmadinejad ist wie Adolf Hitler. Was haben denn die Deutschen im Dritten Reich im Kino geguckt?
Belanglose Beziehungskomödien.
Und was gucken die Deutschen heute so?
Belanglose Beziehungskomödien.

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Wie geht es eigentlich dem israelischen Film? Dem ganzen Land geht es nicht gut. Es muss sich einmauern. Völlig überfordert scheinen die Soldaten, die in dem Film »Budrus« zu Wort kommen. Budrus ist ein Kaff in Palästina, dessen Anwohner beklagen, dass Israel seinen Schutzzaun mitten in ihre Olivenhaine baut, damit keine Selbstmordattentäter mehr kommen.
Seit neuestem, davon handelt »Budrus«, setzen die Palästinenser auf zivilen Widerstand. Das zieht viele junge, linke Israelis an. Da staunt selbst der Hamas-Chef des Bezirks. Nein, dass er irgendwann mal mit Israelis gegen Israel protestiere, das hätte er nicht für möglich gehalten.
Es wird aber auch klar: Die innerpalästinensischen Konflikte lassen sich nur schwer unterm Deckel halten. Die Gewaltfraktion setzt sich immer wieder durch.
Eine der besten filmischen Reflexionen über das Individuum bietet »Phobidilia«. Der israelische Beitrag erzählt von einem jungen Programmierer, der seine Wohnung in Tel Aviv nicht mehr verlässt, Internetpornos und Soaps konsumiert und seine Einkäufe online tätigt, bis sich eines Tages eine Call-Center-Agentin in den spröden Mann verliebt. Eigentlich eine schöne Sache. Aber dem Mann des Digitalen macht das Angst. Die reale Frau kann er nicht wegklicken wie in einem Bezahl-Chat.
Der Hausverwalter will ihn aus der Wohnung schmeißen. Der Mann hatte während des Zweiten Weltkriegs drei Jahre in einem Erdloch zugebracht, um der Vernichtung zu entgehen. Von dem Jungspund lässt er sich wohl kaum was sagen. »Was guckst du da für eine Scheiße!« brüllt er den Jungen an, der eine Talkshow guckt, und: »Heute ist Holocaust-Gedenktag!«
»Was willst du?« brummt der Junge zurück. »Ich hab’ schließlich ›Schindlers Liste‹ gesehen.« Die Generationen, sie verstehen sich nicht mehr. Rohstoff Authentizität? Realität ohne Medialität, das ist schwer zu ertragen. Weniger digitalisierten Gesellschaften dürfte diese Seite der Individualisierung und der Postmoderne Angst machen.