Gute und schlechte Filme auf der Berlinale

Die Guten und die Schlechten

Es gibt Filme, über die muss der Kritiker schweigen. »Shutter Island« ist so ein Werk. Spannend, großartig, überraschend. Mehr will Elke Wittich über Martin Scorseses Beitrag zur Berlinale nicht verraten. Außerdem sehenswert: Thomas Vinterbergs Feel-Bad-Movie »Submarino«.

Die Frage, was einen Film zu einem guten oder eben auch schlechten Werk macht, lässt sich natürlich nicht allgemeingültig beantworten, ansonsten gäbe es vermutlich auch nicht so viele öde Filme. Leute gehen schließlich, im wirklichen Leben wie bei der Berlinale, aus ganz unterschiedlichen Gründen ins Kino. Manche sind zufrieden damit, wenn sie möglichst viele Stars zu sehen bekommen, andere wollen spektakuläre Bilder, wieder andere gekonnt inszenierte Dramen. Ein paar Kriterien gibt es dennoch, die ein guter Film klassischerweise erfüllen sollte. Eine Handlung zu haben, beispielsweise. Und die sollte am besten nicht allzu vorhersehbar und außerdem mit einigen Wendungen versehen sein. Andernfalls hat man es schnell mit so unausgegorenen Filmen wie dem spanischen Panorama-Beitrag »For The Good Of Others« von Oskar Santos zu tun. Die eigentlich viel versprechend beginnende Geschichte um einen Arzt, der anfänglich seine Patienten nur als medizinische Fälle wahrnimmt, dann aber ganz plötzlich übernatürliche Heilkräfte entwickelt, driftet leider immer mehr ins Esoterisch-Verkitschte ab. Dass man jede Wendung bereits erahnt, aber dann als zu abwegig verworfen hatte, macht die Sache nicht besser.
Andere Liga: Wie man eine verwickelte Handlung adäquat umsetzt, zeigt der außer Konkurrenz im Wettbewerb laufende Film »Shutter Island« von Martin Scorsese. In den fünfziger Jahren kommt ein vom beeindruckend gealterten und verfetteten Ex-Sunnyboy Leonardo DiCaprio gespielter FBI-Agent auf eine Insel, auf der psychisch kranke Gewaltverbrecher festgehalten und – damals unerhört modern – therapiert werden. Aufgeklärt werden soll das mys­teriöse Verschwinden einer Frau, die es geschafft hat, aus der vermeintlich ausbruchssicheren Klinik zu fliehen. Während über dem Meer ein gewaltiger Sturm aufzieht, zeigt sich auf der Insel, dass hier nichts so ist, wie es scheint. (Da jedes weitere Wort über die Handlung zu viel verraten würde, gibt es an dieser Stelle auch keine weitere Synopsis des Films, sondern bloß eine Warnung: Wer sich »Shutter Island« ansehen möchte, sollte darauf verzichten, vorab Filmkritiken zu lesen.)
Natürlich ist eine Handlung noch längst keine Garantie für großen Kinospaß. Irgendwann nerven sie nämlich, all diese schon zigfach erzählten Geschichten über Filmcrews, die sich in den Wald aufmachen, um dort einen Low-Budget-Streifen zu drehen und in der Einöde dem Grauen begegnen. Und die Roadmovies, in denen leidlich junge Menschen sich auf eine Reise durch die USA oder irgendein anderes größeres Land mit gut ausgebauten Straßen begeben, um am Ende sich selbst zu finden oder im Knast zu landen, je nachdem.
Spannend wird es dagegen oft dann, wenn ein traditionelles Genre in eine neue Umgebung transferiert wird. Spielt ein Western in Asien oder eine romantische Komödie eben nicht in Paris oder New York, sondern in einer öden sächsischen Kleinstadt, fallen automatisch ganz viele Klischees weg, was für die Unterhaltung nur positiv sein kann. »Eastern Drift« schildert eine solche unkonventionelle Gangstergeschichte, umgesetzt mit einfachen und unspektakulären Mitteln. Der alternde Gangster Gena denkt ans Aussteigen, die Geschäftspartner weigern sich zu zahlen, so kommt es zum Showdown und einer gnadenlosen Hetzjagd durch Osteuropa. Der litauische Regisseur Sharunas Bartas spielt in diesem existentialistischen Neo Noir selbst die Hauptrolle, er ist ein Mann mit markanten Gesichtszügen und traurigen Augen, der illusionslos konstatiert, dass er keinem Menschen mehr trauen kann, und in einem kurzen, unpathetischen Monolog erklärt, die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass ihm jemals noch etwas Gutes passieren werde. Er wird Recht behalten.
Der Australier Patrick Hughes offenbarte bei der Vorstellung seines Erstlingswerks »Red Hill«, welche Opfer er für das Projekt erbracht hat. »Ich habe alles aufs Spiel gesetzt, mein Haus, die Karriere in der Werbeagentur, meine Ehe – nun, meine Frau ist immerhin noch da«, scherzte er. Der Plot des Berlinale-Beitrags »Red Hill« – ein junger Sheriff wird in ein nahezu ausgestorbenes Dorf mitten in der Einöde versetzt und vestrickt sich in die dunklen Machenschaften der Einwohner – ist dann jedoch leider nicht wirklich überraschend. Dass der gerade aus dem Gefängnis ausgebrochene Aborigine gute Gründe für eine blutige Rachetat haben dürfte, wird sehr bald klar. Gleichwohl gehört der erfrischende Horror-Western schon allein wegen der beeindruckend-klaustrophobischen Bilder verlassener Landschaften zu den Highlights der Berlinale.
»Submarino«, ein skandinavisches Feel-Bad-Movie von Dogma-Initiator Thomas Vinterberg (»Das Fest«), erzählt die Geschichte zweier Brüder aus einer Unterschicht-Familie, deren Lebensweg von einem traumatischen Kindheitserlebnis geprägt wird: Als die alkoholkranke Mutter die beiden Brüder mit dem jüngsten Geschwisterchen allein zu Hause zurücklässt, verstirbt in deren Obhut das Baby. Schuldgefühle plagen die beiden ein Leben lang. Als erwachsene Männer treffen sich die Brüder wieder, der eine hat eine Knastkarriere hinter sich und trinkt, der andere, ein Junkie, sorgt mehr schlecht als recht für seinen Sohn. Ein Happy End spendiert Thomas Vinterberg nicht, was auch vollkommen in Ordnung ist, denn Geschichten darüber, dass man sich aus praktisch jedem Elend befreien kann, wenn man nur will, gehören auch in die »Zu oft gesehen«-Kategorie.
Einer, der sich aus seinem Elend befreit und dennoch überzeugt, ist Ian Dury. Das filmische Porträt des Anti-Stars kommt dann auch ohne unangenehme Es-geht-doch-Pädagogik aus. Andy Serkis überzeugt in Mat Whitcross’ Bio-Pic »Sex & Drugs & Rock’n’Roll« vor allen bei der musikalischen Darstellung des ebenso gewitzten wie raubeinigen Entertainers Ian Dury. Als Junge an Kinderlähmung erkrankt, musste Ian Dury sein Leben lang gegen Widerstände kämpfen – Krüppel wurden damals noch in äußerst autoritär geführten Anstalten weggesperrt, ein selbstbestimmtes Leben oder gar eine künstlerische Karriere schien undenkbar.
Ziemlich schonungslos zeigt der Film den Aufstieg des Protagonisten zum burlesken Popstar: Schrill, nervig, unleidlich und äußerst bockig, trampelt dieser dabei rücksichtslos auf den Gefühlen seiner Familie und Mitstreiter herum und lehnt es immer wieder vehement ab, als Musterkrüppel zu dienen, was zugleich ein weiterer wichtiger Punkt auf der Gute-Streifen-Lis­te ist: Hauptdarsteller und Film müssen nicht immer makellos schön sein.