Die kriselnde iranische Wirtschaft

Die Wächter der Wirtschaft

Wenn im Iran die Menschen auf die Straße gehen, geht es nicht nur um das Ende der islamischen Zumutungen, sondern für viele auch schlicht um das materielle Über­leben. Denn die wirtschaftliche Lage der Islamischen Republik ist katastrophal.

Bereits im März des vergangenen Jahres rechnete der regimekritische iranische Wirtschaftswissenschaftler Sayed Leylaz mit zunehmenden Protesten im Iran. »Viele Iraner sind völlig enttäuscht von Ahmadinejad«, sagte Leylaz gegenüber dem Handelsblatt. Ahmadinejad habe »in Anlehnung an den Führer der Islamischen Revolution, Aytollah Ruhollah Khomeini, den Armen ihren Anteil am Ölreichtum versprochen, ihnen aber nur massive Inflation und weitere Armut gebracht«. Anlass für Leylaz’ Prognose war Ahmadinejads Präsentation des Haushaltsplans für das Jahr 2009. Das Programm, vom Finanzminister Shamseddin Hosseini als »absolut lebensnotwendig für unser Land« bezeichnet, sollte der Sanierung des Haushalts und der Bekämpfung der bis auf 30 Prozent gestiegenen Inflation dienen. Im Zentrum der Maßnahmen standen der Abbau von Subventionen für grundlegende Lebensmittel wie Brot, Reis oder Mehl, aber auch für Waschmittel, Strom und Benzin. Daneben sah der Plan die Privatisierung der Fluggesellschaft Iran Air, der Hotelgruppe Homa und einiger Flughäfen vor, sowie die Anhebung des maximalen ausländischen Kapitalanteils an iranischen börsennotierten Unternehmen von zehn auf 25 Prozent.
Dass Leylaz’ Erwartung von Protesten nicht nur dem Wunschdenken eines kritischen Intellektuellen entsprang, sondern einen realen Hintergrund besaß, hatte sich bereits im Juli 2007 angedeutet, als bei Protesten gegen die Rationierung von Benzin im ganzen Land Tankstellen in Flammen aufgingen. Für Ahmadinejad, der in seiner erfolgreichen Wahlkampagne 2005 gegen den dama­ligen Präsidenten Mohammed Khatami versprochen hatte, »das Ölgeld an die Menschen auszuzahlen«, bereitete dieses »neoliberale« Sparprogramm angesichts der anstehenden Wahlen naturgemäß Schwierigkeiten. Der iranische Gewerkschaftsaktivist Homayoun Pourzad – vermutlich handelt es sich um ein Pseudonym – bestätigte im Januar gegenüber der amerikanischen Zeitschrift Platypus, dass in vielen Versammlungen der Bewegungen gegen die Regierung Ahmadinejads die gemeinsame Forderung der unterschiedlichen Gruppen in der Aufrechterhaltung der Grundversorgung bestanden habe.

Dabei wäre nichts irriger, als den Haushaltsplan von 2009 als wirtschaftspolitische Neuerung Ahmadinejads zu interpretieren. Vielmehr steht dieser in der Kontinuität der Privatisierungspolitik Rafsanjanis und Khatamis. Der IWF lobte noch 2007 ausdrücklich die Kontinuität der »großen Fortschritte bei der Öffnung der Wirtschaft für den internationalen Handel und ausländische Direktinvestitionen« sowie »der Ermutigung des privaten Sektors«. Nach dem Ende des Kriegs mit dem Irak war der Iran hoch verschuldet. Zu Beginn der neunziger Jahre begann daraufhin die Privatisierung der iranischen Staatsbetriebe und die Liberalisierung des Außenhandels. Eingeleitet wurde dies vom damaligen Präsidenten Rafsanjani, der im Zuge dessen selbst zum reichsten Mann des Landes wurde. Ähnlich wie bei den Privatisierungen in der ehemaligen Sowjetunion wurde das produktive Vermögen der iranischen Staatsbetriebe zumeist an die ehemaligen Betriebsdirektoren verteilt, die 50 Prozent der Aktien zu »Vorzugspreisen« erhielten.
Dieser Privatisierungspolitik verdankt sich nicht zuletzt die Instabilität der innenpolitischen Verhältnisse seit dem Parlamentswahlsieg der »Reformer« im Jahr 1997. Denn die Konflikte zwischen den von Khatami angeführten Reformen und den zunehmend auf Konfrontation gehenden »konservativen« Kräften unter Ayatollah Ali Khamenei drehten sich hintergründig nicht um die winzigen Schritte zur Liberalisierung des Alltagslebens. Auch nicht um die Privatisierungspolitik, in deren Rahmen Löhne eingefroren und Gewerkschaften unterdrückt wurden und die galoppierende Inflation immer mehr Beschäftigte unter die Armutsgrenze trieb. Vielmehr ging es schlicht um die Verteilung der Pfründe. Denn während unter Rafsanjani die Direktoren der Staatsbetriebe bedacht wurden, repräsentieren die Konservativen wirtschaftspolitisch eher die religiösen Stiftungen, die neu aufgestiegene Fraktion um Ahmadinejad, die paramilitärischen Revolutionsgarden der Pasdaran.

Unter der Regierung Ahmadinejads geben diese Gruppen heute nicht nur im Ministerkabinett oder beim Niederknüppeln von Demonstranten den Ton an. Denn seit Ahmadinejads Machtübernahme hat sich das riesige Wirtschaftskonglomerat der Pasdaran mindestens verdoppelt. Und nach Aussagen des ehemaligen Beraters des Parlamentspräsidenten Karrubi, Mohamad Mochafeq, soll dieses bereits zu Regierungszeiten Khatamis 60 Kaianlagen am Persischen Golf, ein Dutzend Flughäfen und diverse weiteren Zollstellen besessen und über ein Drittel des Exports kontrolliert haben. Unter der Verfügungsgewalt der Kommandeure der 125 000 Mann starken Revolutionsgarden stehen dem Blog Mousavis zufolge mehr als 800 Firmen von der Waffenindustrie bis in den Bausektor. Vor allem aber haben die Garden unter Ahmadinejad beim Bau und dem Betrieb von Infrastrukturprojekten wie etwa dem Autobahnbau oder der neuen Teheraner U-Bahn fast ein Monopol erhalten. Auch der Bau der 600 Kilometer langen Ölpipeline nach Indien mit einem Auftragsvolumen von 2,2 Milliarden Dollar ging an die Garden. Neuerdings besitzt die als Ghorb bekannte Pasdaran-Unternehmensgruppe auch 50 Prozent der Anteile der staatlichen Telekommunikationsfirma Sherkat Mochebarat. Beh­rouz Aref und Behrouz Farany, zwei exiliranische Publizisten, kommen in Le Monde Diplomatique zum Fazit, dass sich Ghorb zur »führenden Wirtschaftsmacht in der Islamischen Republik entwickelt« habe. Ihr Kommandant, General Mohammad Ali Dschafari, sieht das so: »Wir sind in Friedenszeiten keine unnütze Kriegsmaschine.«
Hinzu kommen die traditionell von Steuern freigestellten Stiftungen. Obwohl sie offiziell nur zu karitativen Zwecken gegründet wurden, nennt etwa die Stiftung für die Opfer des Iran-Irak-Kriegs derzeit Tausende von Firmen in Landwirtschaft, Handel, Industrie und der Tourismus-Branche ihr Eigen. Als Khatami von der hauseigenen Stiftungsbank, die deren Geschäfte koordiniert, Steuern einforderte, probte die Stiftung den Aufstand. Dass sie sich an der Finanzierung des Wahlkampfes von Ahmadinejad zumindest beteiligt hat, gilt als wahrscheinlich.

Das Ergebnis dieser heiligen Wirtschaftsdominanz sind die 106prozentige Staatsverschuldung und eine immer weiter steigende Inflation. Nach offiziellen Statistiken liegt sie jährlich durchschnittlich bei 15 Prozent, andere Quellen wie der Pariser Wirtschaftswissenschaftlerin Ramine Motamed-Nejad setzen sie auf über 50 Prozent an. Die Realeinkommen der Iraner sinken daher permanent. Die öffentliche Subventionspolitik bildet somit die letzte verbliebene Lebensgrundlage für viele Lohnabhängige und die Arbeitslosen.
Während aber in den ersten Jahren von Ahmadinejads Amtszeit nach einem Bericht der Middle East Economic Survey noch bis zu 20 Prozent des Staatshaushalts für die verschiedenen Subventionstöpfe verwendet wurden – vom »Liebesfonds« für junge Paare bis zum Handgeld beim Besuch von Wahlveranstaltungen –, steht dem Staat nun immer weniger Geld zur Verfügung, um die Ausbeutung der iranischen Bevölkerung zumindest ein wenig zu kompensieren. Als der Haushaltsplan für das Jahr 2010 Ende Januar im Parlament zum ersten Mal vorgestellt wurde, tauchte darin die Reduzierung dieser Subventionen erneut auf. Binnen fünf Jahren soll beispielsweise die Benzinzuteilung ganz abgeschafft werden. Allerdings sieht das Programm vor, Auszahlungen an »gezielte Sektoren der Gesellschaft« vorzunehmen, um Einkommensverluste auszugleichen. Da der Haushaltsplan aber laut dem Gewerkschaftsaktivisten Pourzad zu massiver Inflation und damit zu Massenentlassungen führen wird, rechnet er mit »massiven Arbeiterprotesten« und hofft auf eine »einmalige Chance«, die Regierung in Bedrängnis zu bringen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Pasdaran ihre Wirtschaftsmacht mit aller Gewalt verteidigen werden.