Die Ausstellung »Derridas Katze« in Berlin

Katzen essen Insel auf

Der Mensch ist das autobiographische Tier, das für sich das Sonderrecht beansprucht, andere Wesen zu definieren. Dieses Diktum des Philosophen Jacques Derrida ist der Ausgangspunkt einer Ausstellung, die nach dem Verhältnis zwischen Menschen und Tieren fragt. Cord Riechelmann hat sich »Derridas Katze« angesehen.

L’animal que donc je suis« ist der Titel eines 2006 aus dem Nachlass erschienenen Essays von Jacques Derrida. »Das Tier, das ich bin«, wie man den Titel übersetzen kann, ist Derridas Versuch, das Verhältnis von Mensch und Tier in der Philosophie und als Philosoph, der mit einer Katze zusammenlebt, zu denken. Der Essay ist so etwas wie die Vorschau auf sein letztes, unvollendet gebliebenes Projekt. Derrida plante, ein Buch über Tiere zu schreiben, das nach der Möglichkeit eines Dialogs zwischen Mensch und Tier fragt. Letztlich geht es ihm darum, die Herrschaft des Menschen über das Tier – und damit immer auch die Herrschaft des Menschen über den Menschen – zu überwinden und die Fesseln der Anthropologie abzustreifen.
Wobei es ihm nicht darum geht, die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier aufzuheben, vielmehr will er untersuchen, welche ganz praktischen Privilegien sich der Mensch mit dieser Kategorisierung verschafft hat.
Im Berliner Künstlerhaus Bethanien haben die beiden Kuratorinnen Alice Goudsmit und Barbara Buchmaier eine Gruppenaustellung unter dem Titel »Derridas Katze … que donc je suis (à suivre)« konzipiert. Die Arbeiten beschäftigen sich unter Bezugnahme auf Derrida mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Die Ausstellung, die 25 künstlerische Positionen zum Thema vorstellt, zeigt, dass der Blick des Menschen auf andere Lebewesen zum eigentlichen Problem geworden ist.
Ganz konkret wird dies in einer Videoarbeit der dänischen Künstlerin Lisa Strömbek, die einem Hund einen Berg Wurst vorsetzt. Der Rüde starrt in die Kamera, atmet schwer, bewegt sich nicht und wirkt äußerst angespannt. Man zittert praktisch mit dem Hund mit und stellt sich den gestrengen Blick seines Herrchens vor, das den Hund mit wenigen Gesten dominiert und kontrolliert, während der Hund sich schmachtend vor dem Wursthaufen zusammenreißt. Es besteht kein Zweifel, dass der Hund sich die Würste am liebsten einverleiben würde. Thematisiert wird in dieser Arbeit das Blickregime des Menschen über das Tier. Die Materialität des Blickes als Herrschaftsinstrument wird hier in Szene gesetzt. »Dear Friends« heißt eine Serie der Künstlerin, in der sie fünf Hundeporträtfotos zeigt. Auch wenn die Bilder der fünf Freunde tatsächlich ästhetisch gelungen sind, sind sie doch ein bedrückendes Dokument der ewigen Zurechtweisung des Tieres durch sein Herrchen oder Frauchen.
Sichtbar wird aber auch, dass die Hunde mit der Art und Weise, wie der Mensch hier seine Vorherrschaft ausübt, gar keine Schwierigkeiten zu haben scheinen. Im Gegenteil, offensichtlich genießen sie hier ihre Erniedrigung. Dies ist eine Verhaltensvariante, die Derrida im Verhältnis zu seiner Katze gar nicht erst in den Blick nimmt, die aber den Pariser Philosophenkollegen Gilles Deleuze zu der Überzeugung brachte, dass diese Tiere keine Tiere mehr seien, sondern schon in die Menschenwelt eingepflanzt und deshalb komplett verblödet.
Dass die netten Haustiere aber trotz ihrer »Vermenschlichung« immer noch zu Unberechenbarkeiten neigen, zeigt eine andere Arbeit der britischen Künstlerin Lucy Powell. Ihre Videoarbeit erzählt in wenigen Sätzen die Geschichte der australischen Macquarie-Insel im Südpazifik. Die Insel wurde 1810 von Robbenfängern entdeckt und ist seit 1997 wegen ihrer geologischen und biologischen Bedeutung zum Weltnaturerbe erklärt worden. Von der Insel ist aber nicht mehr viel übrig geblieben, und das ist das Werk von Kaninchen und Katzen. Die ersten Robbenfänger brachten Katzen mit auf die Insel, später setzten sie dort auch Kaninchen aus, die ihnen als Nahrungsquelle dienen sollten. Die Kaninchen vermehrten sich so schnell, dass sie bald zu einer Gefahr für die Pflanzenwelt der Insel wurden. Daraufhin wurden Viren ausgesetzt, die seuchenartig die Bestände ausrotteten, was wiederum die Katzen veranlasste, von jungen Kaninchen auf Vögel als Nahrung umzusteigen. Bald waren mehrere Vogelarten vernichtet. Nun wagten sich die Katzen an die Pinguine heran und begannen, deren Küken zu fressen. In den Jahren zwischen 1985 und 2000 wurde dann ein – erfolgreicher – Vernichtungsfeldzug gegen die Katzen geführt, mit dem Ergebnis, dass sie vollständig von der Insel verschwanden. Daraufhin vermehrten sich die inzwischen gegen die Viren resistent gewordenen Kaninchen wieder, die mittlerweile große Teile der Insel kahlgefressen und die Küste mit ihren Bauten ausgehöhlt haben.
Auch wenn Powells Arbeit von den gnadenlosen Feldzügen der Menschen und der Tiere handelt, ist das Video sehr hübsch anzusehen.
Auf ästhetische Knalleffekte verzichtet diese sehr ruhige Ausstellung völlig. Das gilt auch für die Toninstallationen. Die Finnin Tea Makipää hat eine »All-Day-Symphonie« zusammengestellt, auf der vor allem Hühner, Hähne und Hennen miteinander kommunizieren. Die Aufnahmen der Hühner sind in der Nähe der großformatigen Fotos von Carla Ahlander zu hören und wirken wie ein ironischer Kommentar zu den Hertha-Trikots tragenden Männern, die zwischen Bäumen und Büschen in der Nähe des Berliner Olympiastadions beim Urinieren aufgenommen wurden.
Das Wasser, das in Berlin aus den Wasserhähnen kommt, soll bereits von drei anderen Menschen getrunken worden sein, sagt ein statistischer Befund von Ökologen. Dabei gilt das Ber­liner Trinkwasser wegen eines natürlichen Filtersystems im Boden als besonders wertvoll. Wo das Wasser herkommt, zeigt Ulrike Mohrs Installation, bestehend aus 50 Aquarien mit Wasserproben aus verschiedenen Berliner Landseen und Fließgewässern. Die Wasserproben zeigen verschiedene Färbungen. Besonders trübe ist das Wassser aus dem Teltowkanal. »Gemeinschaftswasser« hat Mohr ihre Arbeit genannt. Ein schöner Titel und ein Fanal gegen die Privatisierung der Lebensgrundlage Wasser, aber auch ein versteckter Hinweis auf eines der besten Bücher Derridas. »Das Preislose« heißt die kleine ökonomische Schrift Derridas, die die Begriffe von Geld, Zeit und Sprache neu interpretiert und – wie die Arbeiten dieser Ausstellung – von der Definitionsmacht des Menschen handeln.
Die schwedische Künstlerin Ingvild Hovland Kaldal hat 49 kleine, rundlich geformte Skulpturen aus Zeitungspapier in einer Vitrine hinter Glas angeordnet. Die Papier-Maché-Skulpturen nutzte der finnische Ethnologe Rafael Karsten ursprünglich als eine Art Mundschutz für seine Kolibris. Karsten hatte in den zwanziger Jahren in Südamerika 272 Kolibris gefangen und ihre dünnen, zerbrechlichen Schnäbel für den Transport nach Schweden mit Papier umwickelt. Was die Wissenschaft als wertlos verworfen hat, wird im Kontext der Kunst wieder relevant. Kaldals Sammlung zeigt, wie viel Information und Schönheit in diesen Papierskulpturen steckt.
Das Gleiche gilt für Louise Schraders Ensemble von 72 Großen und Kleinen Kohlweißlingen. Sie zeigt Präparate von Schmetterlingen, die die Wissenschaft in zwei Arten unterteilt hat, die sich aber wie ein Ei dem anderen gleichen. Selbst wenn man Vladimir Nabokov hieße, könnte man nicht sagen, welches Exemplar zu welcher Untergattung gehört. Die Klassifizierungen, die der Mensch vorgenommen hat, müssen infragegestellt werden – dazu fordert nicht nur Schraders Arbeit, sondern die gesamte Ausstellung auf.

Derridas Katze. Kunstraum Kreuzberg/Bethanien. Berlin. Bis 7. März