Klimaschützer sollen sich auf lokale Konflikte konzentrieren

Klimaschutz ist Heimarbeit

Klimaschutz wird nicht auf der Ebene der Vereinten Nationen betrieben, sondern auf lokaler und nationaler Ebene. Parolen vom Systemwechsel lenken davon nur ab.

Die Erwartungen der Öffentlichkeit an den Gipfel in Kopenhagen waren völlig überzogen. Bei einem UN-Gipfel kann kaum mehr als der kleinste gemeinsame Nenner herauskommen, und es war absehbar, dass der zurzeit nicht sehr groß ist. Daran wird sich auch 2010 nicht viel ändern.
Insofern lagen nicht nur diejenigen falsch, die meinten, in Kopenhagen entscheide sich das Schicksal der Welt, sondern auch diejenigen, die meinten, das Scheitern der Verhandlungen von Kopenhagen mache deutlich, dass es nun um die »Systemfrage« gehen müsse. Ob es in Sachen Klimaschutz weitergeht, wird sich dezentral entscheiden: beispielsweise an den vielen Orten, an denen Kohlekraftwerke entstehen sollen; in den vielen Ländern, in denen erneuerbare Energien allmählich von den Bürgern und der Politik entdeckt und marktfähig gemacht werden; in all denjenigen Städten, in denen man sich um Mobilität jenseits des Autos bemüht. Für all diese dezentralen und nationalen Klimaschutzinitiativen braucht man keinen UN-Vertrag. Übrigens auch keinen Systemwechsel.
Die NGO haben zum Protest in Kopenhagen aufgerufen wie noch nie zuvor bei einem UN-Klimagipfel, und auch sie stehen jetzt mit leeren Händen da. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als eine kritische wie selbstkritische Strategiediskussion über den Stellenwert von UN-Verhandlungen zu führen, wenn wir unsere eigenen Erklärungen ernst nehmen, dass wirksamer Klimaschutz keinen Aufschub zulässt. Ist wirksamer nationaler Klimaschutz das Ergebnis eines halbwegs problemgerechten UN-Abkommens, oder ist er vielmehr umgekehrt die Voraussetzung für ein solches Abkommen? Kann wirksamer Klimaschutz wirklich mit einem internationalen Konsens beschlossen werden, wenn er schon national immer gegen starke Widerstände durchgesetzt werden muss? Brauchen wir wirklich 25 000 NGO-Vertreter bei einem UN-Klimagipfel, oder reichen für wirksame Lobbyarbeit auch 1 000 oder 2 000, während sich die anderen 23 000 mit den jeweiligen Lobbys zu Hause anlegen?

In der ersten Woche des Kopenhagener Gipfels wurden in Deutschland drei Kohlekraftwerksprojekte gestoppt, weil die Investoren angesichts von anhaltendem Widerstand von Bürgerinitiativen und NGO aufgaben. Die dadurch vermiedenen Jahresemissionen entsprechen den Kyoto-Verpflichtungen der drei Benelux-Staaten zusammen. Aber während es in der Klima-Allianz eine gut funktionierende Zusammenarbeit gegen den Neubau von Kohlekraftwerken gibt, bleibt die deutsche NGO-Szene weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, etwa was den Straßenbau angeht, die zunehmend verrottende Deutsche Bahn, das Kaputtsparen des öffentlichen Nahverkehrs, aberwitzige Prämien beim Kauf eines neuen Autos, klimaschädliche Steuersubventionen, die viel zu langsam vorankommende energetische Gebäudesanierung oder etwa der schleppende Ausbau des Netzes für erneuerbare Energien. Im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern hat Deutschland die in Kyoto vereinbarten Ziele schon erreicht – nicht zuletzt weil öffentlicher Druck dafür gesorgt hat, dass Regierungen jedweder parteipolitischer Zusammensetzung am Klimaschutz nicht mehr vorbeikommen.

Wo sind in all diesen lokalen Auseinandersetzungen diejenigen, die in Kopenhagen Fundamentalkritik geübt und den »Systemwechsel« ausgerufen haben? Sie tauchen überhaupt nicht auf. Offenbar sind die Details von Kraftwerks-Bebauungsplänen, die Linienbestimmungsverfahren von Autobahnen oder die Finanzierungsstrukturen des öffentlichen Nahverkehrs zu kompliziert und langweilig, und für Systemwechselkampagnen geben sie erst recht nicht viel her. Aber wirksam eingreifen kann man nur, wenn man diese Mechanismen kennt und sich dort einmischt. Zugegeben, ein Alternativgipfel in Kopenhagen macht mehr Spaß. Aber er bringt nur etwas, wenn man sich nach dem Spaß zu Hause in die lokalen Auseinandersetzungen einmischt. So gesehen lenken die Parolen vom Systemwechsel nur vom konkreten Klimaschutz ab, man jagt einem Phantom hinterher – vergleichbar mit jenen, die verzweifelt für den allumfassenden UN-Vertrag Lobbyarbeit betreiben. Heraus kommt in beiden Fällen nicht viel, wenn es dabei bleibt und man dies bereits für Engagement für den Klimaschutz hält. Aber bei begrenzten Ressourcen zählt am Ende nur das Ergebnis, nicht die gute Absicht. Wer Klimaschutz durchsetzen will, muss sich mit mächtigen Konzernlobbys anlegen und sich gegen diese durchsetzen. Auch wenn dabei kein Sozialismus herauskommt, sondern nur eine emissionsärmere Marktwirtschaft und eine dezentralisiertere Energiewirtschaft: Wer sich für linke Politik einsetzt, sollte derlei nicht als systemimmanente Reförmchen abtun, sondern sich überlegen, was er dazu beitragen kann.

Jürgen Maier ist Geschäftsführer des »Forums Umwelt und Entwicklung«, einem Netzwerk, an dem sich viele große NGO wie etwa BUND, Greenpeace, Verdi oder WWF beteiligen.

Geändert: 4. April 2010