Der lange Streik bei Tekel in der Türkei

Hundert Lira sind nicht genug

Seit zweieinhalb Monaten streiken die Beschäftigten der türkischen Tabakfirma Tekel. Die Regierung will ein Ende des ­Arbeitskampfes erzwingen.

Eigentlich lief das Ultimatum bereits am Sonntag aus. So lange hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den streikenden Beschäftigten der Tabakfirma Tekel Zeit gegeben, um eine Regelung gemäß Paragraf 4-C des Gesetzes 657 zu akzeptieren. Dieses Gesetz garantiert den Angestellten eines staatlichen Betriebes bei der Schließung einen neuen Arbeitsplatz in einer anderen Staatsfirma. Allerdings nur für elf Monate, überdies müssen die Angestellten schlechtere Arbeitsbedingungen, geringere Löhne und ungeregelte Arbeitszeiten akzeptieren.

Die Streikenden lehnen eine solche Regelung ab und sprechen von einem »Versklavungsgesetz«. Am 15. Dezember waren sie in den Ausstand getreten, um gegen die Schließung der letzten 40 Tekel-Lagerstätten zu protestieren. Das Unternehmen, das ehemals das Monopol auf Alkohol und Tabak innehatte, wurde im Februar 2008 an den US-amerikanischen Tabakkonzern BAT verkauft, die Lager sind die einzigen Filialen des Unternehmens, die sich noch in staatlichem Besitz befinden. Ihre Schließung würde für 12 000 Beschäftigte den Verlust ihrer Jobs bedeuten.
Die Regierung unter Führung der islamisch-konservativen AKP hatte zwar »mehr soziale Gerechtigkeit« versprochen, die Privatisierungspo­litik aber konsequent weitergeführt. Seit dem Jahr 2003 wurden zahlreiche Staatsbetriebe wie Turkish Airlines und Türk Telekom verkauft. Auch »mehr Demokratie« wollte die AKP gewähren, doch reagierte die Regierung auf gewerkschaftliche Proteste mit großer Härte. So wurde in Istanbul die Kundgebung zum 1. Mai im Jahr 2008 von der Polizei angegriffen, mehr als 500 Demonstranten wurden festgenommen. Süleyman Celebi, der Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes Disk, sprach von »Staatsterror«.
Der Streik bei Tekel könnte deshalb exempla­rische Bedeutung auch für andere Branchen und die Beschäftigten des privaten Sektors haben. Die Gewerkschaft Tekgida-Is hatte monatelang ohne Ergebnisse mit der Regierung verhandelt. Als es zum Streik kam, solidarisierten sich sechs Gewerkschaftskonföderationen, darunter sogar dem Staat nahestehende Verbände, mit dem Arbeitskampf. Mitte Dezember zelteten die Streikenden und ihre Unterstützer zunächst vor der Zentrale der AKP in Ankara. Die Polizei griff das Camp an und vertrieb die Protestierenden, die daraufhin vor die Zentrale des Gewerkschaftsverbands Türk-Is zogen.

Doch gegen den Polizeieinsatz wurde sogar im Parlament protestiert. Viele Menschen brachten Nahrungsmittel, Zelte, Decken und warme Kleidung für die Besetzer. Am 4. Februar fand ein Generalstreik statt, an dem sich nach Angaben der Gewerkschaften zwei Millionen Menschen beteiligten, in mehreren Städten fanden Demonstrationen zur Unterstützung der Streikenden statt. Tags darauf begannen 300 Tekel-Beschäftigte einen Hungerstreik, Intellektuelle und Künstler solidarisierten sich, fast täglich kommt es seitde zu Proteste. Auch die International Trade Union Confederation, die 175 Millionen Beschäftigte in 155 Ländern repräsentiert, unterstützt den Arbeitskampf, Ende Februar fand ein globaler Aktionstag statt.
Vor allem die türkische Exportindustrie leidet unter der Wirtschaftskrise, Hunderttausende Beschäftigte sind entlassen worden. Da es ansonsten keine staatliche Unterstützung für Arbeitslose gibt, bezeichnet Erdogan sein Angebot für die Tekel-Beschäftigten sogar als »großzügig«. Schließlich erhielten sie »100 Lira extra«. Das sind umgerechnet knapp 50 Euro. Auch die Regelung nach Paragraf 4-C betrachtet die Regierung als fortschrittlich. Doch nach Ablauf der elf Monate dürften die meisten Tekel-Beschäftigten keinen neuen Arbeitsplatz finden.
In der Türkei sehen viele Menschen den Streik aber auch als eine Chance, gegen die autoritärer werdende Politik der AKP zu protestieren. Erdogan sah er sich am Sonntag gezwungen, den Streikenden Aufschub zu gewähren. Am Montag verlängerte dann der Oberste Gerichtshof die Frist für die Annahme der Regelung gemäß 4-C um acht Monate. Im Zeltlager wurde gejubelt, doch während die Gewerkschaft den Kampf für beendet erklärt, wollen die meisten Tekel-Arbeiter die Aktionen fortsetzen.