Der Bauskandal bei der Kölner U-Bahn

Wenden Sie sich an unseren Sub!

Nach dem Berliner S-Bahn-Skandal werden immer mehr Fälle von Sicherheitsmängeln im Bahnwesen bekannt. Die Ursache dafür liegt auch darin, dass Aufträge an zahlreiche Subunternehmen vergeben werden, wie das Beispiel der Kölner U-Bahn zeigt.

Köln steht in dem Ruf, ein Kleinstaat rheinisch-katholischer Frohnaturen zu sein, in dem die Vetternwirtschaft floriert. Würde die Stadt deswegen nicht in der bundesdeutschen Wahrnehmung eine gewisse Narrenfreiheit genießen, dann hätten die Skandale um den Bau der Nord-Süd-Bahn sicher das Potential, als Vorzeichen für das Scheitern des neoliberalen Wirtschaftsmodells bundesdeutscher Prägung erkannt zu werden. Mit geschätzten 1,1 Milliarden Euro ist der U-Bahn-Bau immerhin die zur Zeit größte Bauunternehmung der Republik. Der Bauskandal reiht sich zudem ein in eine Serie von Pannen im deutschen Bahnwesen, sei es bei der Berliner S-Bahn, im Fall der ICE-Trasse München-Nürnberg oder zuletzt bei der U-Bahn in Düsseldorf.
Derzeit interessiert man sich in Köln vor allem für den Rheinpegel und das steigende Grundwasser. Noch ein Meter mehr und die U-Bahn-Baustelle müsste in Abschnitten geflutet werden, um den Wasserdruck auszugleichen und eine akute Einsturzgefahr zu vermeiden. Kölner Zeitungen hatten in den vergangenen Wochen enthüllt, dass nur etwa 20 Prozent der Eisenbügel, welche die Außenwände der U-Bahn gegen das Grundwasser des nahe gelegenen Rheins stabilisieren sollten, eingebaut wurden. Den Rest haben Altmetall-Händler abgeholt und nach Übersee verschifft. Geschätzte 18 000 Euro soll ein Polier der Firma Bilfinger Berger damit verdient haben. Dieselbe Person war auch an Firmenprojekten in anderen Orten Deutschlands, etwa Düsseldorf, beteiligt. Inzwischen ist die Verunsicherung so groß, dass in 14 Städten vergleichbare Bauprojekte der vergangenen 40 Jahre überprüft werden.
Systematisch wurden in Köln Berichte gefälscht. Bereits 2007 wurden wegen des steigenden Grundwassers zusätzliche Brunnen zum Abpumpen gegraben, die der Bauaufsicht nicht gemeldet wurden. Die Firmen pumpten mit dem Grundwasser soviel Boden aus der Baustelle in den Rhein, dass sich dort eine Sandbank bildete, die den Schiffsverkehr behinderte. Am 3. März 2009 führte schließlich ein so entstandener unterirdischer Hohlraum zum Zusammensturz des größten kommunalen Archivs nördlich der Alpen – und zum Tod zweier Menschen, deren angrenzende Wohnungen ebenfalls einstürzten.

Der Kölner Fall ist symptomatisch für das vorherrschende Wirtschaftsmodell, das geprägt ist von der neoliberalen Doktrin der maximalen Auslagerung. Vom Bauträger, den städtischen Kölner Verkehrsbetrieben (KVB), bis hin zum einzelnen Arbeiter unten im Schacht reicht eine lange, undurchschaubare Kette von Sub-Sub-Sub-Unternehmern. Dabei werden Gewinne mitgenommen und Kosten nach unten gedrückt, bereits bei der Ausschreibung. Dadurch werden die Sub-Unternehmer beinahe schon zu kriminellem Verhalten gezwungen, gleichzeitig wird die Verantwortung nach unten weitergereicht. So entsteht ein System der abgestuften Verantwortungslosigkeit: »Illegale Arbeiter um Lohn geprellt? Nur 20 Prozent der wichtigen Eisenbügel eingebaut? Davon wissen wir nichts, dafür können wir nichts, fragen Sie das zuständige Unternehmen XY … « Diese Strukturen sind keine Kölner Erfindung. Bei der schrittweisen Privatisierung der Deutschen Bahn kam es ebenfalls zu Fahrlässigkeiten: das Heruntersetzen der Prüf-Intervalle bis hin zur ICE-Katastrophe von Eschede, kaputte Weichen im Winter, massive Ausfälle und Verzögerungen bundesweit im Bahnverkehr oder die Ausfälle im Fahrbetrieb der Berliner S-Bahn.
Ein Hauptargument für die Auslagerungen ist, dass mehr Wettbewerb zu weniger Gesamtkosten führen würde, für den Steuerzahler, die Kommune und das Land. Davon abgesehen, dass dieses Modell dazu tendiert, lebensgefährlichen Schrott zu liefern, wird auch bei einem idealen Ablauf kein Geld gespart. Es wird lediglich umverteilt: Eingesparte Lohnkosten wandern in neu entstehende Management-, Buchhaltungs- und Abrechnungsapparate der jeweiligen Firmen und ihrer Kontrollinstanzen. Dieses Geflecht aus Sub-Sub-Unternehmen schreibt sich wechselseitig Rechnungen, Berichte und Lastenhefte. Die eigentlichen produktiven Arbeiter leiden hingegen unter Lohndumping und schlechten Arbeitsbedingungen. Dass dieses System wächst, liegt nicht zuletzt an den riesigen Unternehmensprüfungsgebilden wie etwa KPMG, PriceWaterhouseCoopers und Freshfields. Sie propagieren Methoden wie Out-Sourcing, Public-Private-Partnership oder Cross-Border-Leasing, weil diese komplexen Strukturen die wirtschaftliche Grundlage für ihr Geschäft bilden.

Unabhängige Kontrollen und Expertisen scheint es nicht mehr zu geben. So wurden die Experten und Sachverständigen, die den U-Bahn-Bau in Köln zu begutachten hatten, von den Baufirmen selbst bezahlt. Weder die Stadt Köln noch die Landesregierung hatten hierbei einen Überblick. In diesem Punkt weicht das gegenwärtige Produktionsmodell sogar eklatant von den neoliberalen Kernvorstellungen ab. Diese sehen ausdrücklich einen Staat vor, der sich zwar von wirtschaftlichen Aktivitäten fern halten, dafür aber Kontrolle und optimale Marktbedingungen gewährleisten soll.
Bei der Planung der Kölner U-Bahn schien alles machbar. 2 000 Jahre alter Baugrund, unterlegt von archäologischen Resten sämtlicher Epochen seit der Römerzeit, dazu nur 200 Meter Entfernung zum Rhein? Kein Problem mit nordrhein-westfälischer Bergbau-Technik! Vielleicht hatte es doch seinen Grund, warum die Nord-Süd-Bahn früher oberirdisch verlief, bis sie dann für Jahrzehnte abgeschafft wurde. So wie es seinen Grund hat, warum Rom nur zwei U-Bahn-Linien besitzt und weitere Probegrabungen dort stets zu dem Ergebnis führen, dass von weiteren unterirdischen Baumaßnahmen abzusehen ist.

Den Kölner Skandalen wird gerne mit einem lapidaren Hinweis auf den berüchtigten Kölner Klüngel begegnet. Es stellt sich die Frage, ob diese Erklärung überhaupt gerechtfertigt ist und ob die Zustände im Rest der Republik nicht ähnlich desolat sind. Vielleicht werden ja deshalb so viele Skandale aus der Stadt Köln bekannt, weil hier neben Bankern, Baulöwen und der weit verzweigten Familie Neven DuMont, welche die Stadt als ihren Gabentisch betrachtet, auch ein hohes Maß an zivilgesellschaftlichem Engagement und investigativer Initiative gedeiht.
Immerhin haben sich seit März 2008 in Köln zwei neue Bürgerbewegungen gegen Korruption, Klüngelei und wahnwitzige Kommunalpolitik gebildet, die bereits einige Erfolge verzeichnen konnten. Die Initiative »Köln kann auch anders« setzte sich etwa dafür ein, dass Fritz Schramma, der ehemalige Oberbürgermeister, nicht in den Aufsichtsrat eines weiteren Kölner Desaster-Projekts gelangte, dessen Vergabe er selbst zu verantworten hat: den Bau der Kölner Messehallen durch die Oppenheim-Esch-Immobilien-Fonds. Der »Kölner Komment« wiederum beschäftigt sich seit 2009 mit kommunaler Kulturpolitik und kämpft derzeit dafür, den geplanten Abriss des Kölner Schauspielhauses zu verhindern. Beide Initiativen, die parteiunabhängig und außerparlamentarisch funktionieren, können sich von der öffentlichen Meinung getragen fühlen. Vielleicht taugen sie sogar zum Vorbild für den Rest der Republik.