Berlin Beatet Bestes, Folge 35

Wie Boris Becker einmal unter die Autonomen ging

Berlin Beatet Bestes. Folge 35. The Tie-Breaks, Ist das der Weg zur Hafenstraße (1990).

Eigentlich verbietet es sich mir, über ­Singles zu schreiben, an denen ich selbst mitgewirkt habe. Da aber die Platte, über die ich hier spreche, seit 20 Jahren nicht wiederveröffentlicht wurde und zudem lustig und ziemlich seltsam ist, kann man das auch mal durchgehen lassen.
Boris Becker, so hieß es 1989, war damals in Hamburg mit der Studentin Karen befreundet. Er zeigte in einem Interview mit dem Stern Sympathien für die Hafenstraße und versprach den Bewohnern sogar Eintrittskarten zu seinen Matches. Dieses Angebot wurde von einigen Hamburger Punks und Hardcore-Aktivisten prompt aufgegriffen, und so marschierte an einem Frühlingsabend 1990 eine Gruppe von uns zu einer Sportarena, in der Boris Becker in einem Freundschaftsspiel auftreten sollte. Mit lustigen Verkleidungen und selbst gemachten Schildern und Flyern in den Händen waren wir gekommen, in der Hoffnung, eine Reaktion von Boris zu erhalten. An die genauen Umstände kann ich mich nicht mehr erinnern, aber wir verteilten Flyer an die ankommenden Tennisfans und riefen: »Boris, komm zum Hafenrand, wir brauchen deine Vorderhand!« und »Solidarität mit der roten Karen!« Dann erschien auch schon die Polizei. Aber Boris Becker ließ tatsächlich eine Abordnung von uns vor und versprach Karten für sein nächstes Spiel am Rothenbaum.
Das hätte auch schon das Ende dieser Geschichte sein können, wenn die Presse nicht so überschäumend reagiert hätte. Jede Tageszeitung berichtete über unseren kleinen Streich. Sie konnten es kaum glauben und applaudierten zum ersten Mal der nicht gerade für ihren Humor bekannten autonomen Szene.
Nach diesem Erfolg stellten einer der Hauptinitiatoren, der spätere Filmemacher Henrik »Henna« Peschel (»Rollo Aller«), und einige Freunde eine Pressemappe zusammen und nahmen weitere Aktionen in Angriff. Im April 1990 fragte mich Henna, ob ich das Cover einer geplanten Single der fiktiven Gruppe The Tie-Breaks zeichnen würde. Zur Musik von Tony Christies »Is This The Way To Amarillo« singt die Band auf dieser Single:
Wir hätten nie gedacht, dass er sich jemals ändern würde. Karen hat’s geschafft, Boris nahm die erste Hürde. Jetzt gehört er zu uns. Er sagt, wir stünden ihm näher als das große Geld und alle Yuppies dieser Welt. Ist das der Weg zur Hafenstraße? Ist da noch ein Zimmer frei? Ist das der Weg zur Hafen­straße? Wenn ihr mich braucht, ich bin dabei.
1990 war ich bereits mit einem Bein aus der Hardcore-Punk-Szene raus. Ich öffnete mich allen möglichen Strömungen und bereitete mein erstes Comic-Heft »Artige Zeiten« vor. Henna freundete sich mit der Hamburger Bohème um Rocko Schamoni (der auch auf dieser Platte zu hören ist) an. Die Hafenstraße war und ist eines der Zentren der Punkszene. Im Störtebeker hatten wir unzählige Bands gesehen und viele Freunde gefunden. Es bedeutete uns viel. Dieser heiteren, einseitig gepressten Schlagerplatte mag man es nicht anhören, aber sie ist eine wirkliche Ode an die Hafenstraße.