Dicke Männer und dicke Frauen in der Popkultur

Dicker ist schicker

Dicke Männer haben es im Pop nicht schwer. Dicke Frauen schon. Dass aber Normen austauschbar sind, hat nicht erst Beth Ditto gezeigt.

»Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin«, sang Marius Müller-Westernhagen 1978 und löste damit einen kleinen Skandal aus. Der Song mag stumpf gewesen sein, dennoch wäre es falsch, Westernhagen eine Diskriminierung von bereits Stigmatisierten vorzuwerfen. Denn dicke Männer haben im Showgeschäft durchaus eine Lobby. Sei es als knuffige Brummbären wie Bud Spencer, sei es als erdige Rocker wie Klaus Lage, als Genussmenschen wie Luciano Pavarotti oder als Muttis Liebling wie »Der Bulle von Tölz«. Und Barry White, der schwergewichtige König des »Soft Soul«, schaffte es als Herzensbrecher sogar in Millionen von Schlafzimmer – wenn auch nur mit seiner Stimme. Den Kampf, den Marius Müller-Westernhagen damals austrug, war erst einmal nur einer unter Männern.
Anders liegt der Fall bei dicken Frauen. Ihnen ist in den Medien bloß der Platz in den Nachmittags-Talkshows vorbehalten, wo sie meist auch nur wegen ihres Dickseins eingeladen werden. Dort dürfen sie sich als Inbegriff des »White Trash« beschimpfen lassen, denn während Dicksein bei Männern als Zeichen für Gemütlichkeit oder gar Gutmütigkeit gilt, lassen dicke Frauen sich gehen, haben ein Hygieneproblem oder sind einfach nur ungebildet. Selbst die wenigen Ausnahmen von Frauen, die trotz sogenannten Übergewichts für seriöse Rollen besetzt werden, zum Beispiel die Schauspielerin Marianne Sägebrecht, sind bei genauer Betrachtung gar keine: Sägebrecht ist fast nur in Rollen zu sehen, in denen Essen und Dicksein thematisiert werden, etwa in »Frau nach Maß« oder »Left Luggage«. Während Männer wie Günter Strack in »Ein Fall für Zwei« problemlos eine Rolle spielen können, die nichts mit ihrer Figur zu tun hat, scheinen dicke Frauen auf Leinwand, Bildschirm oder Bühne nur dann legitim zu sein, wenn dabei auch ein offenkundiges Problem erkennbar wird.
Neuerdings gibt es allerdings eine Künstlerin, die selbstbewusst darauf hinweist, dass sie mit ihrer Figur keine Probleme hat, sondern sich selbst ziemlich sexy findet. Das sehen andere auch so: Beth Ditto, die Sängerin von Gossip, wurde 2007 vom NME zur »Sexiest Woman of the Year« nominiert. Als lesbische und übergewichtige Künstlerin gleich zweifach eine Außenseiterin, nimmt sie es stoisch hin, permanent auf ihre Figur angesprochen zu werden. Dem Spiegel erklärte sie ihre Vorbildfunktion: »Ich habe das Gefühl, das, was ich tue, hat eine positive Wirkung auf Mädchen, die sich zu dick finden oder sich für hässlich halten, weil ihnen ihr ganzes Leben gesagt worden ist, sie seien dick oder hässlich. Diesen Mädchen gebe ich Selbstvertrauen, und das ist nicht nur wichtig für ihre Sexualität, sondern für ihr ganzes Leben.« Beth Ditto verfolgt die popfeministische Strategie, vermeintlich vom Schönheitsideal abweichende Eigenschaften zu Pop zu erklären und selbstbewusst zur Schau zu stellen. Nichts anderes hat auch Charlotte Roche getan, als sie hartnäckig auf den Rasur-Terror hinwies, dem Frauen ausgesetzt sind, und dabei ihre eigenen Achselhaare zeigte.
»Typical girls worry about spots, fat and natural smells«, wusste schon die britische Female-Punk-Band The Slits. Ihr Song »Typical Girls« ist fast zur selben Zeit wie »Dicke« von Westernhagen entstanden. Darin machen sich die Slits über das Rollenverhalten von »typischen Mädchen« lustig, denen es nur darum geht, »typische Jungs« abzubekommen. Das Ergebnis ist programmiert: langweilige heteronormative Zweierbeziehungen. Lange vor dem Popfeminismus wiesen die Slits auf das eigentliche Problem jenseits von dick und dünn hin, nämlich auf die öde Austauschbarkeit der Norm.