Die deutsche Linke, Westerwelle und die Hartz-IV-Debatte – wo bleibt die linke Kritik an der Debatte?

Die Welle komplett verschlafen

Die Linke hat ihren Einsatz beim Westerwelle-Bashing verpasst. Dabei wäre Protest dringend notwendig gewesen – und kinderleicht.
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Manchmal bemerkt man einen Gegenstand erst, wenn er weg ist. So wie das Bild, das plötzlich nicht mehr an der Wand hängt. Dasselbe gibt es auch bei Menschen. Aber dass man so etwas einmal über den bis vor kurzem noch omnipräsenten und über die Maßen lautstarken Oskar Lafontaine sagen würde, wer hätte das gedacht?! Doch in der Tat: Die von Guido Westerwelle ausgelöste sogenannte Hartz-IV-Debatte hätte noch vor vier Monaten eine Gegenwelle ausgelöst, die sich gewaschen hätte, und Lafontaine hätte dabei den Widerpart gegeben, genauso laut und polternd wie der FDP-Vorsitzende.
Seit Lafontaine sich zurückgezogen hat, ist eine Leerstelle sichtbar in der Linkspartei. Das liegt natürlich auch daran, dass es die Medien viel amüsanter finden, der CSU und Jürgen Rüttgers dabei zuzuschauen, wie sie versuchen, Lafontaines Rolle zu übernehmen, die des sozialen Gegenpols zur FDP.
Doch nicht nur von der Partei »Die Linke« ist irgendwie kaum etwas zu hören, auch von der restlichen Linken nicht. Keine Demos, keine Proteste, nicht einmal eine dieser ganzen Talkshows von Johannes B. Kerner und anderen, in denen in widerlichster Manier gegen »Hartz-IV-Schmarotzer« gehetzt wurde, wurde gesprengt. War nicht vor ein paar Jahren Hartz IV noch das big issue der Linken? Ist nicht gerade dieses Thema eines, mit dem man draußen in der Welt punkten kann wie mit kaum etwas anderem? Wo ist Attac? Wo ist die MLPD? Wo ist die Antifa, der’s doch um’s Ganze geht?

Dabei ist es in diesem Fall so einfach: Man kann kaum etwas falsch machen, liegt quasi immer richtig! Erstens, weil an Hartz IV ja tatsächlich alles falsch ist, weil es eindeutig böse, unsozial und auch noch »schlecht gemacht« ist. Das weiß sogar die CDU, selbst die SPD und die Grünen, die es erfunden haben, wissen es längst. Zweitens war offensichtlich, dass Westerwelle keine Ahnung hat, wovon er redet. Und auch die wenigen, die ihm beisprangen, nicht, sonst hätten sie nicht fordern können, man müsse Arbeitsverweigerern die Bezüge kürzen, Langzeitarbeitslose zum Schneeschippen schicken und derlei mehr. Denn all das ist längst Realität. Eindeutig fernab jeder Realität war dagegen das, was Westerwelle aus der spätrömisch-dekadenten Welt der Hartz-IV-Bezieher und ihres vermeintlichen »anstrengungslosen Wohlstands« meinte berichten zu können. Selbst die Bundesagentur für Arbeit spricht von nur 1,8 Prozent »Hartz-IV-Betrügern«.
Und Westerwelles Satz schließlich: »Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet«, ist die denkbar beste Steilvorlage, um endlich über das beschämende deutsche Lohnniveau zu diskutieren und eben nicht über die Höhe der Hartz-IV-Sätze. In den Medien – wie hier zum Beispiel im Spiegel – wird bodenloser Stuss zusammengeschrieben wie: »Guido Westerwelle mag sich bei seiner Hartz-IV-Schelte im Ton vergriffen haben – in der Sache aber hat er Recht (…) Für viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger rentiert sich ein regulärer Job schlicht nicht.« Doch die Linken wollen offenbar nicht als Schmarotzer gelten, nicht unverschämt erscheinen, und versäumen es, aufzuspringen und laut zu schreien, dass das Problem dann doch offenbar jenes ist, dass viele mit einem »regulären Job« längst für das Enkommen eines ALG-II-Empfängers arbeiten.

Man kann Westerwelle aus zwei konträren Richtungen kritisieren und hat – einfacher geht’s nicht – mit beidem Recht. So kann man ihm »Neoliberalismus« bzw. ein asoziales individualistisches Denken vorhalten, wenn er die Verantwortung des Staates für die sozial Schwachen, die Armen und die Arbeitslosen wegdefinieren möchte und eine Gesellschaft propagiert, die die vermeintlichen »Leistungsträger« goutiert und die Verlierer sich selbst überlässt. Man kann ihm jedoch auch das genaue Gegenteil vorwerfen, nämlich das Propagieren eines antiliberalen, autoritären Staates und einer völkischen Gemeinschafts­ideologie, einen Angriff auf die Freiheit des Individuums, wenn er in eine Richtung argumentiert, die nur Zwangsarbeit und den verpflichtenden Dienst an der »Gemeinschaft« zur Konsequenz haben kann.
Kurz gesagt: Man muss nur den Mund aufmachen und die entstehenden Töne minimal anders anordnen als Guido Westerwelle es tut, schon hat man eine treffende Kritik geäußert. Einfacher war es für die Linke noch nie. Aber: nix war! Nur einer hat seinen Job gemacht: »Deutschlands frechster Arbeitsloser« Arno Dübel. Er hat gesagt, was in einer Welt, in der sich die Menschen dank technologischen Fortschritts mehr und mehr vom Joch der Arbeit befreien, gesagt werden musste: Arbeiten? Ich bin doch nicht blöd! Er hat die richtige Antwort auf die allgegenwärtige staatsautoritäre Zwangsarbeitsmentalität gegeben: »Dann lass’ ich mich krank schreiben!« So einfach, so wahr, und dazu muss man nicht einmal Adornobutlermarx gelesen haben.