Bio-Landwirtschaft und Globalisierung. Eine deutsch-mexikanische Begegnung

Von Bauer zu Bauer

Was hat das Schwäbisch-Hällische Landschwein mit der Maisvielfalt in Mexiko zu tun? Im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca haben sich deutsche und einheimische Bauern über die Bio-Landwirtschaft, »wandernde Felder« und Globalisierung ausgetauscht.

Noch ein wenig aus der Puste, stehen die deutschen Besucher auf agrarpolitischer Reise mitten in einem seltsamen Maisfeld. Zwischen den Maispflanzen wachsen auf diesem halben Hektar Land auch Kürbisse und Bohnen. Dieser Mischfrucht­anbau heißt milpa und ist typisch für die Bergregion der Sierra Juárez im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Seit Jahrhunderten baut die indigene Bevölkerung auf diese Weise ihren Mais an. Der Mais dient den Bohnen als Rankhilfe, die Bohnen liefern dem Mais wiederum Stickstoff, während die großen Kürbisblätter den Boden abdecken und damit der Erosion durch Regen und Austrocknung vorbeugen.
Don Carlos, ein Bauer aus dem Dorf Santa Gertrudis, ist mit den deutschen Besuchern am späten Nachmittag hier hinaufgestapft, um ihnen sein Feld zu zeigen.
Der indigene Bauernverbund Unosjo, der seit 2009 Partner des Bündnisses Gentechnikfreies Hohenlohe ist, lud Mitte Februar nach Mexiko zu einer Veranstaltung über die Vergabe von Wasser- und Minenkonzessionen, Maiskontaminierung und Landverkäufe ein. »Ihr müsst sehen, wie wir hier leben, um zu verstehen, was es bedeutet, den Mais zu verteidigen«, sagte Aldo González von der Unosjo.

Ein illustres Grüppchen aus Mitgliedern des Bündnisses Gentechnikfreies Hohenlohe hat sich versammelt. Bio- und konventionelle Bauern sind dabei, Naturschutzaktivisten, Feldbefreier, Züchter und Anbauer von Wildblumensamen, ein Bauer mit konventionellem Schweinemastbetrieb, ein Demeter-Bauer mit einem Naturschutzhof und ein Hersteller von biologisch-dynamischen Präparaten nach Rudolf Steiner.
Ab und an huscht besorgte Anspannung über das gut gelaunte Gesicht des Diplom-Agraringenieurs Jochen Fritz, dem Koordinator des Bündnisses. Er hat es nicht gern, wenn die Gruppe unter der Rubrik »Freaks« eingeordnet wird. Doch die Indigenen in der Sierra ticken in dieser Hinsicht anders als er erwartet. Wenn von »geistigen Präparaten« die Rede ist und vom »Wirtschaften mit der Erde und nicht gegen sie«, werden sie ganz still. Sie gehen begeistert auf Uwe Wüst zu, der über seinen Naturschutzhof »Krautfürnix« berichtet, sie wünschen ihm viel Glück und weiteren Austausch. Schließlich trägt das Forum in Santa Gertrudis ja auch den Titel: »Die Wesen der Sierra Juárez und die Globalisierung«. Mit Betonung auf dem Plural. Gemeint sei unter »Wesen« »alles, was lebt », erklärt González, »auch die Geistwesen, auch die Besitzer der Felder, die in unser Handeln einbezogen werden müssen«.
Auf dem Acker in Santa Getrudis wird Don Carlos von den Besuchern gefragt, ob er noch mehr Felder besitze. Er weist auf den gegenüberliegenden Berg. »Dort habe ich Land und einen Ochsen, den ich gleich versorgen muss.« Die Deutschen befürchten für einen Moment, sie müssten da jetzt wieder hochkraxeln und dann das Vieh versorgen. Der Bauer ergänzt in die Stille hinein, dass die Felder häufig so verstreut lägen, und lächelt, als sei das nichts. Täglich acht Stunden Arbeit auf dem Feld. Ohne schweres Gerät, ohne Maschinen.
Die meisten Kleinbauern der Region bewirtschaften Flächen zwischen einem halben und zwei Hektar Ackerland in Subsistenzwirtschaft. Eine Familie mit bis zu sechs Personen kann sich von den Erträgen ein Jahr lang ernähren. Saatgut kaufen die Bauern nicht, sondern nehmen es aus der letzten Ernte und tauschen es untereinander. Auf diese Weise sind in Mexiko etwa 60 Maisarten und Tausende Variationen davon entstanden. Und wenn man mal Geld braucht? »Überschüsse an Mais und Kaffee werden verkauft«, erklärt Don Carlos. Dass es mit dem Kaffeeverkauf gerade nicht weit her sein kann, vermutet Ernst Rieger, der Wildsaaten anbaut und verkauft. »Die Pflanzen auf dem Weg zum Maisfeld sind nicht gut gepflegt«, stellt er nüchtern fest. Am Dolmetscher liegt es nicht, dass es ein wenig dauert, bis das Gespräch über dieses Thema richtig in Gang kommt. »Die Preise für Kaffee schwanken stark«, sagt Don Carlos dann, »auf Kaffee zu setzen, ist für uns ein hohes Risiko. Bei zertifiziertem Bio-Kaffee ist zwar der Preis garantiert und höher, aber es dauert für uns zu lange, bis das Geld kommt.«

Mit dem Verkauf von Mais ist es auch nicht gerade einfach. Die Kleinbauern können mit den Importen aus subventionierter US-Produktion, die seit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens Nafta im Jahr 1994 ins Land kommen, nicht mithalten. Außerdem wurden die staatlichen Aufkaufprogramme eingestellt, die den Bauern früher einen höheren Abnahmepreis garantierten. »Die Landbevölkerung ist in den letzten Jahren aufgrund dieser Entwicklung sehr verarmt«, erklärt Aldo González. Die idyllisch anmutende Sierra ist ein unwegsames Gebiet. Die Berghänge sind steil, die Straßen sind schlecht oder gar nicht erst vorhanden. Die Fahrt in manche Dörfer dauert acht bis zehn Stunden und führt über teils fast unpassierbare Schlammpisten. »Die Abwanderung in die Städte oder in die USA ist hier ein großes Problem«, sagt González. »Es gibt Dörfer, in denen fast nur noch alte Menschen, Frauen und Kinder leben, das bringt die Strukturen im Dorf und in den Familien völlig durcheinander.«
Im Bundesstaat Oaxaca haben sich die Indigenen das Recht erkämpft, nach ihren Vorstellungen und Gebräuchen zusammenzuleben. »Aber dort, wo es kein Auskommen mehr gibt, wo der eigene Mais nicht mehr angebaut werden kann und Konzessionen für Wasser oder Minen in den indigenen Territorien an Großunternehmen vergeben werden, ist die indigene Kultur bedroht«, sagt González. Die Regierung biete zwar Programme an, um die Kleinbauern zu unterstützen, aber der Haken dabei sei: »Wenn Kleinbauern etwa finan­zielle Unterstützung erhalten, um ihr Land weiter mit ihrem eigenen Mais zu bestellen und die Landwirtschaft nicht aufzugeben, müssen sie dem Staat im Gegenzug Samen von ihren Mais für die Gen-Samenbank abgeben.« Davor warnen Organisationen wie die Unosjo, »denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Samen auf diese Weise in die Hände von transnationalen Konzernen gelangen, die sie dann zu Forschungszwecken nutzen und am Ende Patente anmelden, so dass schließlich die Bauern ihre eigenen Samen nicht mehr kostenlos ausbringen dürfen und dafür Patentgebühren zahlen müssen«.
Christoph Zimmer von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall erzählt in Oaxaca, dass ähnliche Szenarien bereits Wirklichkeit geworden sind. Die Erzeuger hatten sich 1988 zusammengetan, um das Schwäbisch-Hällische Landschwein vor dem Aussterben zu bewahren und wieder auf den Markt zu bringen. Selbst diese regionale und sehr alte Rasse falle unter ein Patent von Monsanto, das der Konzern auf Gensequenzen herkömmlicher – nicht genmanipulierter – Schweine angemeldet hat. Über eine Klage bei der EU gegen diese Regelung sei noch nicht entschieden, sagt Zimmer. »Wir Bauern lassen uns nicht alles gefallen. Auch wir organisieren uns weltweit gegen die Machteinflüsse, mit denen wir konfrontiert sind, sowohl hier in Oaxaca als auch in Hohenlohe.«
Der wuselige, jungenhaft wirkende Agraringenieur der Unosjo, Baldemar Mendoza, berichtet bei einer Wanderung über das Kapitalisierungsprogramm Procampo, das die Rinderhaltung unterstützen soll. »Das Konzept ist geeignet für ebene, tief gelegene Flächen«, sagt er, »aber nicht für diese Steilhänge in der Sierra. Wo Rinder weiden, verschwindet sämtliche Vegetation bis aufs Gras. Der Regen wäscht dann den Boden aus,und es kommt zu Erdrutschen. Aber die Bauern sehen das Geld sofort.«
Die Mitarbeiter der Unosjo, die 18 indigene Gemeinden in der Sierra Juárez beraten, wollen stattdessen darauf hinwirken, dass die Bauern möglichst viele verschiedene Feldfrüchte anbauen, wie etwa Chili, Mais, Bohnen und Yucca. Ihr eigenes Wissen sollten sie wieder schätzen und anwenden lernen, erklärt Mendoza.

Die Wertschätzung des kleinbäuerlichen Lebens mit seinen regionalen Produkten ist auch in Hohenlohe ein großes Thema. »Ferien auf dem Bauernhof gibt es in Deutschland auch noch nicht so lange«, sagt Ursula Schabel, die mit ihrer Familie einen Demeter-Hof mit 30 Milchkühen bewirtschaftet und Urlaub auf dem Bauernhof anbietet. »Das wäre sicher auch ein Ansatz in Mexiko. Es ist wichtig, Stadtbewohner aufs Land zu holen. Sie müssen sehen, wie viel Arbeit das ist, damit sie einen richtigen Preis dafür bezahlen. Viele wissen gar nicht mehr, wie die Nahrungsmittel angebaut werden.«
Der Maisanbau wird von den Indigenen der Sierra Juárez traditionell in einem Zyklus betrieben, der mit Brandrodung beginnt. »Anschließend wird ein Jahr lang Mais angebaut, dann lassen wir die Erde ausruhen. Die Felder wandern, sagen wir hier.« Baldemar Mendoza zeigt den deutlich erkennbaren Unterschied zwischen Weide­flächen, Wald und der wandernden milpa. Eine für die milpa gerodete Fläche wirkt nach einem Jahr wieder üppig grün.
»Die Weideflächen wandern nicht, sie zerstören die Natur«, meint der Agraringenieur. »Dieses Programm für Rinderhaltung ist auch deshalb problematisch, weil in der Sierra Juárez Umweltschützer auftauchen, die den Indigenen erzählen, sie hätten keine Ahnung vom Naturschutz, weil sie Brandrodung für die milpa betreiben.« Dies habe auch zur Folge, dass staatliche und internationale Behörde den Indigenen untersagen, Landwirtschaft in Naturschutzgebieten zu betreiben, und dass sie umgesiedelt werden. Und dann spricht der alte Fuchs aus dem Ingenieur: »Außerdem reden solche Programme den Leuten ein, dass sie Geld bräuchten, um zu leben.«
Wie viel Geld sich mit Kaffee verdienen lässt, wollen die Besucher in San Gertrudis von Don Carlos genauer wissen. Und wo er seinen Kaffee verkauft? Wann und wie viel? So erfahren sie, dass er jeden Montag genau so viel Kaffee auf dem Markt im Städtchen Talea losschlägt, dass die Familie Geld für eine Woche hat. Ein Hektar bringe etwa eine halbe Tonne Ertrag, sagt er. »Das muss viel mehr sein! Gestern hieß es, von einer Pflanze kommen bis 50 Kilo Rohertrag!« platzt Ernst Rieger los. »Frag mal, wie viel Sträucher hier auf dem Hektar stehen«, sagt er zum Dolmetscher. Gekicher. »Er kalkuliert schon … «, antwortet er. 50 Kilo bekäme man nur von einer richtig guten Pflanze zu ihrer besten Zeit, wenn sie neun oder zehn Jahre alt ist, antwortet der Bauer schließlich.
»Aha. Und wie viele Pflanzen stehen nun auf einem Hektar?« Ernst Rieger, den wegen der schlechten Rendite bei Ackerbau und Viehhaltung vor 26 Jahren begann, auf dem Hof seiner Eltern Wildpflanzen für Arzneimittel anzubauen, obwohl er sich damals damit überhaupt nicht auskannte, lässt nicht locker.
Don Carlos kratzt sich am grauen Stoppelbart, grinst und muss erstmal überlegen. Er habe zwischen 150 und 200 Sträucher. Der deutsche Gast rechnet weiter, er will offenbar genau herausfinden, wie hoch die Erträge sein könnten, wenn die Pflanzen besser gepflegt würden: »Gehen wir doch mal von 25 Kilo pro Strauch aus, der Verlust durch die Schale ist eins zu fünf, dann wären das pro Strauch … « Ernst Rieger hat sich in Fahrt kalkuliert, lacht über seinen Eifer, und plötzlich rufen er und Jochen Fritz gleichzeitig: »Da muss doch was gehen!« Gelächter. Einen Augenblick später bringt Rieger seinen Satz ernst und bestimmt zu Ende, wie bei einem Verhandlungsgespräch: »Da hast du von 200 Sträuchern mindestens eine Tonne Kaffee!«
Jochen Fritz entschuldigt sich für die hartnäckigen Fragen. »Wir sind halt deutsche Bauern.« »Ach was, wir sind genauso«, sagt Don Carlos. Erst neulich habe er mit seiner Frau darüber gesprochen, dass sie mit dem Kaffee gerade Verluste machen würden.
Bei einem Gespräch mit Dr. Sol Ortiz, der technischen Leiterin der Kommission für Biosicherheit Cibioxem in Mexiko-Stadt, erfahren die Deutschen später wieder, dass die Bauern aus der Sierra von der Regierung nicht viel Unterstützung erwarten. Nicht die 80 Prozent Kleinbauern in Subsistenzwirtschaft, die heute immer noch 20 Prozent der Maiserträge Mexikos erwirtschaften, müssten gestärkt werden, wie dies beispielsweise der Weltagrarbericht empfiehlt. »Stattdessen sollen größere und mittlere Landwirtschaftsbetriebe mehr staatliche Hilfen bekommen, weil diese höhere Erträge erwirtschafteten«, sagt Ortiz. »Die höheren Erträge braucht Mexiko, denn in der Wiege des Mais wird seit Inkrafttreten des Nafta-Abkommens immer weniger Mais produziert.« 33 Prozent des nationalen Bedarfs wird derzeit durch Importe aus den USA gedeckt. Der Import könnte durch den steigenden Bedarf an Mais für die Agroenergie jedoch teurer werden. »Große Hoffnungen setzt die Regierung daher in den Anbau von dürreresistentem, gentechnisch verändertem Mais«, erläutert Ortiz. An 24 Standorten hat die Regierung den experimentellen Anbau von gentechnisch verändertem Mais bereits erlaubt.
»Wenn man nicht anfängt, wird nichts im Leben«, sagt Ernst Rieger. Ende März war Aldo González beim Saatgutkongress in Österreich und machte auch in Süddeutschland Station. Dort verkostete er in Heilbronn eine Proberöstung Kaffee aus der Sierra. Ein Probelauf mit Spedition, Rösterei und Verkauf wäre der nächste Schritt, um einen unzertifizierten, »fairen« Kaffee auf dem europäischen Markt zu bringen.
In der Sierra Juárez müssen die Bauern einen fairen Preis festlegen, während die Deutschen beginnen, in ihrer Region Vorträge über ihre Reise zu halten.