Rechtsextremismus in den USA: der Republikaner Ron Paul

Sie nennen ihn »Dr. No«

Der republikanische Kongressabgeordnete Ron Paul ist der Medienstar der staats­kritischen Rechten. Dass er mit rechtsextremen Verschwörungstheoretikern paktiert, schadet seinem Ansehen kaum. Serie über Rechtsextremismus in den USA, Folge 4.

Er kämpft für den sofortigen Abzug aller US-Truppen aus dem Irak, fordert eine liberalere Drogenpolitik und kritisiert die amerikanischen Anti-Terror-Gesetze. Nein, es geht nicht um einen linken Bürgerrechtler, sondern um Ron Paul, den prominentesten Vertreter der staatskritischen Rechten. Mit 80 Prozent der Stimmen konnte der 74jährige in seinem Wahlkreis unlängst die republikanischen Vorwahlen zum Repräsentantenhaus gewinnen – ein Kantersieg. Bei einer Präsidentschaftswahl zum jetzigen Zeitpunkt wäre das Rennen zwischen dem texanischen Gynäkologen und Barack Obama völlig offen. Beide lägen nur einen Prozentpunkt auseinander, behauptet jedenfalls das konservative Meinungsforschungsinstitut Rasmussen.

Seit der Wahl von Obama ist die amerikanische Rechte in Bewegung. Die Wirtschaftskrise verleiht ihr zusätzlichen Aufschwung. Auf den Straßen demonstriert die außerparlamentarische Tea-Party-Bewegung, und in den Parlamenten wehren sich Republikaner gegen die Verschärfung der Finanzaufsicht. Obamas Gesundheitsreform haben viele bis heute nicht verdaut. Von dieser angespannten Lage profitiert Ron Paul, der allen Unkenrufen zum Trotz selbst ist, was er am meisten kritisiert: ein erfolgreicher Berufspolitiker in Washington.
Bereits 1971 begann Paul sein Engagement in der republikanischen Partei. Richard Nixon hatte gerade wegen der horrenden Kosten des Vietnam-Krieges den Goldstandard für den Dollar aufgehoben – in den Augen der staatskritischen Rechten der fiskalische Sündenfall in der US-Geldpolitik schlechthin. 1976 konnte Paul zum ersten Mal in den Kongress einziehen, inzwischen absolviert er seine zehnte Amtsperiode. Sein Erfolgskonzept: die Forderung nach einem Minimalstaat, der nur das dürfe, was ihm ausdrücklich in der Verfassung zugebilligt wird. Für alles andere sei der freie Markt zuständig. Die Steuerbehörden und alle Sozialversicherungen gehörten abgeschafft. Mit diesem Programm hat Paul zehntausende begeisterte Anhänger gewonnen. Wegen seiner kompromisslosen Ablehnung praktisch aller Gesetzesvorlagen, die über den Wortlaut der Verfassung hinausgehen, erwarb er sich den Spitznamen »Dr. No«.
1988 trat Paul als Präsidentschaftskandidat der Libertarian Party an und landete hinter George Bush und dem Demokraten Michael Dukakis. Seine zweite Kandidatur war ungleich spektakulärer: 2008 bewarb er sich um die republikanische Präsidentschaftsnominierung und stellte einen Spendenrekord auf. Durch eine im Internet koordinierte Aktion konnte er innerhalb von nur 24 Stunden sechs Millionen Dollar sammeln – so viel wie kein anderer Politiker jemals zuvor im gleichen Zeitraum. Paul kann sich dabei auf ein außerparlamentarisches Netzwerk von Unterstützern und Aktivisten verlassen.

Bereits 1984 flatterte sein monatlicher Newsletter, Dr. Ron Paul’s Freedom Report, nach Angaben der Herausgeber 100 000 Abonnenten in den Briefkasten. Zu lesen bekamen sie das volle Programm der extremen Rechten, wie das liberal-konservative Politmagazin The New Republic im Wahlkampf 2008 erneut der Öffentlichkeit ins Gedächtnis rief. Penibel listete es die rassistischen Ausfälle, obskuren Verschwörungstheorien sowie antisemitischen und homophoben Statements aus Pauls Newsletter auf: Die schwarze Bevölkerung Washingtons sei »halb oder vollständig kriminell«, die einflussreichste Lobbyorganistion in der amerikanischen Hauptstadt sei die israelische Regierung, und in den amerikanischen Großstädten drohe ein neuer Rassenkrieg. Paul erklärte daraufhin, die betreffenden Artikel seien nicht von ihm selbst, sondern von einem Ghostwriter verfasst worden – und außerdem nur »altes Zeug«. Bereits zwölf Jahre zuvor hatte der Demokrat Charles Morris darauf hingewiesen, dass kanadische Neonazis den Newsletter empfohlen hätten.
Angst davor, mit Verschwörungstheoretikern in Verbindung gebracht zu werden, hat Paul keine. So trat er 2008 als Redner auf dem Festakt zum 50. Jahrestag der extrem rechten John Birch Society (JBS) auf. Bereits ein Jahr zuvor hatte Paul in der New York Times erklärt, er habe eine Menge Freunde in der Vereinigung: »Die Mitglieder sind gebildet, sie verstehen die Verfassung richtig. Ich kann nicht sagen, wie viele Positionen sie vertreten, die ich nicht teile. Sie sind strikte Konstitutionalisten, sie sind gegen den Krieg und setzen sich für eine harte (d.h. goldgedeckte; d. Verf.) Währung ein.«
Das wahre Gesicht der JBS sieht freilich etwas anders aus. Die Vereinigung wurde 1958 von dem Süßwarenfabrikanten Robert Welch gegründet, um eine angebliche Infiltration der USA durch Kommunisten und Illuminaten abzuwehren. Sofort nach ihrer Gründung begann die JBS ihre bis heute bekannteste Kampagne, den Kampf für einen Austritt der USA aus den Vereinten Nationen. Die sind in den Augen der JBS nämlich nichts anderes als eine große antiamerikanische Verschwörung zur Errichtung einer neuen Weltordnung. Selbst die überzeugten antikommunistischen Präsidenten Harry Truman und Dwight Eisenhower sind diesem paranoiden Weltbild zufolge Werkzeuge des Kommunismus gewesen. 1963 warnten dann Mitglieder der JSB die Öffentlichkeit vor 35 000 chinesischen Soldaten, die in Mexiko stationiert seien und einen Angriff auf San Diego vorbereiteten.

Zur Unterfütterung ihrer Theorien berief sich die Vereinigung immer wieder auf Schriften der britischen Faschistin Nesta Webster, die sich für die Reinkarnation einer Comtesse aus der Zeit der Französischen Revolution hielt. Doch so abseitig die ideologische Mixtur der JBS wirkt – bereits 1961 gingen amerikanische Medien von 60 000 bis 100 000 Mitgliedern der Vereinigung aus. Der amerikanische Historiker Richard Hofstadter untersuchte 1964 in seinem Essay »The paranoid style in American politics« den Verschwörungsglauben als Massenphänomen. Er kam zu dem Ergebnis, dass sich die politische Kultur des Paranoiden bis zur ultrakonservativen Anti-Freimaurer-Bewegung in Neuengland keine zwei Jahrzehnte nach dem Unabhängigkeitskrieg zurückverfolgen lasse. Diese Geschichte lässt sich bis in die Gegenwart hinein nachzeichnen. Noch heute soll die JBS Schätzungen zufolge an die 50 000 Mitglieder haben.

Auch im sogenannten 9/11-Truth-Movement hat Paul Anhänger. In einem Gespräch mit ihnen lieferte er 2007 ein gutes Beispiel für sein paranoides Denkmodell: »Ich traue niemals automatisch irgendeiner Untersuchung der Regierung, weil ich glaube, dass es zu viele Gebiete gibt, wo die Regierung etwas vertuscht, sei es beim Kennedy-Attentat oder was auch immer.« Auch wenn Paul selbst kein 9/11-Verschwörungstheoretiker ist, die kulturell tief verankerte Angst vor der staatlich organisierten Verschwörung ist es, die der rechtslibertären Staatskritik in den USA zusätzliche Kraft verlieht.
Ob Pauls Ansichten nicht nur in der außerparlamentarischen Rechten vermehrt Zulauf finden, sondern auch in den staatlichen Institutionen Fuß fassen können, das werden die Wahlen im November zeigen. Dann muss er nämlich seinen Sitz im Repräsentantenhaus verteidigen, und er könnte auch zwei weitere Verbündete im Kongress begrüßen. Denn in Connecticut bewirbt sich der Börsenmakler, Wirtschaftskommentator und Ron-Paul-Berater Peter Schiff, um die republikanische Nominierung für den Senat. Während es Umfragen zufolge für Schiff nicht besonders gut steht, hat ein anderer Vertrauter von Ron Paul beste Chancen, in den Senat einzuziehen: Sein Sohn Rand Paul will in Kentucky antreten und ist in allen Umfragen deutlicher Favorit bei den republikanischen Vorwahlen. Der 47jährige Augenarzt und Politaktivist kann sich nicht nur der Unterstützung seines Vaters sicher sein. Die Waffenlobby-Organisation Gun Owners of America steht ebenso hinter ihm. Und auch Sarah Palin, der Politstar der US-Rechten, hat ihre Unterstützung erklärt.