Über die Arbeitsbedingungen südafrikanischer Sexworker

Sommer, Sonne, Sexarbeit

Ganz egal, wo die Fußballweltmeisterschaft stattfindet: Alle vier Jahre heißt es, Tausende Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter strömten aus aller Welt an den Austragungsort. Doch auch bei der kommenden WM in Südafrika dürften sich diese Klischees nicht erfüllen. Statt mehr Freiern und mehr Konkurrenz droht dem süd­afrikanischen Sexgewerbe während der WM vor allem eines: härtere Repression.

Manche Zahlen halten sich hartnäckig. »40 000 zusätzliche Huren erwartet«, schrieb Bild am 8. Mai in einem Artikel über die nahende Fußballweltmeisterschaft in Südafrika und spielte damit auf die gemeinhin unterstellte Verbindung von Fußball mit Sex und »echter Männlichkeit« an. Damit steht Bild keineswegs alleine da, häufig wird davon ausgegangen, große Sportereignisse ließen die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen in die Höhe schnellen. Auch der UK Daily Telegraph, die New York Daily News und die meisten der südafrikanischen Zeitungen prophezeiten eine Flut von 40 000 Prostituierten aus anderen afrikanischen Staaten sowie aus Osteuropa.
Betrachtet man allerdings den durchschnitt­lichen Stundenlohn, den Sexarbeit in den einschlägigen Straßen von Kapstadt und Johannesburg einbringt, fragt man sich, wer davon eigentlich eine Reise nach Südafrika finanzieren kann. Bereits zur WM 2006 wurden in Deutschland 40 000 zusätzliche Prostituierte erwartet, die – so wurde voller xenophober Ressentiments befürchtet – über die osteuropäischen Länder »eingeschleust« würden und Deutschlands Grenzen zu »unterwandern« drohten. Dass bei der WM in Südafrika ausgerechnet wieder 40 000 Prostituierte einreisen sollen, scheint schon deshalb abwegig, da die Fifa für die diesjährige WM nur ein Sechstel der Gästezahl von 2006 erwartet.

Ebenso falsch ist die Vermutung, dass viele Menschen während der WM gegen ihren Willen zur Sexarbeit gezwungen würden. Schon 2006 wurden aus den erwarteten 40 000 zusätzlichen Prostituierten in den Medien schnell 40 000 Zwangsprostituierte. In Südafrika wurde diese Zahl in einem Promo-Clip der Kampagne »Stop 2010 Human Trafficking« mit lokalen B-Prominenten sogar auf 100 000 gesteigert, was wie­derum besorgte Moralistinnen und Moralisten, konser­vative Politikerinnen und Politiker sowie radikale Feministinnen und Feministen auf den Plan rief.
Daher wird in den südafrikanischen Medien und NGO derzeit viel über die Aufdeckung und Prävention von Fällen diskutiert, in denen Frauen und Kinder gehandelt und sexuell ausgebeutet werden. Dass vor allem über Menschenhandel und Zwangsprostitution gesprochen wird, verdankt sich wohl der Tatsache, dass das Arbeitsfeld der sexuellen Dienstleistungen als eines der moralisch verwerflichsten gilt, bei dem automatisch jede Freiwilligkeit ausgeschlossen scheint.
Doch weder führt jede Form von Menschenhandel in die Prostitution, noch ist jede migrantische Sexarbeiterin ein Opfer von Menschenhandel. Viele entscheiden sich freiwillig zur Sexarbeit – soweit jedenfalls, wie in kapitalistischen Verhältnissen von Freiwilligkeit die Rede sein kann. »Da kam ein Mann zu mir und sagte, er würde mir 100 Rand geben, wenn er meine Brüste berühren dürfte. Ich habe erst ›Nein‹ gesagt, aber dann dachte ich, ich brauche das Geld, und wenn Sexarbeit so einfach ist, warum nicht?« erzählt etwa die dreifache Mutter Glenny von ihrer ersten Begegnung mit einem Freier. Dass Sexarbeit stets mit Menschenhandel in Verbindung gebracht wird, verhindert nicht nur die Anerkennung der Sexarbeit als Arbeit, sondern verharmlost auch die Gewalt, die den tatsächlich von Menschenhandel Betroffenen angetan wird.

Empirisch konnten zur WM 2006 weder die angeblich vermehrten Fälle von Menschenhandel nachgewiesen werden noch der prognostizierte Anstieg der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen. In der Sexindustrie kam es dem Deutschen Frauenrat zufolge 2006 stattdessen zur Abnahme der Verdienste. Selbst die Internationale Organisation für Migration (IOM) bestätigte in ihrem abschließenden Bericht vom September 2006, dass die Schätzung von 40 000 Menschen­handelsopfern zum Zwecke sexueller Ausbeutung gegenstandslos gewesen sei. Vielmehr hätten die Fälle von Zwangsprostitution während der WM sogar abgenommen. Auch die Situation während der WM in Südafrika dürfte sich kaum von der dort üblichen Hochsaison des Sextourismus im Januar und Februar unterscheiden. Die erwartete Zunahme von Sexarbeit und Menschenhandel zur Weltmeisterschaft in Südafrika dürfte damit ebenso ein Klischee sein wie die angeblich stets scheinende afrikanische Sonne hier am winterlich verregneten Kap.
Auffällig ist vor allem, dass trotz des Medien-Hypes um Fußball und bezahlten Sex die südafrikanischen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter selbst meist nicht zu Wort kommen – abgesehen von voyeuristischen Reportagen. Dabei sind einige der im Sexgewerbe Tätigen durchaus in Verbänden organisiert, die sich zu Wort melden, etwa im Sisonke-Netzwerk, der Bewegung südafrikanischer Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen, oder über »Sweat«, der Sex Workers Education and Advocacy Taskforce. Sweat organisiert im Kapstädter Community House alle zwei Wochen ein offenes Treffen für die Branche, dort gibt es für alle Mittagessen und die Möglichkeit, sich auszutauschen und rechtliche oder psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen.
Auch hier ist die WM ein großes Thema. Dass für die Weltmeisterschaft zehn riesige Stadien gebaut wurden, obwohl es in Südafrika für viele weder Gesundheitsversorgung noch ausreichende Ernährung gibt, finden viele empörend, aber trotzdem sorgt die WM für Hoffnung. »Zur Weltmeisterschaft kommen viele Ausländer nach Südafrika, also erwarte ich einen Haufen harte Währung in meinem Geldbeutel und vielleicht ein paar nette neue Boyfriends, die mich einladen, sie mal zu besuchen«, antwortet die 28jährige Thandeka auf die Frage, was sie sich von der WM erwarte.
Aber Thandeka befürchtet auch, dass sich die Schikanen der Polizei verschlimmern könnten. Durch den Sexual Offences Act von 1957 ist jegliche Form von Sexarbeit in Südafrika illegalisiert. Praktisch bedeutet das für alle Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, dass ihnen ständig willkürliche Geldstrafen und Verhaftungen drohen. Weil ihr Gewerbe illegal ist, sind sie den Polizisten schutzlos ausgeliefert. Das Gewaltpotential gegenüber Frauen und sexuellen Minderheiten ist in Südafrika insgesamt schon hoch, doch Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen gehören mit Sicherheit zu den Verletzlichsten. Wer an öffentlichen Orten, etwa auf der Straße oder an Truckstops, arbeitet, ist besonders betroffen. Viele berichten von Beschimpfungen, Übergriffen und Vergewaltigungen durch Polizisten. Oder von der Erpressung sexueller Dienste im Austausch gegen Haftentlassung. »Drei von uns wurden festgenommen und in verschiedene Zellen gesteckt«, erzählt Mandisa. »Eine wurde dann freigelassen, und als wir fragten, warum sie freikam, während wir noch sitzen, hat einer der Polizisten angedeutet, dass sie freigelassen wurde, weil sie Sex mit einem der Polizisten hatte.«
Dass die bisherige Gesetzgebung für die Sicherheit der Weltmeisterschaft, um die sich die ganze Welt derzeit Sorgen macht, nicht gerade hilfreich ist, hat der frühere südafrikanische Polizeichef Jackie Selebi schon vor mehr als zwei Jahren erkannt. Wenn sich die Polizei um Sexarbeit und gar um den ebenso illegalen öffentlichen Alkoholkonsum kümmern muss, sind weniger Kräfte verfügbar, die sich um die Sicherheit des Fußball-Tourismus kümmern können. Da Sexarbeit der Mehrheit der südafrikanischen Bevölkerung als unmoralisch und unafrikanisch gilt, stieß der Vorstoß des ehemaligen Polizeichefs, Prostitution zu legalisieren, auf wenig Gegenliebe.

Doch wegen dieser Diskussion bietet die WM immerhin auch einen Anlass, rechtliche Verbesserungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter einzufordern. So fordern Sweat und der South African National Aids Council (SANAC) ein Moratorium, das der Branche während der WM sicherere Arbeitsbedingungen gewährleisten und garantieren soll, dass es in dieser Zeit keine polizeilichen Interventionen und willkürlichen Verhaftungen gibt. Über die WM hinaus fordern die Verbände langfristig die Legalisierung von Sexarbeit nach dem neuseeländischen Modell, das Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern vollen Schutz durch das Zivil- und Arbeitsrecht gewährleistet – und das ohne einschränkende Reglementierungen wie Rotlicht- und Sperrbezirke. Nach Ansicht von Vivienne Lalu, einer Mitarbeiterin von Sweat, ist dieses Modell auch die beste Möglichkeit, Safer Sex im Sexgewerbe zu fördern: »Man kann die Sexarbeiterinnen mit Millionen von Kondomen überhäufen und noch so viele Safer-Sex-Workshops anbieten, aber wenn ihnen ständig fundamentale Menschenrechte verweigert werden, wird sich Safer Sex nie wirklich durchsetzen«. Und Safer Sex zu fördern ist in Anbetracht der hohen HIV-Verbreitung in Südafrika, die derzeit bei ca. 16 Prozent liegt, ein durchaus berechtigtes Anliegen.
Doch die eigens für eine langfristige Reform des Sexarbeit-Gesetzes gegründe Kommission ist noch nicht besonders weit: Ihr Gesetzentwurf ist nicht mehr vor September zu erwarten. Zu lange dauern die Debatten an, zu radikal erscheint vielen die komplette Legalisierung und damit der Verzicht auf die staatliche Reglementierung des Gewerbes. Wie auch hierzulande werden die Reglementierungen in Südafrika gern mit der Sorge um das Wohl der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter begründet. Dass Verbote allerdings käuflichen Sex noch nie unterbinden konnten, sondern vielmehr die Situation der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verschlechtern, sollten inzwischen auch die Moralischsten unter den Feministinnen und Feministen mitbekommen haben.
Ob sich das Moratorium sowie langristig die Legalisierung durchsetzen, ist unklar. Klar ist, dass sich die Bedingungen für Sexarbeitet mit der nahenden WM derzeit verschlechtern. In Kapstadt sorgt ein speziell eingerichteter »Vice Squad« dafür, die Straßen für die WM aufzuräumen. »Die Polizei schikaniert uns. Letzte Woche hat mir ein Polizist gedroht, dass er mich inhaftiert, sobald er mich nochmal auf der Straße sieht. Ich kann mich dort, wo ich wohne, gar nicht mehr aufhalten vor lauter Angst, festgenommen zu werden«, erzählt eine der Frauen.
Auch in mehreren Eskort-Agenturen wurden in den vergangenen Monaten Razzien veranstaltet und Kondome als Beweis für Sexarbeit konfisziert. Da die Beschlagnahmung von Kondomen nicht direkt als der HIV-Prävention dienlich angesehen werden kann, bleibt zu hoffen, dass sich hinsichtlich des geforderten Moratoriums in den nächsten Wochen doch noch etwas bewegt.