Wirtschaft kann man verstehen. Wenn man will

Aaarrrgh! Tötet es!

Die Krise hat es offenbart: Wirtschaft ist ein Alien. Was ist da draußen los?

Wenn im deutschen Fernsehen, in Feuilletons und auf den meisten Blogs von Wirtschaft die Rede ist, höre ich immer dieses kreischende, schrille, schreckliche Geräusch. Das kenne ich aus Ridley Scotts Meisterwerk »Alien«. Das Geräusch erklingt, wenn das Biest, das Fremde zuschlägt. Bei uns heißt das Wirtschaft, Markt, Kapital. Der Trick bei »Alien« besteht darin, dass man das Biest kaum sieht. Was man nicht kennt, macht Angst. Angst vorm Unbekannten ist gut. Kann man viel draus machen. Politik und Medien zum Beispiel. Wirtschaft ist Alien. Der Fremde. Der Ausländer. Das Biest. Es gibt kein Entrinnen. Es wird uns alle töten. Aaarrrgh!
Das haben wir gelernt, aber was eigentlich noch? Eine kritische, im Idealfall sogar konstruktive Diskussion über Finanzmärkte, Spekulation, Banken und Ökonomie wäre ja eigentlich so schlecht nicht. Aber es läuft nicht, und das liegt daran, dass Ursachen und Wirkungen in der medialen Rezeption hilflos durcheinanderpurzeln. Man phantasiert, weil man zu lange Alien geguckt hat, ein Monster, das vielleicht so überhaupt nicht existiert. Deutsche gucken seit fast 200 Jahren Alien, sprich: Sie üben sich in antikapitalistischer Attitüde, ohne dabei irgendwann mal versucht zu haben, Wirtschaft und Ökonomie zu verstehen, als Bildungsgut. Man kann hierzulande, wie der Statistiker und Autor Walter Krämer in Brand eins feststellte, bei jeder Stehparty damit punkten, in Mathe eine Null gewesen zu sein. Genauso sicher kann man sich auf einen antikapitalistischen Reflex im Alltag verlassen.
Wer vermittelt die Krise? Journalisten und Politiker. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen befragen brave Talkmaster die üblichen Verdächtigen zum Thema. Brauchen wir Regulierungen? Haben wir genug Gesetze? Was ist das da draußen eigentlich? Zuständig dafür sind Leute wie Frank Plasberg, der Politik und Pädagogik studiert hat. Das macht aber nix, denn er stellt seine Fragen Leuten wie Joachim Poß, der es zum Finanz- und Haushaltssprecher der SPD gebracht hat. Der Mann war immerhin Geschäftsführer des »Falkenbildungs- und Freizeitwerks NRW e.V.« und 2006 »Pfeifenraucher des Jahres«. Damit ist Poß aber deutlich höher qualifiziert als die anderen Talkshow-Gäste, beispielsweise der altersumtriebige Heiner Geißler (Jesuit, Philosoph), Sigmar Gabriel (Lehrer), Gesine Lötzsch (Lehrerin) oder Horst Seehofer (Beamter). Kriegen solche Leute Finanzsysteme und Spekulanten in den Griff? Aber sicher, sofern die sich angesichts dieser Laienspieltruppe totlachen.
Damit es kein Missverständnis gibt: Man kann alles über Wirtschaft wissen, wenn man will. Wer die Regeln brechen will, muss sie zunächst mal kennen. Doch es ist die bewährte Show, die in den Medien und in der Politik läuft. Die Bedeutungsoberhuber vom Fernsehen – und ihre Epigonen in allen Mediensorten, längst auch im Web – suchen die immer gleichen Bedeutungsoberhuber aus der Politik. Gegenseitig versichert man sich dann in vollständiger Ahnungslosigkeit, dass da draußen was ist. »Tötet es!«
Emanzipation bedeutet, dass man sich in die Lage versetzt, handeln und entscheiden zu können. Alles andere ist nicht Emanzipation. Die Voraussetzung für ein autonomes, selbständiges, freies Leben ist schlicht materielle Unabhängigkeit, und zwar durch eigene Kraft. Doch in Deutschland wird unselbständige Erwerbsarbeit vergöttert, der »Vollzeitarbeitsplatz« und die Ahnungslosigkeit über Ökonomie verwaltet.
Und die Wirtschaftsmedien? Nun ja. Wirtschaftsredakteure gehören klassischerweise nicht zu den Bedeutungsoberhubern im Geschäft. Kaum war Krise, standen schon die üblichen Verdächtigen aus der Politikredaktion in den Startlöchern. Die Kollegen mit Fachkenntnis dürfen dann ein wenig zuarbeiten, was aber angesichts des Wissensstands eines durchschnittlichen deutschen Politikjournalisten ungefähr so viel Sinn macht, wie ein Alien am Schwanz zu kitzeln. Und ganz ehrlich: Viele Wirtschaftsjournalisten sind wirklich Aliens, zumindest denkt man das, wenn man ihre Geschichten liest. Kein Wunder, dass sich Leute vor der Schreibe von Börsen- und Finanzjournalisten fürchten. Grundlos. Das Biest ist nur stinklangweilig.
Wirtschaft, wie sie im Fernsehen zu sehen ist, ist Unterhaltung, hat mit Wissensvermittlung nichts zu tun. Es ist eine esoterische, bauch­gesteuerte, von Vorurteilen und Unwissenheit triefende Alien-Show, bei der es darum geht, auf das Monster zu ballern statt etwas zu lernen. Es ist gut, dass ein wenig Krise ist, weil das dazu führt, dass wir ein wenig näher an die Realität heranrücken.
Ein bisschen Meinung wird nicht genügen, um die Systeme zu verändern. Man muss schon auch eine Ahnung haben von dem, was man tun will. Leute, die so etwas haben und mehr, wachsen ohnehin seit Jahren nach. Auch hier hat die Krise nachgeholfen: Keinen festen Arbeitsplatz, kein Staat, der alles blecht – das gibt es für viele schon länger. Sie müssen sich selbst helfen. Sie lernen und leben und erleben Wirtschaft, nicht als fernen Planeten mit merkwürdigen Aliens, sondern als Teil und Voraussetzung für alles andere. Fortschritt ist, wenn man tut, was man kann.
Der Autor schreibt regelmäßig die Leitartikel im Wirtschaftsmagazin »Brand eins«.