Warum die Österreicher Humor und die Deutschen nur Comedy haben

Die Liste der unbeliebtesten Klopapierfarben

In Österreich ist nicht alles besser, der Humor aber schon. Sonja Eismann über Realsatire und alternative Satire im österreichischen Fernsehen

Während in Deutschland Lustigkeit abseits großforma­tiger, unangenehmer Comedy-Shows meist nur in den Zwischenansagen von Bühnenprogrammen wirklich witziger Szene-Akteure wie Christiane Rösinger, Rocko Schamoni oder Bernd Begemann vorkommt, weil niemand sich an der verpönten Kleinkunst die Finger schmutzig machen will, hat Österreich es besser: Hier gibt es viele alternative Humorformate, bei denen man wirklich freiwillig lachen möchte.
»Good-bye, Kärnten’s Rose, du bist zu schnell gefahren, weil du die Geschwindigkeitsbegrenzung auf dem Schild nicht lesen konntest, weil die 70 da auf Slowenisch stand!« Zur kitschigen Musik von Elton Johns »Candle in the Wind« schmetterten die beiden Komiker Christoph Grissemann und Dirk Stermann in ihrer Kabarett-Talkshow »Willkommen Österreich« ihre persönliche Abschiedshymne an den rechtspopulistischen Kärtner Landeshauptmann, der Tage zuvor betrunken in den Tod gerast war. Zuvor wurden Witze über Marienerscheinungen auf brennenden Ortstafeln sowie Späße über slowenische Kinder gemacht, denen »Jörg Christus« erschienen war: »Was ist mit denen passiert?« – »Abgeschoben!« Angespielt wurde damit auf Haiders notorische Weigerung, zweisprachige Ortsschilder für die slowenische Minderheit in Kärnten anbringen zu lassen, wie es das Gesetz vorschreibt. Der staatliche Sender ORF, der das TV-Format ausstrahlt, bekam wütende Anrufe, die beiden Komiker Morddrohungen, und am Wagen eines Kärntner Eventmanangers, der einen Auftritt der beiden Moderatoren an der Uni Klagenfurt organisieren wollte, wurden in einem Sabotageakt die Radmuttern gelockert.
Das tut der Beliebtheit der beiden ursprünglichen Radiostars, die mit der absurden Dating-Show »Radio Blume« auf dem alternativen ORF-Sender FM4 groß wurden, allerdings keinen Abbruch. Wichtige Regel: Der Moderator hat immer das letzte Wort. Ein Anrufer erklärte: »Ich rauche zwar, bin aber ein sehr sportlicher Typ.« Darauf Stermann: »Das heißt also, du fährst mit dem Fahrrad zum Zigarettenautomaten?« Nach einer Runde mit Witzen zum aktuellen Geschehen werden hier jeden Donnerstagabend zwei Prominente zum Talk begrüßt – eingeladen wird alles zwischen Heino und Soap & Skin – und mit respektlosen bis selbstironischen Fragen freundlich in die Mangel genommen. Warum das selten so peinlich ist wie Kurt Krömers ähnlich gemeinte, dabei aber unerträglich distanzlose Respektlosigkeit, sondern meistens sehr lustig – das ist wohl eines der Erfolgsgeheimnisse der österreichischen »alternativen« Humorlandschaft.
Robert Stachel vom Wiener Komiktrio Maschek, das einst in der winzigen Wiener Szenelocation Hobbythek Liedzeilen sang wie »Bruno Kreisky, Bruno Kreisky, Bruno Kreisky, du woarst mei erster Kanzler, dös vergiss i nie« und nun mit seiner so simplen wie urkomischen Polit-Playback-Show ganze Theaterhallen füllt, meint zum Qualitätsgefälle zwischen dem fein ziselierten, lakonischen Ö-Humor und dem grobschlächtigen deutschen Barth-Witz: »Über die Berliner Schnauze an der Currywurstbude, im Taxi oder am Kiosk kann ich laut losprusten, die furztrockene Kaufmannsart der Hamburger finde ich urkomisch, ja, selbst die Kölner können mir großen Spaß bereiten, wenn sie nicht gerade ihre Karnevalshüte aufhaben. Mein Verdacht, warum uns die Deutschen so viel lustiger finden? Weil wir so ulkig daherreden, weil wir niedlichere Wortbilder, kernigere Kraftausdrücke und leidenschaftlichere Übertreibungen draufhaben. Und weil wir einen etwas anarchistischen Zugang zur deutschen Sprache haben, manchmal freiwillig, oft unfreiwillig.«
Der österreichische Schmäh speist sich sicherlich zu einem Gutteil aus der Lust am Spiel mit dem Dialekt, der in Deutschland als Klassen- oder Provinzmerkmal übel beleumundet ist. Schon bei anarchischen bis sozialrealistisch düsteren, bahnbrechenden Fernsehserien wie der Krimireihe »Kottan ermittelt« (1976 bis 1983) oder der Prolo-Soap avant la lettre »Ein echter Wiener geht nicht unter«, auch bekannt als »Mundl« (1975 bis 1979), waren Wienerische Kraftausdrücke wie »Du Nudelaug‹« alltagsnahe Witzgaranten.
Man könnte auch argumentieren, dass in einem Land, in dem an Provinzpossen gemahnende Polit­skandale um perfekt gefönte Witzfiguren wie den Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, in Österreich nur »KHG« abgekürzt, an der Tagesordnung sind, in dem der dicke Neffe a.k.a. Vizekanzler in einer satirisch anmutenden Kampagne völlig ernsthaft »Österreichs Superpraktikanten« aussucht oder in dem ein grenzdebil wirkender Unternehmer wie Richard Lugner mit seinen fast 80 Jahren immer neue junge Frauen mit Tiernamen wie »Bambi« und »Katzi« in seiner eigenen Reality-TV-Show begrapscht, der Alltag genug Stoff für schrille Komödien bietet. Und dass daneben das Lakonische und Abgründige bitterfröhliche Blüten treiben kann – und zwar nicht nur in Form des mittlerweile auch in Deutschland berühmten Josef Hader, der neben seinen Rollen als grantelnder Privatdetektiv Brenner in den Wolf-Haas-Krimiverfilmungen gerade wieder einen Triumph als ausgebooteter Krankenhauspathologe im ORF-Zweiteiler »Die Aufschneider« feiern konnte, sondern auch in allerlei alternativen Formaten.
Seit Jahren persiflieren die Betreiber der FM4-Sendung »Projekt X« mit grotesken Gesprächsanordnungen sowohl klassische Talkshows wie auch herkömmliche Comedy. Der Zeichner Tex Rubinowitz, wie Dirk Stermann ein aus Deutschland Zugereister, unterhält mit seinen Krakelzeichnungen die Leserschaft der Wiener Stadtzeitung Falter und gibt mitunter lustige Bücher heraus (eine der besten Listen aus seinem Listen-Buch »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«: Die unbeliebtesten Klopapierfarben. Platz 2: schwarz. Platz 1: braun). Die Truppe Maschek unterhält mit ihren respektlosen Synchronisationen von Fernsehnachrichten oder ihrem Politik-Kasperletheater, und Austrofred, die selbsternannte österreichische Reinkarnation von Freddie Mercury, performt Queen-Songs zu Austropop-Melodien.
Aber auch Projekte auf der Grenzlinie zwischen Kunst und Wissenschaft, wie das Nerd-Prankster-Kollektiv Monochrom, reitet der Schalk. 2002 ließen sie mit viel Getöse Georg Paul Thomann an der Kunstbiennale São Paulo für Österreich teilnehmen – Thomann gab es ­allerdings gar nicht. Auf ihrer mit allerlei Gadgets und Gags vollgestopften Website gibt es den großartigen Bürozeitvertreib »DJ Randomizer«, bei dem per Knopfdruck die Absurdität von spezialisiertem Genre-Wissen und Hipstertum karikiert wird. So kann man hier zum Beispiel »DJ Tulpenzwiebel« abrufen. Der »legt am liebsten Ska-Metal auf und trägt dabei ein schokoladenfarbenes T-Shirt mit der Aufschrift ›I am on a thirty day diet. So far, I have lost 15 days‹.« Oder: »DJ Türkisches Bad legt am liebsten Alternative Country-Rock auf und trägt dabei ein weiß verwaschenes T-Shirt mit der Aufschrift ›Fat People Are Harder To Kidnap‹.«
Aber auch den versiertesten österreichischen Komikern wie Stermann & Grissemann, die in ihrer Heimat alternative Superstars sind, verschlägt es manchmal die Sprache. Zum Beispiel, als einmal ein kindlich klingender 13jähriger in der Verkuppelungsshow »Radio Blume« anrief und von Stermann mit der Aussage »Du glaubst doch sicher noch, dass Uri Geller mit purer Konzentration Gabeln verbiegen kann«, abgekanzelt wurde. Woraufhin dieser trocken antwortete: »Ich glaube nicht mal, dass Uri Geller seinen eigenen Penis verbiegen kann.«