Über die Feministische Bewegung in der Türkei

Mit lila Nadel und Genderdiskurs

Die feministische Szene in der Türkei ist sehr heterogen. Dennoch konnte die Frauenbewegung in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Erfolge erzielen. Die Sozialistisch-feministischen Kollektive stellen das Thema der unsichtbaren und unbezahlten Arbeit von Frauen ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung.

An der Mobilisierung zum Istanbuler Taksim-Platz am 1. Mai beteiligte sich auch ein Zug von etwa 300 Feministinnen, darunter Mitglieder der erst 2009 offiziell gegründeten und mittlerweile in mehreren Städten vertretenen Sozialistisch-feministischen Kollektive (SFK). Auf ihrem Flugblatt hieß es »Hausarbeit soll Männerarbeit sein!« und »Wir arbeiten sowohl zu Hause als auch zum Erwerb. Wir machen eine Doppelschicht. (…) Ob verheiratet oder nicht, für die Arbeit, die wir für die Männer, mit denen wir zusammenleben, verrichten, wollen wir Frühverrentung mit 50! Und eine Rente für Hausfrauen!«

In der Türkei gibt es eine breite und politisch äußerst heterogene Frauenbewegung aus Vereinen kemalistischer Frauen, Zusammenschlüssen von Frauen in Berufsorganisationen, Gewerkschaften, Sub- und Ablegergruppen linker Organisationen, karitativ oder religiös ausgerichteten Frauengruppen, Projekten und akademischen Institutionen. Viele dieser Gruppen bezeichnen sich nicht als »feministisch«. Die Kollektive hingegen sind Teil einer unabhängigen feministischen Bewegung, die ein oft impulsgebendes Element in dieser breiten Bewegung darstellt. In dieser Heterogenität drücken sich sowohl die sehr unterschiedliche soziale Situation von Frauen als auch politische Verwerfungen in der Geschichte der Türkei aus. Die rechtlichen Erfolge, die die Frauenbewegung erstreiten konnte, sind vor diesem Hintergrund umso beeindruckender.
Frauen wurden in der Türkei stets, wie die Politologin Ayse Kadioglu schreibt, »in große Gesellschaftsentwürfe eingebunden«, zunächst in das Projekt Türkische Republik. Dessen propagierte Geschlechtergleichheit war allerdings nie eine erreichbare Option für die Mehrheit der Frauen, deren Lebenskontext weiterhin von ländlicher Ökonomie und den Normen des überwiegend sunnitischen Islam geprägt wurde. Ein weiteres Gesellschaftsprojekt verfolgte die sozialistische Bewegung, die erstmals in den sechziger Jahren legal agieren konnte. Frauen hatten vereinzelt als Theoretikerinnen, in großer Zahl als Sympathisantinnen und oft auf logistische Aufgaben verwiesen, Anteil an ihr.
In der Studentenbewegung wurde das kemalistische Gleichheitsideal zum Teil überschritten, andererseits wurde von vielen Gruppen »weibliche Tugendhaftigkeit« propagiert. Es dominierte der Glaube an eine »nationaldemokratische Revolution«, in der dem Militär eine progressive Rolle zugeschrieben wurde. Gesamtgesellschaftlich ohnehin hegemonial, wurden somit soldatische Männlichkeitsideale ungebrochen idealisiert. Später wurde die Linke in Fraktionskämpfe und zunehmend in Konflikte mit der faschistischen Bewegung verstrickt. Obwohl sich in den siebziger Jahren bereits eine vielfältige Opposition sozialistischer Frauen gegen den täglich erlebten Sexismus bemerkbar machte, konnten die individualistischen Neigungen der Genossinnen in dieser Atmosphäre nur wenig Einfluss entfalten.
Eine unabhängige Bewegung, die sich offen als »feministisch« bezeichnete, entstand erst nach dem Putsch im Jahr 1980. Orientierungspunkte waren die Neuen Frauenbewegungen in Großbritannien, den USA und Frankreich. In nur wenigen Jahren wurden deren Debatten rezipiert und aus lokaler Sicht weiterentwickelt. Es wurden Bücher übersetzt und Begegnungsräume für Frauen außerhalb der gewohnten Arenen geschaffen. Gesellschaftlich wirksam wurden Feministinnen vor allem mit dem Thema Männergewalt. 1989 starteten sie die mittlerweile regelmäßig wieder aufgenommene Kampagne »Lila Nadel«. Frauen auf der Straße bekamen eine große Stopfnadel in die Hand gedrückt, um sich gegen sexuelle Übergriffe wehren zu können.
Diese Praxis vereinte unterschiedliche Strömungen, die sich von Beginn an hörbar machten. Vor allem in Istanbul, dem Zentrum der Bewegung, kam es zum intellektuellen Schlagabtausch zwischen »sozialistischen« und »Radikalfeministinnen«. Ersteren wurde mit einem Spaltungsvorwurf begegnet, sie zögen politische Energien von der Konzentration auf Frauen ab und seien kompromisslerisch gegenüber der Linken, aus deren Gruppen sich die erste Generation feministischer Aktivistinnen nahezu vollständig rekrutierte.
So wurde der Streit um die Legitimität feministischen Widerstands in der Linken hitzig ausgetragen. »Bourgeoise Abweichung« wurde zum antifeministischen Topos, wie auch der Vorwurf, Feministinnen hätten politisch vom Putsch profitiert. Dagegen wandten sich sozialistische Feministinnen in ihrer Zeitschrift Kaktüs (1988-90) und widersprachen damit auch einer gängigen feministischen Geschichtsschreibung: Zwar konnten Feministinnen nach der Zerschlagung der Linken tatsächlich etwas unbehelligter eine eigenständige Tagesordnung entwickeln, die Ausschaltung gesellschaftlicher Opposition bedeutete jedoch auch für sie eine politische Schwächung und inhaltliche Verarmung.

Der Aufbau einer oppositionellen Identität als »Frauen« verschloss in den achtziger Jahren den feministischen Blick für weitere Differenzen. Auch dass die damalige kurdische Bewegung Mutterschaft idealisierte, trug dazu bei, dass ein politischer Kontakt sich erst später, mit dem Anwachsen frauenpolitischer Dynamiken in der kurdischen Bewegung entwickelte.
Aus all dem erklärt sich das politische Profil der heutigen SFK, die stets ihre Loyalität zur unabhängigen feministischen Bewegung betonen (die Gründungserklärung ist auf Englisch unter www.sosyalistfeministkolektif.org/zu finden). Ihre Bündnispartnerinnen sind vor allem kurdische und gewerkschaftlich organisierte Frauen. Im Jahr 2008 beteiligten sich die Kollektive an einer breiten Kampagne gegen Reformen der Sozial- und Gesundheitspolitik. Sie stellten heraus, dass Frauen verschärft in Abhängigkeit von Männern geraten, denn die Streichung von Versicherungsmöglichkeiten zwingt angesichts des fortschreitenden Abbaus von sozialversicherten Arbeitsverhältnissen mit ausreichendem Lohn viele Frauen praktisch zur Eheschließung.
In ihren Analysen greifen die SFK auf ein weiteres Projekt sozialistischer Feministinnen der achtziger Jahre zurück: die Kritik an der Frauen aufgeladenen Haus- und Sorgearbeit, mithin die türkeispezifische Variante der »Hausarbeitsdebatte«. Da die meisten theoretischen Anregungen damals von einem Häuflein »wutschnaubender Emanzen« kam, die Cafés besetzten und die Nacht erobern wollten, hielten viele sozialistische Frauen Distanz. 20 Jahre später hingegen hat das Ziel, diese »unsichtbare Arbeit« sichtbar zu machen, mehr Anhängerinnen gefunden. Auch das Wutschnauben ist heute verbreiteter. Und während etwa die Frauen der sozialistischen Basisorganisation Halkevleri (»Volkshäuser«) auf ihrem ersten, 2009 mühsam erstrittenen überregionalen Frauentreffen die Kategorie gender noch sehr skeptisch betrachteten, tönen die Schreiberinnen des SFK schon, diese werde zu einem »regulativen gesellschaftlichen Prinzip und verliere ihre ursprüngliche kritische Bedeutung.
Eine Übersetzung des 1988 erschienenen Buches »Frauen – die letzte Kolonie« von Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof ins Türkische erschien erst 2008 und wird seitdem auch von SFK-Mitgliedern begeistert diskutiert. Die oben zitierten Forderungen machten sich die Kollektive im Austausch mit dem Global Women’s Strike zueigen. Sowohl dessen Ansatz als auch Mies’ Hausfrauisierungsthese haben mit dem, was sich in Nordeuropa als »sozialistisch-feministische Theorie« entwickelte, recht wenig gemein. Und die SFK betonen entsprechend einen Nuancenunterschied zum Global Women’s Strike: »Lohn für Hausarbeit« betoniere die Identität von Hausfrauen und sei keinesfalls ihre Maxime. Rund um die »Hausarbeit« ist so ein Diskurs mit vielen Eigenheiten und Ungleichzeitigkeiten entstanden, der gegenüber den achtziger Jahren neue feministische Handlungsmöglichkeiten beinhaltet. Um dazu Antonio Gramsci zu bemühen: Es macht einen Unterschied, ob ein Häuflein Feministinnen an einem Theorieproblem arbeitet oder viele sich, auch widersprüchlich und im Zuge vieler Neuentdeckungen der Problemkategorie »Frau«, an einem Kampf um die Durchsetzung neuer Sichtweisen beteiligen. Der Streit zwischen Elementen des Höhlenfeminismus und Prinzipien fortgeschrittenster gender studies kann die Sache voran– und über die Frührente hinausbringen.