Die Nerven liegen blank. Die Krise der schwarz-gelben Koalition

Regierung im Rosenkrieg

Es kriselt bei Schwarz-Gelb. Seit der Wahl in NRW liegen b ei der Regierung endgültig die Nerven blank. Die Koalitionäre befinden sich im Dauerstreit.

Von Hollywoodfilmen kann man lernen. Sobald sich dort zwei Wunschpartner finden, ertönt schnell die Schlussmusik. Kluge Regisseure wissen, dass nach der Romanze das Drama beginnt. Dieses Phänomen dürfte auch Politikern nicht unbekannt sein, deswegen fällt ihre Freude über gefundene Koalitionspartner meist verhalten aus. Eigentlich würde man ohnehin gerne auf die Partnersuche verzichten, aber die Mehrheitsverhältnisse lassen das selige Singleglück der Alleinherrschaft schon lange nicht mehr zu. Die Koalition wird als unvermeidbares Übel für das Regieren begriffen und in der Regel auch als solches präsentiert. Falls man aufgrund der Böswilligkeit des Souveräns zu einer Zwangsheirat genötigt wurde, darf man zumindest als Mitglied einer großen Koalition durchaus offen sein Unbehagen zeigen. Die optimale Begründung für eine offensive Partnerwahl liegt dagegen in der Aufwertung durch eine historisch anmutende Mission. So traten bei den Bundestagswahlen 1998 SPD und Grüne an, um die Bevölkerung von der Ära Helmut Kohl (CDU) zu erlösen. Die derzeitige schwarz-gelbe Koalition konnte nicht mit einem so eindrucksvollen Projekt aufwarten, deswegen einigte man sich auf die gemeinsame Formel des »bürgerlichen Wunschpartners«. Mittlerweile bereuen vermutlich sämtliche Mitglieder der an der Regierung beteiligten Parteien diese Formulierung.

Die Möglichkeit, dass die Koalition aus CDU, CSU und FDP einem Hollywoodskript folgen und es um den diskreten Charme der Bourgeoisie schlecht bestellt sein könnte, zeichnete sich von Beginn an ab. »Seit 2.15 Uhr sagen wir Horst und Guido zueinander. Das ist der Beginn einer großen Freundschaft«, plauderte Guido Westerwelle (FDP) schon allzu vertraulich, als die Regierungspartner ihren Koalitionsvertrag präsentierten. Am Tag darauf zeigte sich Westerwelle auf dem Bundesparteitag der FDP in Siegerpose und erklärte, dass er in den Koalitionsverhandlungen »nahezu alles« habe durchsetzen können. Die Programmatik der FDP reduzierte sich auf die man­traartig wiederholte Forderung nach Steuersenkungen für besser verdienende »Leistungsträger« und die Absicht, in der Krankenversicherung die sozial unverträgliche Kopfpauschale einzuführen. Seine Parteifreunde bejubelten ihn wie einen Popstar. Die CDU hatte sich, mangels eigener Ideen, tatsächlich mit allem einverstanden erklärt und lediglich, aufgrund der auch zu diesem Zeitpunkt allgegenwärtigen Finanzkrise, auf einem Finanzierungsvorbehalt für die geplanten Steuersenkungen beharrt. Die Rolle der CSU konzentrierte sich darauf, das mögliche Konfliktpotential in der Koalition zu sondieren. Knapp eine Woche nach dem Beginn der wunderbaren Freundschaft erklärte Horst Seehofer (CSU), die gesundheitspolitischen Ambitionen der FDP blockieren zu wollen. Die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags sei natürlich nicht sein letztes Wort gewesen. Die Überleitung von der Romanze zur Ankündigung schwerwiegender Differenzen wurde ungewöhnlich rasant umgesetzt.
Das erste und eventuell einmalige gemeinsame Projekt der schwarz-gelben Regierung war die Verabschiedung des »Wachs­tums­beschleu­ni­gungs­gesetzes« im Dezember 2009. Die Koalition leitete damit steuerliche Sofortmaßnahmen ein, von denen Familien mit höherem Einkommen und Unternehmen profitieren. Obwohl die damals beschlossene Senkung der Umsatzsteuer für Hoteliers bei einigen CDU-Politikern leichte Irritationen hervorrief und die Minister der schwarz-gelben Bundesländer lange mit ihrer Zustimmung zögerten, kann man rückblickend sagen, dass das Procedere vergleichsweise harmonisch ausfiel. Christian Wulff (CDU), mittlerweile Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, drohte zwar damit, das Gesetz im Bundesrat zu blockieren, aber er fand schnell in seine angestammte Rolle des mustergültigen Schwiegersohns zurück, die ihn jetzt als unglaublich geeignet für präsidiale Weihen erscheinen lassen soll.

Problematischer wurde das Verhältnis der Regierenden zueinander am Jahresanfang. Westerwelle pochte vehement auf weitere Steuersenkungen, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fand allerdings, dass solche Maßnahmen angesichts der leeren kommunalen Kassen nur schwer vermittelbar seien und man besser die Ergebnisse der Steuerschätzung Ende Mai abwarten solle. Westerwelle zeigte sich vorerst einsichtig, vermutlich war auch ihm klar, dass sein Timing angesichts der bevorstehenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen und des drohenden Finanzkollapses zahlreicher Städte in diesem Bundesland unpassend war. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre beiden Koalitionspartner trafen sich daraufhin in einem Berliner Nobelrestaurant und feierten ausgiebig Versöhnung. Dabei ließen sie sich von ein paar Fotografen ablichten, und am kommenden Tag verkündeten die Medien, dass die Regierung nach leichten Anpassungsschwierigkeiten nun mit einem glücklichen Neuanfang begonnen habe.
Dieser Neubeginn wurde fortan im Monatstakt beschlossen, aus Glaubwürdigkeitsgründen allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auslöser für den ständigen Versöhnungsbedarf war meistens Außenminister Westerwelle, der sich auf der verzweifelten Suche nach einem innenpolitischen Ersatzwahlkampfthema befand, das seiner FDP-Klientel gefallen würde. Er erfand die »römische Dekadenz« auf Hartz-IV-Niveau, spielte Geringverdiener gegen Transferbezieher aus und forderte für letztere Zwangsarbeit.

Bei den Wahlen in NRW kassierte die schwarz-gelbe Landesregierung eine herbe Niederlage, und am Tag darauf verkündete Merkel, dass es vorerst keine Steuerermäßigungen geben werde, stattdessen müsse eisern gespart werden. Danach ging es mit der Koalition rapide bergab. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erklärte, dass es beim großen Sparen keine Tabus geben dürfe und deshalb auch die einzigen Prestigeprojekte seiner Partei, das Elterngeld und die sogenannte Bildungsoffensive, zur Disposition stehen müssten. Eine Woche später verkündete Koch seinen Rückzug aus der Politik, in der nicht unbegründeten Hoffnung, die gestalterischen Mittel zukünftig in der Wirtschaft zu finden, die dank der Niedriglöhne weiterhin floriert. Als wenige Tage später auch Bundespräsident Horst Köhler sein Amt schmiss, wurden die dauerhaften »Anlaufschwierigkeiten« der Koalition erstmals als veritable Regierungskrise bezeichnet. Dieses Wort hatte den Effekt eines therapeutischen Befreiungsschlags, innerhalb kürzester Zeit fielen sämtliche »bürgerliche« Hemmungen. Die FDP bezeichnete die CSU als »Wildsau«, nachdem die Partei ihr Konzept für eine Gesundheitsreform abgelehnt hatte, und die Bayern revanchierten sich mit einem Appell an die »gesundheitspolitische Gurkentruppe«.
In der vergangenen Woche verstrich kein Tag ohne mindestens einen handfesten Eklat. Man stritt über die Steuerpolitik und über mögliche staatliche Mittel für die Rettung von Opel. Die FDP drohte damit, den Bundespräsidentschaftskandidaten Wulff nicht zu unterstützen, und Merkels Bildungsgipfel scheiterte an der offenen Rebellion der Ministerpräsidenten ihrer eigenen Partei. Nachdem am Wochenende mit der Veröffentlichung von Umfrageergebnissen die verheerende öffentliche Resonanz auf dieses Spektakel deutlich wurde, gab man sich reumütig. Man wolle sich künftig stärker auf den bürgerlichen Stil besinnen, hieß es. Das bedeutet, der Rosenkrieg wird weitergehen. Die Regierung bemüht sich dieses Mal um einen Neuanfang hinter bürgerlichen Fassaden.