Das Sparprogramm der Bundesregierung

Was man so Sparen nennt

Das sogenannte Sparpaket der Bundes­regierung zeigt, wie fest die Regierungs­koalition darauf baut, dass ihre Macht nicht gefährdet ist, solange sie sich mit dem Kapital gut stellt. Dies jedoch könnte sich als Illusion herausstellen.

Zurzeit bereitet die schwarz-gelbe Regierung der Opposition viel Freude. Durch die Nominierung Christian Wulffs als Bundespräsidenten provozierte sie die Kandidatur von Joachim Gauck. Und das Sparpaket, welches sie jetzt auf den Weg gebracht hat, ist eine schöne Vorlage für Kritik. SPD und Grüne werfen Steine aus dem Glashaus, das sie sich von 1998 bis 2005 gebaut haben. Damit die Schwarz-Gelben nicht so allein sind, wollen wir uns ein wenig erinnern:
2002 trat in Deutschland das bereits im Jahr 2000 verabschiedete Gesetz zur Freistellung der Gewinne aus der Veräußerung inländischer Kapitalbeteiligungen an Betrieben in Kraft. 2003 beschloss der Bundestag die Zulassung von Hedge- und Private-Equity-Fonds. Finanzminister war damals Hans Eichel (SPD), die Grünen saßen mit in der Regierung. Dann kam Schwarz-Rot mit dem Koalitionsvertrag von 2005. Dort finden sich Vereinbarungen über die weitere Förderung des deutschen Finanzmarktes. 2009 wurde die »Schuldenbremse« ins Grundgesetz hineingeschrieben. Unter ihr werden die Städte und Gemeinden in den nächsten Jahren ganz besonders zu ächzen haben. Finanzminister war da nicht mehr Hans Eichel und noch nicht Wolfgang Schäuble (CDU), sondern Peer Steinbrück (SPD). Erst 2009 trat Schwarz-Gelb wieder an und setzt beschleunigt fort, was lange vorher begonnen worden war.
Die Bankenrettung 2008 hatte den Zweck, große Gläubiger – Pensionsfonds, Finanzdienstleister aller Art, Privatiers der Sonderklasse – vor dem Verlust ihrer Guthaben zu retten. Da auch die kleineren Sparer sich ängstigten, war das populär, wenngleich teuer. Der Staat musste enorm hohe Kredite aufnehmen. Hier entstand eine neue Gefahr: Vermögen, die in Euro notiert sind, konnten entwertet werden, wenn die ungedeckte Geldmenge aufgebläht wurde. Der Kursverlust dieser Währung macht diejenigen ärmer, die viel von diesem Stoff haben. Das war der Grund für die »Schuldenbremse«, nicht irgendeine Sorge darüber, dass sonst die »Zukunft nicht mehr finanzierbar« sein werde. Warum auch? Wer gutes Geld in noch bessere Infrastruktur investiert, entwertet es nicht, im Gegenteil: Es werden neue, solidere Werte geschaffen. Wer allerdings über die Jahrzehnte hinweg die Entwicklung der Löhne, Sozialversicherungsbeiträge und Renten dämpft, schafft zwar wunderbare Bedingungen für ständige Exportweltmeisterschaft, schwächt aber die Binnennachfrage.

Auf dem heimischen Arbeitsmarkt werden mehr Jobs abgebaut als in den Branchen, die vor allem für die Ausfuhr produzieren, neu geschaffen werden. Also entstehen Transferkosten, z.B. für Hartz IV, und das ist nicht schön für den Staatshaushalt. Durch die permanente Export-Offensive werden die internationalen Handelspartner in Grund und Boden bedient. Sind sie nicht zahlungsfähig, bekommen sie Kredite made in Germany. Können die nicht getilgt werden, muss der Staat den armen Gläubigern helfen. Er nimmt Kredite auf. Die Krise der griechischen Staatsfinanzen machte die mit der »Schuldenbremse« von 2009 verordnete Konsolidierungsaufgabe zugleich größer und dringlicher. Wieder auf Pump wurden riesige Geldmassen entweder in Aussicht gestellt oder schon gezahlt.
Die Haushaltsklausur der schwarz-gelben Koalition wollte endlich die Garantien einlösen, die man seit 2008 gegeben hatte. Wem eigentlich? Antwort: den internationalen Finanzmärkten und deren Akteuren. Man sagt in diesem Zusammenhang mittlerweile schon ganz unbefangen, ihnen müsse ein Zeichen gegeben werden. Das Vorhaben wurde dabei ausschließlich als Sparen definiert. Dass man einen Haushalt auch durch Erhöhung der Einnahmen konsolidieren kann, kommt in den Überlegungen der offiziellen Politik überhaupt nicht mehr vor.

Also Sparen. Dieser Begriff hat inzwischen seine Bedeutung verändert. Früher meinte er, dass ein Mensch seinen Konsum einschränkt und dafür etwas auf die hohe Kante legt. Die Regierungskoalition tut manchmal noch so, als meine sie das: Wenn die Erwachsenen sich weniger gönnen, könnten ihre Kinder das später nutzen. Auf keinen Fall aber dürfe man sie durch Schulden belasten. In Wirklichkeit läuft die Sparpolitik darauf hinaus, dass ein Teil der Bevölkerung dem anderen in die Tasche greift. Die Ärmeren sollen sparen, damit die Vermögen der Wohlhabenden nicht geschmälert werden und das fiktive Geld in den Spekulationskassen wieder einen realen Wert darstellt.
Die schärfsten Einschnitte gibt es im Haushalt für Arbeit und Soziales. Er sei ja auch der umfangreichste, hört man. Aber warum? Die Stellung dieses Teil-Etats entspricht der deutschen Gesellschaftsstruktur, und zwar in zweifacher Weise. Erstens: Ein großer Teil der Bevölkerung ist auf ihn angewiesen. Zweitens: Diese Abhängigkeit war über Jahrzehnte in einen Gesellschaftsvertrag eingebettet. Wer zum Beispiel sein Berufsleben lang in die Arbeitslosenversicherung einzahlte, konnte damit rechnen, im Bedarfsfall eine verbriefte Lohnersatzleistung zu erhalten. Ja, verbrieft. Heute versteht man darunter etwas anderes: wenn Herr A Herrn B die faulen Schulden von C andreht. Seit dem 1. Januar 2005 ist an die Stelle des alten Gesellschaftsvertrags ein Surrogat getreten: Agenda 2010 und Hartz IV. Der schwarz-gelben Koalition ist auch das zu teuer. Hartz-IV-Bezieher sollen keinen Heizgeld-Zuschuss und kein Elterngeld mehr erhalten. Der Fiskus soll nicht länger für sie in die Rentenversicherung einzahlen.
Angeblich wird der Bildungsetat nicht gekürzt. Das ist der Haushalt von Annette Schavan, der ist klein. Bildungsfinanzierung ist zum größten Teil Ländersache. Dort wird gespart, auch im Vorschulbereich, der formal zum Sozialhaushalt gehört. Im Schavan-Etat steht unter anderem die Forschungsförderung. Da gibt es Subventionen für Public-Private Partnership mit Industrieunternehmen.
In den Ländern (und in den Kommunen) müssen die Infrastrukturleistungen erbracht werden, an denen jetzt gekürzt wird. Unabhängig von der Regierungsfarbe – Rot-Rot in Brandenburg, Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein: Es wird Personal abgebaut. Glaubhaft versichert der Verteidigungsminister, dass Kürzungen in seinem Etat keine Leistungsminderung bringen werden. Eine Armee, die nicht mehr gegen einen als Bedrohung dargestellten mächtigen Ostblock unter Waffen steht, sondern zu Kommando-Unternehmen in den Süden geschickt wird, kann kleiner sein und passt gut ins globale ökonomische Konzept. Horst Köhler hat ein offenes Geheimnis ausgeplaudert, das im Klartext schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 und im Sicherheitsweißbuch von 2006 steht: Freiheit der Märkte und Zugang zu Ressourcen werden zur Not auch militärisch gesichert. Man kann dieses Bekenntnis übrigens, wenig verschlüsselt, auch in der Atlantik-Charta von 1941 nachlesen. Freiheit der Meere und des Handels war dem britischen Imperium im 19. Jahrhundert manches Kanonenboot wert, und der Freihändler Adam Smith (1723–1790) lehrte, eine Berufsarmee reiche aus.
Haushaltspolitik = Sparpolitik = Umverteilung. Schweigen wir also von der Einnahmenseite der Berliner Vereinbarungen. Dass noch nicht einmal die peinliche Begünstigung der Hoteliers bei der Mehrwertsteuer rückgängig gemacht wurde, ist eine Machtdemonstration. Vielleicht hat sie auch ihr Gutes: Da der Bund mit Geld, wie das aktuelle Beispiel zeigt, nicht vernünftig umgehen kann, ist es besser, wenn es ihm da und dort entgeht. So denken offenbar einige pfiffige Kommunalpolitiker: Sie setzen in ihre Haushalte Hotelabgaben ein. Ein oder zwei Euro pro Übernachtung fließen in Weimar in den Kulturetat. Die Betreiber von Atomkraftwerken werden einen Ablass dafür zahlen, dass sie ihre Anlagen länger laufen lassen dürfen: ein gutes Geschäft. Dass Beamtenstellen abgebaut und -gehälter gekürzt werden, mag Schadenfreude wecken. Wo die Volkssouveränität durch den Wink der Finanzmärkte ersetzt ist, braucht man nicht mehr so viel Staat.

Mit der Haushaltsklausur begann auch ein parteipolitisches Experiment. Es ist das zweite innerhalb eines Jahrzehnts. Als Gerhard Schröder die lohn- und transferabhängige Klientel der SPD brüskierte, bewies diese immerhin so viel Klassenbewusstsein, dass sie seine Partei nicht mehr wählte. FDP und CDU/CSU wollen nun einen Haushalt für die Bourgeoisie. Die hat keinen Anlass, sich von ihnen abzuwenden. Aber sie ist eine Minderheit. Das bürgerliche Volkspartei-Konzept von Adenauer bis Kohl korrigierte diesen soziologischen Tatbestand. Angela Merkel meint, darauf verzichten zu können.
Damit könnte sie sich geschnitten haben. Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 2005 stürzte Steinbrück, weil frustrierte Arbeiter die CDU wählten. 2010 kehrten sie zur SPD zurück. Wenn CDU/CSU und FDP sich darauf beschränken, sich gegenseitig Stimmen wegzunehmen, werden sie in der Minderheitsposition gefangen bleiben, in die sie mittlerweile schon in den Umfragen geraten sind.
Eine der wichtigsten politischen Errungenschaften des Kapitalismus war es, sich im 20. Jahrhundert demokratische Mehrheiten zu organisieren. Die Transmissionsriemen waren die Volksparteien. Fallen die aus, muss es anders gehen. Italien zeigt, wie: Das Kapital braucht nicht mehr diese aufwändigen Apparate, es herrscht stattdessen direkt, in diesem Fall durch Silvio Berlusconi. Vorbild sind die USA: Wenn Barack Obama 2008 mehr Spenden sammeln konnte als Hillary Clinton und John McCain, dann war dies für ihn ein Ausweis von Legitimität in einer kapitalistischen Demokratie. Die Mittel, die auf diese Weise zusammenkamen, sicherten die Unterstützung durch die elektronischen Medien und andere ideologische Apparate. Vielleicht erklärt sich so auch die stur erscheinende Sicherheit, mit der Merkel und insbesondere Guido Westerwelle ihre Agenda verfolgen. Sie finden, angesichts ihrer Machtbasis im Kapital könne eigentlich nichts schief gehen.
Im Großgedruckten mögen sie recht haben, im Kleingedruckten vielleicht doch nicht. Wenn es »den Märkten« Wurst ist, wer unter ihnen regiert, dann könnte irgendwann auch die SPD wieder eine Chance bekommen.