Es geht nicht ohne Präsident

Ohne Präsi geht es nicht!

Das Amt des Bundespräsidenten ist wichtig für das System der Gewaltenteilung und dafür, dass Bundeskanzler nicht zu viel Macht anhäufen.

Auch wenn man wie ich von Horst Köhler – und nicht nur von seinem Rücktritt – enttäuscht ist, wäre die Abschaffung des Amtes des Bundespräsidenten für die Demokratie in Deutschland der absolut falsche Weg. Die Stellung des Bundespräsidenten wurde bei der Schaffung des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat nach folgenden Grundsätzen festgelegt:
»Die Stellung des Bundespräsidenten ist im Verhältnis zu anderen Verfassungen schwach. Vorschläge auf Einführung eines ›Präsidialsystems‹ nach dem Muster der nordamerikanischen und Schweizer Verfassung wurden abgelehnt. Der Bundespräsident ist aber auch erheblich schwächer als der Reichspräsident der Weimarer Verfassung. Vor allem fehlt ihm das Notverordnungsrecht, das dem Reichspräsident nach Art. 48 der Weimarer Verfassung zustand. Ihm steht weiter das Recht der Parlamentsauflösung nur in beschränktem Maße zu; seine Stellung gegenüber Bundeskanzler und Bundesregierung ist erheblich geschwächt. Diese geschwächte Position wird auch durch die Entscheidung des Parlamentarischen Rats gegen eine plebiszitäre Wahl des Bundespräsidenten unterstrichen.« (Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Band 1)

Von der Weimarer Verfassung übernommen wurde die Regelung, dass der Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt wird. Aber die maßgebliche Beteiligung des Reichspräsidenten an der Regierungsbildung entfällt. Die Bundesminister werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernannt und entlassen. Dem Bundespräsidenten obliegt weiter die völkerrechtliche Vertretung des Bundes, das Ernennungs- und Entlassungsrecht für Bundesbeamte und Bundesrichter, das Recht, die Gesetze auszufertigen sowie das Begnadigungsrecht.
Nicht eigens festgelegt, aber aus der Funktion als oberster Repräsentant der Bundesrepublik ergibt sich seine starke Wirkungsmöglichkeit für das politische und gesellschaftliche Klima in unserer Demokratie: durch Reden, Äußerungen und symbolische Handlungen.
Viele der Bundespräsidenten haben wichtige Beiträge für unser Leben und das Ansehen der Bundesrepublik gegeben, beispielhaft etwa Gustav Heinemann mit dem Aufbrechen überholter obrigkeitsstaatlicher Strukturen, Richard von Weizsäcker, der 1985 deutlich machte, dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung und nicht der Niederlage war, und Roman Herzog, der den 27. Januar, den Tag der Befreiung von Auschwitz, als Mahnung an die Gräuel der Nazis festsetzte.
Was würde aus all den Funktionen, Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten, wenn das Amt des Bundespräsidenten abgeschafft würde? Sie würden wohl fast alle dem Bundeskanzler zu­fallen. Damit wären wir bei dem vom Parlamentarischen Rat zu Recht abgelehnten Präsidialsystem mit seiner Machtballung bei einer Person. Man kann solche, aus demokratischer Sicht nicht empfehlenswerte Entwicklungen etwa auch in Frankreich beobachten. Das sowieso schon bedenkliche Zurückdrängen des Bundestags gegenüber der Exekutive, der Bundesregierung, würde noch verstärkt.

Auch die Möglichkeit, auf langfristige Entwicklungen hinzulenken, Perspektiven aufzuzeigen, gegen unheilvolle, oft kaum merkbare Entwicklungen aufzustehen, käme in der Regel bei der mit kurzfristigen Problemen befassten Exekutivperson zu kurz.
Der manchmal geäußerte Gedanke »für so wenig Befugnisse so viel Geld« liegt absolut neben der Sache. Gerade die notwendig über den Tag ­hinausreichenden Anstöße durch ein Amt wie des Bundespräsidenten können nicht anderweitig herbeigeführt werden.
Wenn man im Rahmen der derzeitigen Akteure des politischen Geschehens etwas ohne Not einsparen könnte, wären das viele der hunderten von Sachverständigen-Kommissionen von Bund und Ländern, deren Überflüssigkeit schon Bundespräsident Johannes Rau angeprangert hatte. Da wird sehr häufig nur notwendigen politischen Entscheidungen ausgewichen.
Die Stabilität unserer Gewaltenteilung darf nicht geschwächt werden. Ihre Akzeptanz könnte und müsste allerdings verstärkt werden dadurch, dass nach den geglückten Beispielen in anderen Staaten und vielen deutschen Ländern und Kommunen die Bevölkerung auch auf Bundesebene mit Volksbegehren und Volksentscheiden neben den Volksvertretungen unmittelbar entscheiden könnte. Das gilt aber nicht für eine Direktwahl des Bundespräsidenten. Ein Wahlkampf um ihn wäre notwendigerweise emotionalisierend und die Erwartungen der Wähler auf direktes Handeln würden enttäuscht.

Der Autor ist Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof, war Bürgermeister in München, Landtagsabgeordneter und viele Jahre lang Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen.