Professorin ohne Preis

Fast alles lief nach Plan. In Berlin fanden sich am vergangenen Samstag 600 000 Menschen ein, um zu feiern, zu demonstrieren oder einfach nur eine Art Karne­valsumzug zu bestaunen. Wie üblich wurde zum Abschluss der Parade am Brandenburger Tor der »Zivilcouragepreis« des CSD Berlin e.V. verliehen. Doch während der Homosexualitätsforscher Martin Dannecker den Preis dankend annahm, woll­­te Judith Butler ihn nicht haben. Der CSD sei zu kommerziell und nicht antiras­sistisch genug, sagte die US-amerikanischen Philosophin und Philologin.
Noch am Abend zuvor hatte die als bedeutende Queer-Theoretikerin geschätzte Butler bei der Auftaktveranstaltung für den CSD einen Vortrag zum Thema »Queere Bündnisse und Antikriegspolitik« gehalten und über ihr neues Buch »Raster des Krieges« gesprochen. Die Tochter jüdischer Migranten hat sich mit ihrem neuen Werk von ihren Ursprüngen in der Feminismus- und Gender-Forschung entfernt. Anfang der neunziger Jahre beschrieb Butler die Grundlagen zur Unterscheidung von sex und gender sowie der sozialen Konstruktion von Geschlecht. In den vergangenen Jahren beschäftigte sich die Professorin hingegen zunehmend mit kriegerischen Konflikten und kritisierte die israelische Politik. Sie wehrt sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus, den sie vom Antizionismus abgrenzt.
Während sich Butler bei ihrem Vortrag am Freitagabend von ihren Anhängern feiern ließ, riskierte sie einen Tag später, von den Teilnehmern des CSD ausgebuht zu werden. Sie beließ es nicht bei der Ablehnung des »Zivilcouragepreises«, sondern verlas eine Erklärung in deutscher Sprache: »Einige der Veranstalterinnen haben sich explizit rassistisch geäußert bzw. sich nicht von diesen Äußerungen distanziert. Die veranstaltenden Organisationen weigern sich, antirassistische Politiken als wesentlichen Teil ihrer Arbeit zu verstehen. In diesem Sinne muss ich mich von der Komplizenschaft mit Rassismus, einschließlich anti-muslimischem Rassismus, distanzieren.« Anschließend rief die 54jährige dazu auf, den alternativen »Transgenialen CSD« am 26. Juni unter dem Motto »Gewaltige Zeiten – gewaltiger queerer Widerstand« in Neukölln und Kreuzberg zu besuchen.