Hintergründe im Fall Deepwater Horizon

Unter dem Erdöl liegt der Strand

Auf Druck der US-Regierung hat BP zugesagt, 20 Milliarden Dollar in einen Entschädigungsfonds einzuzahlen. Der Aktienkurs des Unternehmens stabilisierte sich, und Präsident Barack Obama kann hoffen, dass die Kritik an seinem Krisenmanagement nachlässt.

Das Öl fließt weiter. Bislang ging man davon aus, dass etwa 60 000 Barrel täglich in den Golf von Mexiko sprudeln, doch einem internen, am Wochenende vom US-Abgeordneten Ed Markey veröffentlichten BP-Dokument zufolge könnten es auch 100 000 Barrel sein. Mehr als zwei Monate sind vergangen, seit die Bohrinsel Deepwater Horizon explodiert ist, und die bisweilen abenteuerlich anmutenden Versuche, das Bohrloch in ­einer Tiefe von 1 500 Metern zu stopfen, sind fehlgeschlagen. Nun wollen der Konzern BP und die US-Regierung den Druck im ursprünglichen Bohrloch mit Entlastungsbohrungen senken, um es versiegeln zu können. Doch werden diese Bohrungen wohl erst im Herbst ihr Ziel erreicht haben.
Unterdessen versucht man, mittels nah an der Quelle angesetzter Schläuche so viel wie möglich vom dem ausströmenden Öl einzusaugen und per Tanker an die Küste zu bringen. In seiner Ansprache an die Nation in der vergangenen Woche versprach US-Präsident Barack Obama, dass so in absehbarer Zeit 90 Prozent des Öls aufgenommen werden könnten. Kritiker halten das für unmöglich, da die verwendete Technologie keineswegs ausgereift sei. Überdies beginnt bald die Hurrikansaison.
Dass Obama in seiner Ansprache die Entlastungsbohrungen nicht erwähnte, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass auch der Erfolg dieses Plans alles andere als sicher ist. Es könnte noch Jahre dauern, bis der Druck von selbst so stark sinkt, dass kein Öl mehr austritt.

Immerhin funktioniert die Unterwasserkamera, die der Weltöffentlichkeit seit Wochen das ausströmende Öl zeigt. Inzwischen erreichen die Aufnahmen das Publikum im Internet in Hochauflösung. Wegen der nach wie vor restriktiven Medienpolitik des Energieunternehmens und der US-Regierung werden der Öffentlichkeit andererseits viele Bilder vorenthalten, die das Ausmaß der Umweltkatastrophe dokumentieren.
Wirkte die Regierung zunächst wie gelähmt, zeichnet sich seit gut einer Woche in groben Zügen ab, wie das politische Katastrophenmanagement in den kommenden Monaten und Jahren funktionieren soll. Mitte vergangener Woche stimmte BP der Einrichtung eines vom Weißen Haus mit Nachdruck geforderten Entschädigungsfonds zu, in den der Konzern 20 Milliarden Dollar einzahlen will.
Aus diesem Fonds sollen die Aufräumarbeiten und die Beseitigung der Umweltschäden ebenso bezahlt werden wie die Entschädigungen für Fischer, Hoteliers und andere von der Katastrophe Betroffene in der Küstenregion. Der Fonds soll aber auch Obama vor politischer Kritik schützen. In den Wochen zuvor hatte sich eine Allianz der rechtslibertären Tea-Party-Bewegung mit linken Demokraten gebildet, die sich ausnahmsweise einmal einig in der Forderung waren, dass BP für alle Schäden aufkommen müsse, ungeachtet der Rechtslage, die die Haftungspflicht auf wenige Millionen Dollar beschränkt. Daher betonte Obama, dass es im Interesse der US-Regierung sei, wenn BP zahlungskräftig bleibe.
Dass der Fonds nicht vom Unternehmen, sondern von einem unabhängigen, von Obama eingesetzten Verwalter – im Gespräch ist der erfahrene Krisenmanager Kenneth R. Feinberg – geleitet wird, soll langwierige Gerichtsprozesse verhindern, die, wie im Fall der 1989 vom Tanker Exxon Valdez ausgelösten Umweltkatastrophe, auch für die klagenden Geschädigten schlecht ausgehen können. Im Juni 2008 begrenzte das unternehmer­freundliche Oberste Gericht die Entschädigungszahlungen der Firma Exxon (heute Exxon-Mobil) auf rund 500 Millionen Dollar.

Langwierige Gerichtsprozesse vermeidet aber auch BP, die Zustimmung zur Einrichtung des Fonds verschafft dem Unternehmen relative Rechtssicherheit. Wohl vor allem deshalb konnte der Kurssturz der BP-Aktien zumindest vorläufig aufgehalten werden. Seit der Explosion ist die Aktie um über 40 Prozent gefallen, das Unternehmen verlor 87 Milliarden Dollar an Wert.
In der Woche zuvor hatte der britische Premierminister David Cameron BP eindringlich zu einer Klärung der Sachlage in der Entschädigungsfrage gedrängt. Wenn die Aktien von BP weiter an Wert verlieren oder der Konzern gar Bankrott anmelden muss, hätte das erhebliche Auswirkungen vor allem auf britische Pensionsfonds. Cameron hatte BP empfohlen, die Dividendenauszahlung vorübergehend auszusetzen. Ende vergangener Woche kündigte die Konzernführung an, für mehrere Quartale keine Dividenden mehr zu zahlen. Die Pensionsfonds müssen kurzfristig Verluste hinnehmen, in der Hoffnung, dass sich der Unternehmenswert langfristig stabilisiert. Das allerdings wird wohl nur geschehen, wenn BP das Leck im Golf von Mexiko irgendwann verschließen kann.
Experten vermuten allerdings, dass selbst 20 Milliarden Dollar nicht ausreichen werden. Insbesondere in der Küstenregion des US-Bundesstaats Louisiana, wo bereits im Jahr 2005 die Hurrikans Katrina und Rita große Schäden angerichtet hatten, droht ein ökonomisches Desaster. Dort hat man bislang eher schlecht als recht vom Fisch- und Krustentierfang sowie vom Tourismus und der Ölindustrie gelebt. Das ohnehin fragile Ökosystem der Golfküste könnte nun dauerhaft geschädigt sein.

Börsenanalysten schätzen die Gesamtkosten für BP auf 40 bis 70 Milliarden Dollar, langfristige Folgekosten kämen hinzu. Die US-Regierung betont, dass die Zusage des Konzerns, 20 Milliarden Dollar in den Fonds einzuzahlen, weitere Forderungen nicht ausschließe. Als Druckmittel hält Obama sich Medienberichten zufolge die Möglichkeit offen, dem Justizministerium die Strafverfolgung verantwortlicher Manager freizustellen. »Erpressung im Chicagoer Stil« warf Joe Barton, ein republikanischer Abgeordneter aus Texas, Obama deshalb in der vergangenen Woche vor. Das ist in der Sache nicht ganz falsch, doch halten die meisten Amerikaner ein hartes Vorgehen gegen BP für angemessen, weshalb selbst viele Republikaner Bartons Äußerung kritisiert haben.
Zumal die Huffington Post vorgerechnet hat, dass es BP trotz der Katastrophe noch gut geht. Im vergangenen Jahr habe das Unternehmen weltweit 17 Milliarden Dollar Gewinn erzielt, es verfüge über etwa das Vierfache dieser Summe an Barreserven. »Die US-Regierung geht Pleite, bevor es BP tut«, zitiert die linksliberale Online-Zeitung einen Börsianer.
In seiner Rede an die Nation hat Obama zwei grundlegende Probleme angesprochen. Staatliche Regulierungsinstanzen sind weitgehend machtlos, nicht nur bei der Kontrolle von Offshore-Bohrungen, und die Deabtte über eine neues Energie- und Klimagesetz kommt im Kongress nicht voran. Dass die Angestellten der für Offshore-Bohrungen zuständigen Regulierungsbehörde MMS, angeblich motiviert durch Champagner und Prostituierte, die von der Industrie bezahlt worden sein sollen, im Jahr 2003 die Sicherheitsbestimmungen lockerten und so den Unternehmen höhere Profite verschafften, ist symptomatisch für den Zustand der Kontrollbehörden in den USA. Bezeichnend ist auch, dass sich seit der Ölkrise im Jahr 1973 bereits sieben Präsidenten für eine Wende in der Energiepolitik ausgesprochen haben. Obama ist der achte Präsident, der eine andere Energiepolitik verspricht, und nicht nur wegen der kommenden Kongresswahlen, bei denen ein Sieg der Republikaner erwartet wird, scheint es fraglich, ob er erfolgreicher sein wird als seine Vorgänger.