Die argentinische Frauenband Kumbia Queers

Die Insel der Mädchen

Punkiger als Punk: Die argentinisch-mexikanische Frauenband Las Kumbia Queers tourt durch Europa.

Sechs erfahrene Musikerinnen aus Argentinien und Mexiko, von der aktuellen Punkrockszene gelangweilt, beschließen eines Tages in Buenos Aires, etwas ganz anderes zu machen: Cumbia. Was aus einer Bierlaune heraus beginnt, führt im Sommer 2007 zur Gründung der Kumbia Queers.
Seit Ende der neunziger Jahre ist Cumbia äußerst beliebt in Argentinien, insbesondere unter den Bewohnern der Villas, so werden in Argentinien die Elendsviertel bezeichnet.
Cumbia Villera – oder auch Slum Cumbia – entsteht als Reaktion auf die romantische Cumbia und spricht nicht mehr von der Liebe, sondern vom Alltag in den Armenvierteln, von Gewalt, Stress mit der Polizei, Alkohol, Drogen und Sex. Cumbia Villera ist die argentinische Antwort auf Gangsta-Rap, bleibt aber meist angenehm ironisch.
Die Kumbia Queers gehen die Cumbia noch mal anders an. Sie machen es queer. Überkommene Bezeichnungen ignorieren sie, ihren Stil nennen die Frauen »1 000 Prozent Tropipunk«.
Zunächst wussten sie nicht so genau, wie Cumbia »geht«. Sie probierten herum, die Ideen für das neue Genre sprudelten, und so nahmen sie ihre erste CD in Rekordzeit auf. Auf der CD »Kumbia Nena!« (2007) sind viele Coverversionen in puckerndem Rhythmus hören, Titel von Madonna, Nancy Sinatra, The Cure, den Ramones etc. Aus Madonnas »La Isla bonita« wird »La Isla con chicas«, die »Insel voller Mädchen«, ein absolutes Lesbenparadies! Sängerin Ali Gua Gua über die Ideen der Band: »Am Anfang haben wir gesagt, wir wollen Lieder von Mädchen für Mädchen machen, jetzt machen wir Lieder von Mädchen für Männer … Nein Quatsch! Aber wenn bei den Punkrockgruppen der ewig zornige ­Jugendliche das Modell ist, so ist es bei uns eher umgekehrt: Uns geht es um die Freude, den Spaß, die Sinnlichkeit.«
Ihr Mix aus Punk, Cumbia und Queerness ist in Lateinamerika – und weltweit – ziemlich einzigartig. In Argentinien, Chile und Mexiko haben sie bereits ihre feste Fangemeinde. Im Frühsommer sind die Kumbia Queers durch Mexiko getourt und haben auf dem größten Festival in Mexiko Stadt, dem »Vive-Latino«, gespielt. Mit ihrer gewitzten Mischung sind die sechs Frauen schon weit herumgekommen. Kein Konzertort gleicht dem anderen – sei es der zentrale Platz Zócalo in Mexiko-Stadt, ein Altenheim in Chile oder ein Frauengefängnis in Buenos Aires.
Fünf der Kumbia Queers leben in Buenos Aires, Frontfrau Ali Gua Gua hat ihren Wohnsitz in Mexiko-Stadt. Wenn die sechs zusammen sind, wollen sie so oft wie möglich auftreten: »Natürlich auch in Kneipen, Discos, auf schwul-lesbischen Demos, auf Geburtstagen, Abschlussfeiern, Taufen«, erzählt Sängerin Juana Charang. »Wir würden gerne mal auf einer Scheidungsparty spielen, das haben wir noch nie gemacht!«.
Im Juli werden sie auf ihrer ersten Europa-Tournee ihre neue CD vorstellen: »La gran estafa del Tropi-Punk«, eine Anlehnung auf Spanisch an »The great Rock’n’Roll Swindle«. Bescheidenheit? So ein Quatsch. Brauchen sie auch nicht. Ihre neue CD haben die Kumbia Queers zusammen mit Pablo Lescano von Damas Gratis aufgenommen. Er gilt als der Vater der Cumbia Villera. Ali Gua Gua schwärmt über die Zusammenarbeit mit Lescano: »Pablo ist ein unglaublicher Typ. Das war so, als ob dir Maradona gezeigt hätte, wie man Fußball spielt. In all meinen Jahren als Rockmusikerin ist es mir noch nie passiert, dass mir jemand, den ich sehr bewundere, etwas beibringt oder mit mir zusammenspielt. Und mit Pablo war das so – ein Super-Super-Star aus Argentinien. Und dabei ist er ein sehr einfacher Mensch.« Juana Charang erklärt den Unterschied zur ersten CD: »Jetzt haben wir viel mehr selbstgeschriebene Songs. Und wir gehen mittlerweile ganz anders an die Cumbia heran. Außerdem ist der Sound viel professioneller.«
Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Kumbia Queers schon einmal vor einem »echten« Cumbia-Publikum gespielt haben, also in einem eher randständigen Viertel, und wie sie dort angekommen sind. »Unser Aussehen oder Outfit ist gar nicht ausschlaggebend, wichtig ist, ob wir es schaffen, die Leute zum Tanzen zu bringen«, findet Ali Gua Gua. »Normalerweise stehen bei den großen Cumbia-Orchestern zwölf Personen auf der Bühne, alle gut gekleidet und mit den gleichen Tanzschritten. Das ist eine ganz andere Szene als beim Punkrock.« Auf die Frage, ob sie die Leute zum Tanzen gebracht haben, meinen sie nur: »Das zweite Mal schon. Das erste Mal nicht.«
Cumbia Villera ist mittlerweile weit verbreitet. Die Musiker in Jeans und Trainingsjacken und mit gegelten Vokuhila-Locken versetzen auch Mittelschichtkids in Verzückung. Was früher Synonym für schlechten Geschmack war, wird heute in Nobel-Discos im Zentrum von Buenos Aires aufgelegt. Alle möglichen Hits werden zu Cumbia-Versionen verarbeitet. Lustig hybrid ist das, insbesondere wenn Stücke von Kraftwerk gegen den Strich gebürstet werden.
Ursprünglich war die Cumbia ein mestizisch-afrokolumbianischer Volkstanz. Heute ist der getragene Musikstil im 2/4-Takt samt seiner vielfältigen regionalen Varianten in ganz Lateinamerika populär. »Cumbia gibt es in Lateinamerika schon sehr lange«, bemerkt Gitarristin Pila Zombie Jackson. »Irgendwie hast du die Cumbia im Blut«, fügt Ali Gua Gua hinzu, »wenn du auf einer Party bist, vielleicht ein wenig angetrunken, dann kommt sie über dich, und du weißt, wie du zu tanzen hast.« Juana Charang gesteht, dass sie viele Vorurteile hatte, bevor sie selber mit Cumbia anfing: »Ich dachte, dass die Cumbia so etwas wie ein Herrschaftsinstrument sei, um uns alle in unserer Dummheit gefangen zu halten. Vor allem im Hinblick auf die Cumbia, die in den neunziger Jahren bekannt wurde und bei der sich alle Stücke gleich anhörten und alle gleich schlecht waren.«
Und worum geht es in den Texten der Kumbia Queers? In »Feriado Nacional« wird der alltägliche Horror vor dem nächsten Morgen, dem bevorstehenden Arbeitstag, gestaltet. In Argentinien ist es nicht einfach, von der Musik zu leben. So hat auch Pila lange Zeit als Kellnerin gearbeitet. Ansonsten geht es in den Lyrics der Kumbia Queers natürlich auch um die Liebe – mal kitschig, mal eifersüchtig, mal trashig.
Die Musikerinnen arbeiten mit sozialen Be­wegungen zusammen: »Wir beteiligen uns an Kämpfen gegen bestimmte Dinge, die wir als ungerecht empfinden«, erklärt Gitarristin Pila. »Besonders wichtig sind für mich die Frauen­themen, häusliche Gewalt, Vergewaltigungen, das Recht auf Abtreibung und auf selbstbestimmte Mutterschaft.«
Die freie Musikszene in Buenos Aires arbeitet seit einigen Jahren unter schwierigen Bedingungen, vor allem seit dem verheerenden Brand im Musik-Club Cromañon 2004 in Buenos Aires, bei dem 194 Menschen ums Leben kamen. Seitdem konzentriert sich die Politik der Behörden auf Restriktionen und Schließungen, Begründung: »Sicherheitsmängel«. »In ganz Lateinamerika ist gerade ein Trend zu beobachten, dass Konzertlokale geschlossen werden – von daher ist es für Bands schwierig, überhaupt auftreten zu können«, erzählt Juana. Ali ergänzt: »Ein neues Lokal aufzumachen, ist super schwierig. Du musst mit der Polizei verhandeln, mit der Straßenmafia, mit denen, die für die Parkplätze zuständig sind, mit den Bierverkäufern – du brauchst eine Menge Kontakte und musst mit aller Welt kungeln.«
Obwohl ihr Sound mittlerweile immer perfekter klingt, sind sie immer noch Punkrockerinnen, die die ganze Rockszene mittlerweile ein bisschen langweilig finden. Doch Punk ist nicht zuletzt eine Haltung. Und deshalb können auch Punkrockerinnen Cumbia machen und eine ganze Menge Spaß dabei haben – und verbreiten.

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