Christian Sickendieck erklärt im Gespräch, wie wichtig Blogs in Deutschland sind

»Bloggen ist unendlich«

Nehmen sich Blogger in Deutschland viel zu wichtig? Oder sind sie längst wichtiger, als wir bislang dachten? Ein Gespräch mit Christian Sickendieck, Macher des Blogs F!XMBR.

Herr Sickendieck, wie erklären Sie sich diese Rivalität zwischen Journalisten und Bloggern, von der immer wieder zu hören ist?
Ich glaube, dass Journalisten durch das Internet – durch Blogger im Speziellen – ihren Berufsstand in Gefahr sehen. Blogger hingegen stellen fest, gerade wenn sie in ihrem Fachgebiet Profis sind, wie oberflächlich Journalisten teilweise arbeiten. Dabei sollte es gar keine Rivalität geben. Blogger werden nie den Journalismus ersetzen. Blogs können nur eine Ergänzung sein. Wenn sich beide Seiten genau darauf verständigen könnten, wäre beiden viel geholfen. Ich träume von einer Welt, in der Blogger nicht nur Spiegel Online, die SZ und andere verlinken, sondern umgekehrt auch von den etablierten Medien verlinkt werden.
Wie viele Blogs kennen Sie, in denen wirklich journalistisch gearbeitet wird, also beispielsweise Themen recherchiert und Missstände und Skandale aufgedeckt werden?
Wenn ich meinen Feedreader lese, sieht es da eher düster aus. An erster Stelle sollte da Jens Weinreich () stehen, sicherlich einer der besten Sportjournalisten des Landes. Und natürlich auch »Strappato« und »Hockeystick« (), die der Gesundheitsindustrie auf die Finger klopfen. Auf vielen Blogs ist sicherlich guter Journalismus zu finden, aber kritischer, investigativer Journalismus findet noch eher in den etablierten Medien statt. Das ist auch gut und richtig so. So sehr »wir« das Internet mit seinen Mög­lich­keiten lieben, Oma Käthe und Onkel Heinz lesen seit jeher ihre Tageszeitung beim Frühstück. Und das wird auch noch lange so bleiben.
Vor der Erfindung der Blogs gab es besonders bei kleinen Lokalzeitungen notorische Leserbriefschreiber, meist ein bisschen verschrobene Nörgler, die beinahe täglich längliche Elaborate zu diesem und jenem verfassten und zu allem was zu sagen hatten. Sind Blogger die modernen Leserbriefschreiber?
Sicherlich auch, aber ich würde es niemals darauf reduzieren. Blogs bilden ein Spiegelbild der Gesellschaft. Auf Blogs kann man lachen und weinen, sich freuen und ärgern, sich informieren und desinformiert werden. Bloggen ist unendlich, es ist subjektiv, es ist politisch, es ist privat, es ist öffentlich, es bedeutet, anderen zu helfen und Hilfe zu bekommen. Bloggen kann man nicht beschreiben. Bloggen kann man nicht in Worte fassen. Bloggen muss man selbst, um es zu verstehen.
Ein Problem, das ich mit dem Hass auf die sogenannten Holzmedien habe, der von Bloggern so gern gepflegt wird: Man tut so, als sei man vollkommen autark, bezieht sich aber andauernd auf Zeitungsartikel, denn diejenigen, die die Skandale aufdecken, die Blogger so begeistert aufgreifen, sind eben immer noch die Zeitungen und nicht die Blogs. Woher kommt die Arroganz gegenüber den Holzmedien? Und woher kommt das Selbstvertrauen, das bewirkt, dass man zu jedem Thema, von der Atompolitik über Steuerfragen bis zur Geschichte, gleichermaßen fachkundig etwas zu sagen hat?
Es ist ein gordischer Knoten. Viele Blogger behaupten, Print wäre tot, um sich gleich selbst zu widerlegen. Man verlinkt zum Beweis der eigenen Behauptung auf die etablierten Medien und merkt gar nicht, dass ohne die andere Seite der eigene Artikel gar nicht entstanden wäre. Das Selbstvertrauen resultiert sicherlich auch aus der Tatsache heraus, dass man zu fast jedem Thema eine Meinung haben kann, ohne sich großartig informiert, ohne recherchiert zu haben. Eine Meinung ist schnell geäußert, die Recherche zu einem Artikel dauert länger. Ich möchte aber gar nicht so sehr die eine oder andere Seite kritisieren.
Was denken Sie über den aktuellen sogenannten Skandal hinsichtlich der abgeschalteten Blogs bei der FAZ?
Nachdem, was ich bisher gelesen habe, hat sich die FAZ absolut korrekt verhalten. Es gab bereits im April eine Veröffentlichung, die auf die Problematik hinwies, dass manche FAZ-Blogger Bilder in ihre Artikel gestellt haben, ohne die Rechte dafür zu besitzen. Michael Seemann hat offensichtlich wiederholt gegen Creative-Commens-Lizenzen verstoßen. Wenn sein aktueller Artikel von der Redaktion vom Netz genommen wurde und er ihn ohne Rücksprache wieder online gestellt hat, so ist das ein unglaublicher Vorgang – auch wenn er beim zweiten Mal keine Bilder eingefügt hat. Wir reden hier nicht von einem kleinen Privatblogger, der nachmittags nach der Arbeit ein Blog füllt. Es bestand zwischen der FAZ und diesem Blogger ein Vertragsverhältnis. Mit der zweiten Veröffentlichung hat Seemann jegliches Vertrauen zerstört und die ihm von der FAZ gebotenen Möglichkeiten missbraucht. Kein Unternehmen der Welt wird sich dieses Verhalten von einem freien Mitarbeiter bieten lassen. Seemann sollte froh sein, wenn nicht noch nachträglich Forderungen an ihn gestellt werden.
Sie betreiben gemeinsam mit einem Kollegen selber ein Blog. Wie ist das entstanden, und wie seht Ihr euch selbst? Als Blogger oder Journalisten? Und warum werdet Ihr so angefeindet?
Mein Partner auf F!XMBR, Oliver Herold, und ich sind bereits seit Jahren im Internet unterwegs. Anfang des Jahrtausends waren es zum Beispiel die Internetforen, bis wir uns dann 2006 für ein Blog entschieden haben. Oliver Herold ist Historiker, ich bin guter, alter hanseatischer Kaufmann. Ich würde nicht behaupten, dass wir so sehr angefeindet werden. Wir haben Freunde – und natürlich gibt es auch Blogs, die nicht mit uns einig sind. Der normale Gang der Dinge. Wir haben uns von Anfang an gegen den Kommerzwahn und andere befremdliche Dinge in der deutschen Blogosphäre ausgesprochen, legen auch heute noch den Finger auf diese Wunden, und das hat in diversen Kreisen natürlich zur Folge, dass man uns nicht mag. Wir können damit aber sehr gut umgehen – zumal wir auch sehr viel Zuspruch bekommen.
Was glauben Sie, wie die Zukunft der Blogs aussehen wird? Braucht man diese Meinungsabsonderungsstellen langfristig überhaupt?
Ich glaube, mit dem Fall bei der FAZ stehen wir vor einer Zäsur. Michael Seemann, Mario Sistus, Thomas Knüwer und andere haben das Bloggen in Deutschland endgültig in Verruf gebracht. Wer sich so unprofessionell verhält wie Seemann, wer wie Sixtus völlig hanebüchen von einer »Bücherverbrennung« spricht, wer wie Knüwer die FAZ-Redaktion beleidigt, kann nicht mehr ernst genommen werden. Wir sprechen hier immerhin von Bloggern, die zu den etabliertesten und auch medial bekanntesten gehören. Sie sind wie so häufig in der Vergangenheit ihrer großen Verantwortung nicht gerecht geworden. Wenn ich Tausende von Lesern täglich begrüßen darf, ob auf Twitter oder meinem Blog, wenn ich von vielen Seiten als Interviewpartner angehört werde, wenn ich von den etablierten Medien und von Unternehmen auf Zukunftskongresse eingeladen werde, dann habe ich mich anders zu verhalten. Professionell. Seemann, Sixtus, Knüwer und Co. haben das hässliche Bild des deutschen Bloggers eindrucksvoll bestätigt. Wer will denn jetzt noch mit dieser Truppe etwas zu tun haben? Als Unternehmen würde ich da weiten Abstand nehmen. Und das ist äußerst ärgerlich und mit aller Schärfe zu verurteilen. Leider wird das Bloggen in Deutschland mit wenigen bekannten Namen gleichgesetzt. Doch gibt es da draußen viel mehr zu entdecken. Es gibt unzählige qualitativ hochwertige Blogs, die darauf warten, entdeckt zu werden. Hoffen wir, dass sie diese Chance noch bekommen und nicht vor einer Wand stehen, weil ein paar profilierungssüchtige Top-Blogger das Bloggen in Deutschland ruiniert haben.