Das internationale Frauenfußball-Turnier Discover Football in Berlin

Neunmeterschießen für die Frauenrechte

Abseits der Fußball-WM der Männer in Südafrika fand in Berlin erstmals das internationale Frauenfußball-Turnier Discover Football statt. Acht Teams aus neun Ländern traten in Kreuzberg gegeneinander an. Den Kickerinnen ging es dabei um mehr als um den Turniersieg.

»Burra, burra!« rufen die Fans der afghanischen Nationalmannschaft, um die zierlichen, aber schnellen Fußballerinnen aus ihrem Herkunftsland auf dem Platz anzufeuern. Ein Familienvater im Publikum schwenkt eine afghanische Fahne. Die Unterstützung ist nötig. Die in langen T-Shirts und Hosen spielenden Afghaninnen liegen nach der ersten Halbzeit bereits 3:0 gegen Al-Dersimspor, die Mannschaft der Gastgeberinnen, zurück. Die jungen Frauen, die in Afghanistan auf einer Militärbasis der ISAF-Soldaten trainieren, spielen eher zurückhaltend. Einige Zuschauer diskutieren darüber, ob dies daran liegen könne, dass die Spielerinnen besonders jung und deshalb unerfahrener seien. Eine Afghanin versucht aufzuklären: »Nein, nein, afghanische Frauen sehen oft sehr jung aus. Mir sieht man mein Alter doch auch nicht an, oder?« Trotz der Unterstützung, der sich in der zweiten Halbzeit weitere Zuschauer anschließen, müssen die Afghaninnen ein Tor nach dem anderen hinnehmen. Für Al-Dersimspor ist es ein Triumph: Am Ende gewinnt das Team aus Kreuzberg mit 10:0. Doch die Enttäuschung unter den afghanischen Spielerinnen dauert nicht lange an. Nach dem Spiel feiern Gewinnerinnen und Verliererinnen auf dem Kleinfeld gemeinsam.
Die Partie beschließt den zweiten Spieltag des Turniers, das im Rahmen des Festivals Discover Football auf dem Kunstrasen des Lilli-Henoch-Sportplatzes am Anhalter Bahnhof zwischen dem 6. und dem 13. Juli stattgefunden hat.

Eine Woche lang schossen Frauenteams aus Afghanistan, Österreich, Israel und der Westbank, Ecuador, Paraguay, Serbien und Sambia jede Menge Tore. Bei Temperaturen jenseits von 35 Grad Celsius liefen acht Mannschaften auf, die unterschiedlich spielten, unterschiedlich aussahen und keine gemeinsame Sprache hatten. Doch eines verband sie alle: die Leidenschaft fürs Fußballspielen. Die Teams wurden von einer Jury unter Vorsitz des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger aus 42 Bewerbern ausgewählt. Die entscheidenden Kriterien waren dabei nicht die fußballerischen Leistungen der Frauen, sondern ihr soziales Engagement außerhalb des Platzes. So setzen sich alle teilnehmenden Teams bei Discover Football für die Rechte von Frauen ein oder fördern den Frauenfußball in ihren Ländern.
Organisiert wurde das internationale Treffen der Fußballerinnen von der Frauenmannschaft BSV Al-Dersimspor aus Kreuzberg. Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes, des DFB und weiterer privater Sponsoren konnten die Berlinerinnen sieben Mannschaften aus der ganzen Welt auf ihren Platz einladen, um gemeinsam Fußball zu spielen, zu diskutieren und zu feiern. Das Turnier wurde von einem umfangreichen Kulturprogramm begleitet. Nachmittags und abends wurden Filme gezeigt, die die Hürden für Frauenfußball in verschiedenen Ländern thematisierten, und Konzerte von Berliner Bands aufgeführt.
Das Spiel der afghanischen Mannschaft wurde auch von der Politik aufmerksam verfolgt. Im Anschluss an die Partie nahm Cornelia Pieper (FDP), die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, zusammen mit dem Trainer der afghanischen Frauen, Ali Askar Lali, und dem Botschafter Afghanistans in Berlin auf dem »Pinken Sofa« Platz, um ein kurzes Statement zum Festival abzugeben. Alle bewerteten die Teilnahme der afghanischen Nationalmannschaft als Erfolg. Cornelia Pieper ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, den Aufbau des Fußballsports im Einsatzgebiet der Bundeswehr in Afghanistan als wichtiges entwicklungspolitisches Instrument darzustellen. »Sport spielt immer eine Rolle bei der Wertevermittlung«, meinte sie. Die Afghanen könnten durch den sportlichen Wettbewerb auch lernen, »selbst den Aufbau in ihrem Land voranzutreiben«. Das Auswärtige Amt unterstützt seit 2003 Projekte im Rahmen der Initiative »Sport und Außenpolitik«. Fünf Millionen Euro hat das Ministerium seitdem in Sportförderung investiert. Für Pieper ist Afghanistan »eines der schönsten Projekte«. Sonja Fuß, eine Nationalspielerin der deutschen Frauenmannschaft, war es dann aber, die die Teams lobte. Denn sie bestünden aus »starken Frauen, die für ihre Rechte einstehen«.

Doch nicht alles lief bei diesem Festival wie geplant. Eine Woche vor Beginn der Veranstaltung mussten die Organisatoren hinnehmen, dass die eingeladenen Mannschaften aus Liberia und dem Iran nicht nach Berlin kommen durften. Im Fall des Teams Fodede, Football to Develop Destitute, aus Liberia erhielten einige Spielerinnen kein Visum. Die deutsche Botschaft in Ghana und das Auswärtige Amt in Berlin zweifelten an der »Rückkehrwilligkeit« einiger Spielerinnen, deren »wirtschaftliche und familiäre Verwurzelung« in ihrem Herkunftsland sei nicht ausreichend belegt, und verweigerten ihnen die Einreise. Daraufhin entschied sich das gesamte Team, nicht anzureisen. Für die Organisatorinnen kam diese Entscheidung unerwartet. Sie wissen nicht einmal, wie das liberianische Team überhaupt die Reise nach Ghana finanziert hat.
»Wir hoffen nun, dass sich die Spielerinnen nicht verschuldet haben, und wir wollen weiterhin in Kontakt mit ihnen bleiben«, meint Marle­ne Assmann, eine der Organisatorinnen des Festivals. Die Enttäuschung über das Auswärtige Amt ist groß. Denn gerade das deutsche Außenministerium ist einer der wichtigsten Partner der Veranstaltung und wollte die Kosten für die Anreise aller Teilnehmer übernehmen. »Dieser Vorfall zeigt die Grenzen des Projekts auf«, meint Assmann.
Noch niederschmetternder war jedoch die Nachricht, dass die iranische Mannschaft Tejarat Khane Jonub nicht anreisen durfte. Die iranische Regierung und der Fußballverband erteilten den Spielerinnen keine Erlaubnis, ein Spiel im Ausland zu absolvieren. Es war nicht der erste Versuch, ei­ne iranische Frauenfußballmannschaft nach Berlin einzuladen. Die Kickerinnen von Al-Dersimspor reisten 2006 nach Teheran, um dort gegen die iranische Nationalmannschaft zu spielen. Es war das erste offizielle Spiel für die Iranerinnen seit der sogenannten islamischen Revolution von 1979. Danach versuchten die Kreuzbergerinnen mehrmals vergeblich, ein Rückspiel in Berlin zu organisieren. Doch immer wieder wurde dem iranischen Nationalteam die Ausreise verwehrt. Die Geschichte wurde in der Dokumentation »Football Under Cover« verfilmt, die ein großer Publikumserfolg war und auf der folgenden Berlinale sogar den Teddy-Award gewann. Obwohl der Film für großes Aufsehen sorgte, ist es auch seitdem nicht gelungen, das Rückspiel in Berlin auszutragen. Nur eine Spielerin des eingeladenen Teams konnte als Privatperson zum Festival kommen: Niloofar, die auch eine der Hauptfiguren in »Football Under Cover« war und sich 2006 an der Organisation der Partie gegen Al-Dersimspor im Iran beteiligte. Niloofar durfte damals bei dem Spiel in Teheran selbst aber nur zuschauen. Nun konnte sie erneut nicht mit ihrer Mannschaft antreten, mit der sie in diesem Jahr die iranische Frauenfußball-Meisterschaft gewann. Sie war dann aber doch auf dem Platz zu sehen, da bei der serbischen Mannschaft Vojvodina & Friends, die die Iranerinnen ersetzte, noch Spielerinnen fehlten.
Das Fehlen der Mannschaften aus Liberia und dem Iran wurde beim Festival nur am Rande thematisiert. Die Regisseurin Tanja Bubbel, deren Film »Adelante Muchachas« gezeigt wurde, bezeichnete es bei einer Podiumsdiskussion als ­einen »Skandal«, dass die liberianische Mannschaft nicht teilnehmen durfte, weil ihnen von den deutschen Behörden keine Visa ausgestellt wurden. Doch weil die Programmhefte, Sammel­alben und Plakate für das Festival bereits gedruckt waren, als die Absagen bekannt wurden, waren die fehlenden Mannschaften dennoch sichtbar. So konnten sich Besucher in der »Fancorner« über jedes Team informieren, ihren für sie komponierten Fangesang anhören und Sammelalben mit Klebebildchen komplettieren.

Der Höhepunkt des Turniers ist das Finale zwischen Masco HIV Aids Sports Project aus Sambia und der für Liberianerinnen nachgerückten Frauen aus Paraguay vom Arkadia SC.
Beide Teams laufen singend auf das Spielfeld. Bereits in der Vorrunde sind sie aufeinander getroffen. Beim ersten Spiel gewannen die Frauen aus Paraguay mit 2:1. Nun will die Mannschaft aus Sambia zeigen, dass sie es besser kann. Das Masco Project besteht seit 2007 und hat eine Auswahl der besten Spielerinnen, die sich für Aufklärung über Aids einsetzen, nach Berlin geschickt. Arkadia SC ist eine sportlich-soziale Einrichtung in Paraguay, die nicht gewinnorientiert arbeitet. Dennoch ist Arkadia ein erfolgreicher Club, dem mehrere Nationalspielerinnen angehören. Die Spielerinnen leben zumeist in Armut. Der Verein will ihnen eine Perspektive bieten und unterstützt dazu auch ihre schulische und berufliche Ausbildung.
Beide Teams nehmen das Spiel sehr ernst, die Stimmung ist angespannt. Entsprechend kommunizieren die Spielerinnen, aber auch die männlichen Trainer bei dieser Partie etwas lauter miteinander. Auch unter den Zuschauern herrscht Spannung. Die bereits ausgeschiedenen Spielerinnen und Unterstützer des FC Heißer Leberkäse aus Wien haben einen Fanblock gebildet. In der ersten Halbzeit feuern sie noch Paraguay an, in der zweiten Halbzeit unterstützen sie auch das Team aus Sambia. Die Partie endet nach der regulären Spielzeit unentschieden 1:1. In der Nachspielzeit fallen keine Tore, das Spiel muss beim Neunmeterschießen entschieden werden. Die Frauen aus Sambia verschießen zweimal, Arkadia trifft hingegen und gewinnt das Turnier. Da die Entscheidung durch die Wiederholung eines gehaltenen Neunmeterschusses fällt, herrscht zunächst Verwirrung beim Publikum und Wut bei Sambia. Doch spätestens beim Abschlusskonzert und der anschließenden Party wird zusammen gefeiert.
Das Festival sei »kein Publikumsmagnet« gewesen, gibt Marlene Assmann zu. Aber wichtiger ist ihrer Ansicht nach, dass sich die Teams wohlfühlten. Discover Football habe nicht nur »interkulturellen Austausch« für die Mannschaften ermöglicht, sondern auch darauf hingewiesen, dass sich Frauen in vielen Ländern das Recht aufs Fußballspielen erkämpfen müssen. Auch Petra Landers, die der ersten deutschen Nationalmannschaft angehörte und jeden Tag am Festival teilgenommen hat, gibt zu: »Lange Zeit habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, warum Frauenfußball in Deutschland nicht anerkannt war.« Jetzt, auch aufgrund dieses Festivals, sei ihr aber bewusst geworden, gegen welche Widerstände diese Frauen sich täglich durchsetzen müssen und welche Hindernisse, Ausgrenzungen und Bedrohungen in ihren Ländern noch immer herrschen.
Es wird lange dauern, bis die afghanischen Kickerinnen ohne Polizeischutz trainieren können. Und ob im kommenden Jahr auch eine iranische Mannschaft beim Folgeturnier von Discover Football teilnehmen kann, bleibt ungewiss.