M.I.A. wird nicht mehr gehypt

Die Bling-Bling-Militanz

Der Hype um M.I.A. ist vorbei. Jetzt fliegt der Musikerin die eigene Inszenierung um die Ohren.

Die Popmusik hat in den vergangen zehn Jahren so sehr an Sprengkraft eingebüßt, dass man sich angesichts des diesjährigen Sommerlochaufregers nur verwundert am Kopf kratzen kann: Wie hat es die Musikerin M.I.A. mit ihrem neuesten Album »Maya« geschafft, den Großteil der Presse gegen sich aufzubringen?
Wir erinnern uns: 2005 platzte Maya Aralpragasam, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, in die Indierock-gelangweilten Playlists. Sie wurde als Prophetin eines neuen Musikstils gefeiert und versprach den Popsound der Stunde, direkt aus dem Herzen Brooklyns, die Welt im Blick und bereit, die ganze Sample-Klaviatur für ihren urbanen Weltmusik-Mashup zu nutzen. Ihr hochschwangerer Auftritt im fast durchsichtigen Alexander-Wang-Kleid bei den Grammys 2008, ihre laute, kritische Klappe und ihre Stilsicherheit brachten ihr nicht nur Plattenverkäufe und schnellen Ruhm, sondern vor allem auch die Anerkennung der sich immer noch als mainstream- und popkritisch definierenden alternativeren Musikfans. In den Städten dieser Welt trat sie außerdem einen Modetrend los: Ihre Art, sich HipHop-Bling umzuhängen und verzerrte, neonfarbene Versionen von Ethnomustern miteinander zu kombinieren, wurde in die Skinny-Jeans-Silhouetten vieler Hipster integriert.
Anfang Juli brachte die zurzeit vielleicht bekannteste Popmusik-Newcomerin nach Lady Gaga ihr drittes Album, »Maya«, heraus. Anders als Gaga muss sie sich mit den negativen Seiten des Ruhms herumschlagen: Ihr fliegt im Moment die eigene Inszenierung um die Ohren.
Vor fünf Jahren wurde ihre scheinbar radikale Selbstdarstellung als amerikanischer Staatsfeind Nummer Eins, ihre Freshness, aber vor allem ihre Performance als einzig gültiger Anti-Popstar wohlwollend aufgenommen. Als Anti-Lady-Gaga wurde sie tituliert. Ein paar Jahre vorher hätte man noch Anti-Britney geschrieben und damit die Abgrenzung, die M.I.A. erreichen wollte, deutlicher definiert: Weitestgehend selbstbestimmt sieht sie sich, als politischer Mensch, als weibliche Künstlerin, die auf sexuelle Inszenierungen verzichtet und dafür lieber Inhalte vermittelt; über ihre Musik, aber auch ihre Äußerungen in Interviews.
Warum prügeln jetzt scheinbar alle auf sie ein? Das kann nicht nur an dem mittelmäßigen Album liegen, wie es fast jeder Künstler in seiner Musikkarriere irgendwann herausbringt. Meistens sind solche Alben schnell wieder vergessen, selten werden sie mit so viel Häme übergossen wie »Maya«. Ihre spezifische Verbindung von Kritik und Musik, die sie selbst dafür verantwortlich macht, kann es alleine nicht sein. Pop und linke Symbolpolitik gehen nicht zum ersten Mal eine Allianz ein, sind eher alte Partner.
Diplo, ihr Produzent und Ex-Freund, der in ihrem Fahrwasser bekannt geworden ist, hat offensichtlich das Bedürfnis, sich von dem von ihm mitproduzierten Album und auch von M.I.A. selbst zu distanzieren. In einem Interview mit Blackbookmag.com sagte er: »Sie ist eine kontroverse Künstlerin, und sie ist auch eine der wichtigsten und bekannten Personen, aber ich habe das Gefühl, dass sie sich nicht besonders um das Album gekümmert hat. Ich war mit ihr im Studio, und sie hat nichts geschrieben.«
Diplos Kritik schlug hohe Wellen im Netz, noch stärker wirkt aber derzeit ein Artikel von Lynn Hirschberger, der Ende Mai als New York Times Magazine-Cover-Story erschien. Hirschberger griff darin die Glaubwürdigkeit von M.I.A. massiv an, unterstellte ihr politische Kurzsichtigkeit und warf ihr vor, ihren eigenen Luxus nicht zu hinterfragen, während sie anderen permanent einen moralischen Spiegel vors Gesicht halte. Deutliches Echo, vor allem in der deutschen Presse, fand Hirschbergers Kritik an der Solidarität mit den tamilischen Rebellen in Sri Lanka, wo die Künstlerin geboren wurde und einen Teil ihrer Kindheit verbrachte.
M.I.A. hatte zwar von Anfang an ein gutes Gespür für Übertreibungen und Plakativität, zwei der wichtigsten Stilmittel im Showbiz, doch während Madonna sich die Symbolik der Kirche vornahm und die Britney-Generation ihre eigene Disney-Unschuld durch übertrieben sexuelle Selbstdarstellung ablegte, nahm sich M.I.A. handfeste politische Themen vor. Als sie das Vorgehen der sri-lankischen Regierung als Genozid bezeichnete, verstand die ehrwürdige New York Times keinen Spaß mehr und zerpflückte die Äußerungen der Musikerin aufs Genauste. Leider hat M.I.A. es versäumt, das Spiel richtig zu spielen und die Trennung zwischen Person und Inszenierung so zu betreiben wie die von ihr als reaktionäre, inhaltsleere Mimin angegriffene Lady Gaga. M.I.A. konnte sich nicht in den uneindeutigen und ironischen Zeichenwald der Popkultur zurückziehen, mit ihr wird jetzt geredet wie mit einem unartigen Kind.
Damit nicht genug: M.I.A. hat sich so lange zum Sprachrohr der Unterdrückten aufgeschwungen, dass Kritiker bei ihren Texten und Statements jetzt sehr genau hinhören. Während zum Beispiel Erykah Badu sich in ihren Liedern in Paranoia und senil-spiritueller Amerika-Angst ergehen darf, hat M.I.A., wie Pitchfork Media findet, genau diesen Deal gebrochen. Pitchfork ist in den vergangenen Jahren, in denen Musikkritik immer mehr ins Internet abwanderte, zu einer der wichtigsten Plattenbesprechungs-Seiten geworden und somit ein weiterer wich­tiger Feind, der M.I.A. und ihr neues Album kritisiert: »Es sieht so aus, als ob Maya diese Gegenreaktion nur noch verstärken wird, die einzelnen Songs sind zu dünn um ihr Konzept überhaupt zu transportieren.« 4,4 von zehn Punkten gaben sie ihrem neuen Album, das Vorgängeralbum »Kala« (2007) bekam noch 8,9.
Das sind die Grundpfeiler der Kritik, die in den Feuilletons gebetsmühlenartig wiederholt wird. Immer wieder wird M.I.A. für ihr Leben im poshen Bezirk Brentword in Los Angeles angegriffen. Dass ihr Freund, mit dem sie gemeinsam einen Sohn hat, reicher Erbe ist, wird als Verrat gewertet.
Im Grunde sind das die Geister, die sie selber rief. Die Feindbilder Amerika, die westliche Presse und Coca Cola ergeben eben noch keine Kapitalismuskritik, M.I.A. hat sich mit ihren simplen, oberflächlichen Äußerungen zu gesellschaftlichen Problemen angreifbar gemacht. Deswegen kann der Niedergang, der jetzt herbeigeschrieben wird, genauso simpel funktionieren wie das fast einheitliche Hochgejubel vor fünf Jahren. Damals freuten sich die bürgerlichen Kulturbesprechungsorgane: Die schockt ja nur, um uns eine wichtige Botschaft zu vermitteln. Der geht es gar nicht um den Fame, die kämpft ja für bessere Verständigung auf der Welt. Die tritt nicht mit schwangerem Bauch auf, um ihre eigene Popularität zu erhören, die sendet eine Message, die alle angeht. Immer wieder wurde ihre Biografie zitiert und her­untergebetet als Beweis für die Authentizität ihres Anspruchs, denn bei so einem Leben zwischen Sri Lanka, London und New York darf man sich doch zu dem Missständen auf der Welt äußern! Sie selber inszenierte sich dabei als David gegen einige Goliaths, eine nicht besonders originelle, aber gelungene PR-Strategie, denn wer möchte nicht auf der Seite der Underdogs stehen. Presseparanoia, Wut auf Konzerne, Rassismuskritik light – das kommt gut an.
Brüche in dieser Inszenierung kann aber nur ausmachen, wer sie für konsistent gehalten hat. Der Vorwurf der New York Times, in Sri Lanka kenne M.I.A. gar keiner, macht deutlich, wo die Crux liegt: Über Authentizität kann nur stolpern, wer bereit ist, an deren Existenz zu glauben. Dass Coca Cola und Tarnuniform auch nur Zeichen sind, wie die Samples in ihrer Musik, die zwar eine Bedeutung haben, aber letztlich eben keine Konsequenz nach sich ziehen, das wollen weder M.I.A. noch ihre bürgerlichen Kritiker einsehen. Vor fünf Jahren ist die Presse in diese Falle getappt, nun ist ihr M.I.A. selbst zum Opfer gefallen.

M.I.A.: Maya. Beggars Group. 2010