Dirk »Dicken« Jora im Gespräch über die Reunion der Punk-Band Slime

»Ich habe alles verballert!«

Ein Gespräch mit dem Slime-Sänger Dirk »Dicken« Jora über die Gründe für die Reunion, die Relevanz der alten Songs – und den Frust beim Taxifahren.

Die Hamburger Punk-Band Slime war in den acht­ziger Jahren die Haus-und-Hof-Band der radikalen Linken, ihre Songs liefen auf jeder Demo und in jedem besetzten Haus der Republik rauf und runter. Viele schätzten ihre energiegeladenen Kompositionen und die aggressiven Texte, manchen waren Mitgröl-Hymnen wie »Bullenschweine« und »Legal-Illegal-Scheißegal« aber auch zu platt. 1984 trennte sich die Band zum ersten Mal. Nach einem erfolgreichen Revival Anfang der Neunziger wurde 1994 das endgültige Ende der Gruppe verkündet. Etwas überraschend haben sich jetzt drei der fünf Herren wieder zusammengetan und gehen auf Tournee.

Dirk, vor 16 Jahren habt ihr Slime aufgelöst. Jetzt geht ihr wieder auf Tournee. Warum?
Die Zeit war einfach reif. Die Band ist 30 geworden, ich 50 und mein Lieblingsverein, der FC St. Pauli, 100 Jahre alt. Unser Gitarrist Elf und ich haben immer gesagt, dass wir zum 30. Bandgeburtstag ein paar Konzerte geben wollen. Die Nachfrage ist da, jetzt werden es mehr als 30 Gigs in diesem Jahr. Ein weiterer Grund ist, dass ich den Adrenalinkick vermisst habe. Wir hatten unseren ersten Auftritt im Juni beim Ruhrpottrodeo-Festival vor 7 000 Leuten. Noch an der letzten Falafelbude standen die Leute da mit erhobenen Fäusten. Das kickt mich.
Nicht dabei ist Stephan Mahler, Schlagzeuger und Kopf der Band. Warum eigentlich nicht?
So richtig habe ich das bis heute nicht verstanden. Erst hatte er Bock, dann doch nicht. Ich glaube, er ist einfach ein Revival-Skeptiker. Auf der Bühne kommen wir gut ohne ihn aus, sollten wir aber jemals eine neue Platte aufnehmen, dann nur mit ihm. Er ist von uns der beste Texter.
Mit der vorigen Slime-Reunion 1990 wollte die Band ein Zeichen gegen wachsenden Rechtsradikalismus in Deutschland setzen und antifaschistische Aktivitäten unterstützen. Gibt es diesmal keine politische Motivation?
Der politische Faktor spielte damals eine größere Rolle als heute. Aber man sollte nicht vergessen: Wir geben uns ja nicht nur bei Punk-Festivals die Ehre, sondern auch beim Dockville in Hamburg und anderswo – da sehen uns viele Jugendliche, die uns nicht kennen. Diese Generation mit der Nase auf unsere Musik und unsere Texte zu stoßen, kann nicht schaden.
Neues Material habt ihr nicht im Programm. Welche Relevanz haben Texte, die vor 20, 30 Jahren geschrieben wurden?
Unsere Texte haben an Aktualität nichts verloren. Ich versuche jetzt allerdings, in meinen Ansagen konkrete, aktuelle Bezüge herzustellen. Das ist uns wichtig.
Kannst du dafür Beispiele geben?
Vor »Linke Spießer« halte ich einen Vortrag über die grüne Partei und was aus ihr geworden ist. »Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz« verbinde ich mit dem deutschen Oberst Klein, der in Afghanistan den Tanklaster bombardieren ließ. Bei »Deutschland muss sterben« werde ich in Zukunft wieder auf den Ursprung des Stücks hinweisen, der scheint mir vergessen worden zu sein. Der Song ist eine Antwort auf ein Denkmal, das die Nazis 1936 in der Hamburger Innenstadt eingeweiht haben. »Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen«, lautet die Inschrift. Das Ding steht da immer noch, aber unser Lied darf in der Originalfassung laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts weder gespielt noch zitiert oder auf CD gepresst werden. Das ist ungeheuerlich!
Gibt es Stücke, die die Band aus politischen oder Altersgründen nicht mehr spielen will?
Wenn jemand ein Stück aus irgendeinem Grund nicht mehr bringen kann, dann fliegt es raus. Das betrifft bis jetzt aber nur den Song »Iran«, den möchte ich nicht mehr singen.
Warum ausgerechnet den nicht?
Die Zeile »Freiheit – auch nicht dieses Mal« trifft es immer noch, im Iran herrscht ein fürchterliches Regime. Aber die Zeile »Koran – Bibel für Faschisten« geht für mich als Atheist nicht, denn ich lehne jede Form von Religion ab. Den Koran lehne ich genauso ab wie die Bibel. Ich kann mit Hinduismus nichts anfangen, und ich bin auch kein Buddhist. Wenn es nur gegen den Koran geht, ist mir das zu verkürzt.
Wie ist es mit »Yankees raus«? Der Song sorgte immer wieder für Debatten. Zuletzt 2003, als er in einer neuen Version deiner damaligen Band Rubberslime auf einer Attac-CD erschien ist. Die USA wurden in einem Atemzug mit der SA und der SS genannt, Kritiker erkannten darin unter anderem eine Verharmlosung der Naziverbrechen. Wird der Song auf den Konzerten gespielt?
Das ist eine schwierige Frage, die wir in der Band ausführlich diskutiert haben. Auf den Festivals spielen wir den Song nicht. Vielleicht auch, um dieser ganzen Debatte erstmal auszuweichen. Ob wir ihn bei unseren Konzerten Ende des Jahres ins Programm nehmen, haben wir noch nicht entschieden. Wir sind da wirklich etwas unsicher.
Was sagst du denn zu der Kritik?
Ausgerechnet uns – einer ausgewiesen antinationalistischen, antirassistischen Band – Nationalismus oder gar Antisemitismus vorzuwerfen, ist absurd. Es wurde bei der Debatte um den Rubberslime-Song ausgeklammert, dass wir in »Yankees raus« die Kritik an der Politik der US-Regierung stark zugespitzt haben. Es spielte plötzlich auch keine Rolle, welche Inhalte Slime und Rubberslime mit anderen Songs transportieren. Klar kann man über »Yankees raus« diskutieren, aber die Kritik wurde nicht solidarisch formuliert, sondern von Anfang an in einem extrem aggressiven Ton. Der Tiefpunkt war das Auftrittsverbot im Leipziger Conne Island. Da entwickelt sich bei uns eher eine Antihaltung im Sinne von »Jetzt spielen wir das erst recht« – was natürlich auch scheiße ist. Vielleicht sind Teile der Kritik berechtigt, wir werden unsere Position auf jeden Fall überprüfen.
Was hast du in den vergangenen Jahren ­eigentlich so gemacht?
Ich habe Soziologie studiert und bin dann Taxifahrer geworden. Das ließ sich gut mit meinen Vorlieben verbinden. Ich habe neben dem FC St. Pauli seit 20 Jahren einen Zweitverein, das ist Celtic Glasgow – und mit Celtic war ich in 16 Ländern und 27 Städten. Mit einem normalen bürgerlichen Job hätte ich das kaum machen können. Dazu alle 14 Tage noch die St. Pauli-Heimspiele, da war Taxifahren wegen der flexiblen Arbeitszeiten ideal. Es ist aber auch ein harter Job: Wenn du die Niete ziehst, gehst du nach zehn Stunden mit 30 Euro nach Hause. Ich habe deshalb vor drei Jahren eine Fortbildung zum Übersetzer für Wirtschaftsenglisch gemacht und die mit der höchsten Ausbildung abgeschlossen. 36 Bewerbungen habe ich rausgeschickt und nur drei Antworten bekommen. Alles Absagen. Da saß ich dann bei mir auf dem Land und habe nur gedacht: Alter, wie soll das bloß weiter­gehen?
Auf dem Land?
Ich bin vor drei Jahren aufs Land gezogen, der Ort liegt eine knappe Stunde von Hamburg entfernt. Ich habe da ein ganz kleines Häuschen. Nach dreißig Jahren auf St. Pauli habe ich gedacht, ich schalte mal einen Gang zurück. Ich habe mir ja all die Jahre das volle Programm mit allen erdenklichen Drogen gegeben. Jetzt lasse ich es vor und nach den Heimspielen von St. Pauli krachen und dann ist gut. Zuhause jogge ich im Wald, bin in meinem Garten, hänge mit meinen Nachbarn rum, schlage mich so durch und hoffe, dass ich irgendwann doch noch als Übersetzer arbeiten kann.
Du hast dir zu erfolgreichen Slime-Zeiten also nichts auf die hohe Kante gelegt?
Ich habe alles verballert. Ich bin viel gereist, und ich habe viel gefeiert. Besonders viel haben wir mit Slime ohnehin nie verdient, auch wenn immer wieder der Vorwurf kam, wir wären eine Kommerz-Band. Viele machen sich keine Gedanken darüber, dass wir Übungsraummiete, Sprit, Instrumente und so weiter bezahlen mussten. Dass wir uns den Arsch abgespielt und knapp 100 Soli-Konzerte gegeben haben. Wir sind nie zu einer großen Plattenfirma gegangen, die Einnahmen der Single »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland« haben wir an die Antifa gespendet – und dann kommt trotzdem immer irgend jemand aus der linken Szene und schwingt die Kommerz-Baseballkeule. Keine Ahnung, warum das so ist, aber es nervt. Wir haben uns aber auch von den Veranstaltern verarschen lassen. Da sind 600 Leute im Saal, und wir kriegen drei Paletten Karlsquell, Spritgeld und einen feuchten Händedruck.
Fühlst du dich vom Leben betrogen? Du bist Sänger einer wichtigen Band und kannst dich trotzdem gerade mal so durchschlagen.
Als ich Taxi gefahren bin, habe ich oft erfolgreiche Musiker aus befreundeten Bands zum Flughafen gebracht. Die haben irgendwelche Fernreisen gemacht, und ich saß vorne links und habe 3,10 Euro die Stunde verdient. Ich will nicht jammern, aber es gab Situationen, in denen war das ein psychologisches Problem für mich: Ich weiß, was für eine Bedeutung wir in diesem Land haben, aber ich knapps mir einen ab. Ich denke, dass Geld an sich in meiner Szene immer viel zu leichtfertig verteufelt wurde. Wir hatten Power und ein bisschen Macht in den großen Zeiten der Hafenstraße. Da hätten wir eine Druckerei, einen Gastroservice, eine Plattenfirma oder sonst etwas starten sollen. Unsere Energie mitnehmen und uns für schwierigere Zeiten einen Arbeitsplatz sichern. Das kam aber nicht in Frage. Eine andere Haltung hätte uns heute vielleicht in die komfortable Situation gebracht, einen relativ geilen, unabhängigen Job zu haben, eine gute Sache zu machen und trotzdem vernünftig zu leben.

Konzert-Termine auf www.slime.de