Die links-jihadistische Querfront

Die Entstehung der Mavi-Marmara-Linken

Die links-jihadistische Querfront ist keine Schnappsidee einiger verwirrter Antiim­perialisten mehr. Seit dem Auslaufen der »Mavi Marmara« ist sie Realität.
Von

Eines Tages wird man sich fragen, wann das eigentlich angefangen hat, dieses Bündnis von Linken und Islamisten, von Linken und Jihadisten. Vielleicht ist schon jetzt der Zeitpunkt, da diese Frage gestellt werden muss, denn ein entscheidender Schritt zu solcherart rot-grüner Koalition ist inzwischen vollzogen: Die »Mavi-Marmara-Linke« ist nicht mehr die Linke, die sie vorher war. Die Solidarisierung mit der Gaza-Flottille im Mai war eine Zäsur wie vielleicht vorher nur Gollwitz.
Gollwitz ist ein kleines Städtchen in Brandenburg, dessen Einwohner sich 1997 in einer ebenso rassistischen wie antisemitischen Aufwallung gegen die Eröffnung eines Heims für jüdische Aussiedler wehrten und dabei von Teilen der Linken, der »Gollwitz-Linken«, verteidigt wurden: Die »Ossis« seien die eigentlichen Opfer des sozialen Kahlschlags seit der Wiedervereinigung und man müsse daher Verständnis für ihre Reaktion aufbringen. »Heute ist es nicht nur illusionär, sondern reaktionär, sich positiv auf die Linke zu beziehen«, postulierte seinerzeit Jürgen Elsässer in dieser Zeitung, und er, inzwischen längst selber reaktionärer »Gollwitz-Linker« , ist einer von denen, die die Zäsur, die wir nun konstatieren müssen, schon lange propagiert.

Ja, wo hat das begonnen? Als die Fighter der RAF zur Terror-Ausbildung in palästinensische Camps fuhren, liefen die Kontakte noch hauptsächlich über die marxistisch-leninistische PFLP. Arafats PLO und die Fatah, auf die sich Linke in der BRD und die Offiziellen der DDR bezogen, waren zumindest säkular. Sich mit einer islamfaschistischen und offen antisemitischen Organisation wie der Hamas abzugeben, das hätte sich damals aus linker Sicht, und war sie noch so verquer, verboten. Selbst beim Juden killen und Israel auslöschen legte man Wert darauf, mit vermeintlich linken arabischen Organisationen zusammenzuarbeiten.
Und noch als viele, viele Jahre später, im Jahr 2002, Antiimperialisten aus Deutschland und Österreich mit irakischen Terroristen einen Widerstands-Pakt zum Schutz von Saddam Husseins Herrschaft im Irak schmiedeten (Jungle World 17/2004), projezierten die beteiligten Linken immerhin noch eine linke Rest-Substanz in den Ba’athismus – so falsch das war, und so sehr es ihnen hätte auffallen müssen, dass deutsche Nazis sich ebenfalls positiv auf den Ba’athismus bezogen. Potentielle, gelegentlich behauptete Verbindungen zwischen dem irakischen »Widerstand« und dem jihadistischen Terrornetzwerk al-Qaida wurden vehement von den Freunden des »Widerstands« bestritten.
War die al-Aqsa-Intifada, bei der auch die säkularen palästinensischen Kräfte ihren Kampf in einen religiösen Zusammenhang stellten, der Wendepunkt, oder erst die Machtübernahme durch die Hamas im Gaza-Streifen? Tatsächlich wurde seit 2006 die totalitäre rechtsextremistische Hamas bei Linken langsam salonfähig. Als Wolfgang Gehrcke von der Linkspartei 2006 den Hamas-Sprecher Ghazi Hamad zu einer »Nahost-Konferenz« einladen wollte, dementierte er: »Wir haben nicht die Hamas eingeladen. Neben der israelischen Linken, PLO und Fatah wurde auch der Sprecher der palästinensischen Regierung eingeladen, der gehört der Hamas an. Er wird allgemein als moderat dargestellt.« So moderat übrigens, dass der Mann fordert, Israel müsse »vom Angesicht der Erde getilgt« werden, und nicht etwa, unmoderat, ganz Europa. Gehrckes peinliches Manöver war zwar leicht durchschaubar, aber er sah sich wegen des massiven Drucks aus der Partei immerhin genötigt zu erklären, der Eingeladene sei gar nicht die Hamas, auch wenn er deren Sprecher war …

2007 kam es zum sogenannten Bruderkrieg in Gaza. Mindestens 120 Anhänger der Fatah wurden von der Hamas ermordet, viele von ihnen grausam auf offener Straße massakriert. Anderen wurde zur Abschreckung in die Beine geschossen. Reaktion der Linken? Null. Weder aus der Linkspartei noch aus den linken Bewegungen wurden Demonstrationen gegen das faschistoide Terrorregime der Hamas organisiert. Eher im Gegenteil. Nick Brauns etwa, ein Mitarbeiter der »Linken«-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, gab 2007 ein Buch heraus, in dem er eine Vielzahl antiimperialistischer Autoren versammelte, die offen für eine links-jihadistische Querfront warben, von prominenten Vertretern der deutschen Friedensbewegung bis zur Hizbollah (Jungle World 38/2007). Und Brauns selbst schloss sich dem stellvertretenden Generalsekretär der Hizbollah an und forderte ein »Bündnis des islamisch-religiösen Widerstands gegen Imperialismus und Zionismus mit der säkularen Linken«. Jürgen Elsässer war schwer begeistert und proklamierte: »Mit Hizbollah und Hamas gegen das Empire!«
Elsässer gilt den meisten Linken seit langem als wirrer Freak, einige »Linke«-Mitglieder und -Politiker sind für ihre antizionistische Einstellung bekannt, notorische Israel-Gegner gibt es immer – sie alle wurden in der Vergangenheit entweder nicht ernst genommen oder mussten sich, wie zum Beispiel Norman Paech, immerhin gelegentlich für ihre Positionen rechtfertigen. Nachdem durch die Fusion mit der Wasg 2007 der Einfluss antizionistischer Gruppen wie der trotzkistischen Sekte Linksruck in der Partei größer geworden war und auf der anderen Seite sich mit dem Bundesarbeitskreis Shalom eine pro-zionistische Gruppierung innerhalb der Partei immer offener und kritischer äußerte, sich die Debatte also zuzuspitzen schien, bezog 2008 Gregor Gysi Position. Er forderte in einem 16seitigen Schreiben, die Solidarität mit Israel als Staatsräson anzuerkennen und erteilte dem Antiimperialismus und Antizionismus eine klare Absage.
Als vor einem Jahr im Iran die Opposition gegen das die Hamas protegierende Mullah-Regime aufstand, verweigerte die Linke in Deutschland ihr weitgehend die Solidarität und glänzte durch Schweigen. Was bis dahin Schweigen, Nicht-Reaktion war, wurde, als die »Mavi Marmara« in Istanbul ablegte, zur aktiven Kollaboration.
An Bord der von der türkischen IHH geleiteten »Mavi Marmara« kamen beim Einsatz des israelischen Militärs neun Menschen ums Leben, drei Politiker der Linkspartei, die im selben Boot saßen, gerieten in Bedrängnis und wurden vorübergehend von der israelischen Armee festgenommen. Annette Groth, Inge Höger und Norman Paech, die sich nun als »Überlebende« des israelischen »Massakers« auf der »Mavi Marmara« feiern lassen, mussten sich von ihrer Partei nach ihrer Rückkehr keinerlei Vorwürfe anhören und sich nicht rechtfertigen. »Stolz auf ihren Einsatz« (Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch) stärkte der Vorstand ihnen den Rücken. Gregor Gysi ließ die Staatsräson Staatsräson sein und verurteilte ausschließlich den Einsatz des israelischen Militärs als »verbrecherisch«. Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestags und Mitglied des Fraktionsvorstands der »Linken«, distanzierte sich in einem Brief an die Jüdische Gemeinde Bremen als einzige hochrangige »Linke«-Politikerin eindeutig von der Gaza-Boat-Aktion.
Seitdem steht sie unter Druck und nicht etwa die drei antiisraelischen Aktivisten, die munter durchs Land tingeln und ihre wirre Sicht der Dinge verkünden (siehe Die Helden der Gaza-Flottille auf Deutschland-Tour). Dabei ist inzwischen klar, mit was für einem islamistischen Haufen man es bei den Organisatoren der Free-Gaza-Flotte zu tun hatte (siehe Die IHH und ihre Vernetzungen), und, unabhängig von persönlichen oder strukturellen Verbindungen zwischen IHH und Hamas – dass die ganze Aktion voll und ganz im Sinne der Hamas stattfand und mit ihr auch koordiniert gewesen sein muss. Schließlich hatte die Hamas einen Empfang der Flotte in Gaza organisiert und hätte die Verteilung der Hilfsgüter, wenn sie durchgekommen wären, übernommen.
Spätestens wenn das Schiff in Gaza-City angelegt hätte, wäre die ach so friedensbewegte Besatzung in die offenen Arme des bereits in Gala-Uniformen hübsch herausgeputzten Begrüßungskomitees der islamfaschistischen Hamas (siehe Titelbild) gelaufen. Unterstellungen einer Zusammenarbeit werden auch nicht mehr zurückgewiesen: Free-Gaza-Aktivistin Annette Groth erklärt bei ihren Auftritten ganz offen, man müsse mit der Hamas als gewählte Regierung zusammenarbeiten. Nicht eine einzige prominente Stimme aus der Linkspartei erhebt sich öffentlich und fordert »Hamas raus aus den Köpfen«, wie noch 2006, als die stellvertretende Parteivorsitzende Katja Kipping die Positionen von Paech und Gehrcke kritisierte. Der BAK Shalom hat zwar eine Stellungnahme zur Free-Gaza-Flotte veröffentlicht, hält sich aber ansonsten auffällig zurück. Intern gibt es in der »Linken« Streit, doch nach außen soll davon nichts dringen.

Während einige sagen, man müsse auch als Linker mit der Hamas zusammenarbeiten, verklären andere sie gleich als Befreiungsbewegung. War so etwas früher nur von irrlichternden Gestalten wie Jürgen Elsässer, von agressiven Antizionisten wie der »Antiimperialistischen Koordination« aus Wien oder in der nationalbolschewistischen jungen Welt zu lesen, sehen inzwischen immer mehr Linke – und nicht nur in Deutschland – Hizbollah und Hamas als Teil einer antiimperialistischen und antikolonialen Linken. Der Brite George Galloway ist einer der Pioniere dieser verqueren Weltsicht und auch von der postmodernen Theoretikerin Judith Butler war in dieser Zeitung im Interview zu lesen: »Man könnte viel darüber sagen, wie diese Bewegungen (Hamas und Hizbollah, d.Red.) entstanden sind und was ihre Ziele sind. Das würde bedeuten, sie als Bewegungen gegen Kolonialismus und Imperialismus zu verstehen.« (Jungle World 30/2010) Butlers Äußerungen, so abwegig sie auch sein mögen, haben immer noch ein nicht zu unterschätzendes Gewicht in linken Kreisen.
Das alles könnte als kleiner linker Irrsinn abgetan werden, der ohnehin keine Geltungsmacht erlangen wird, wenn sich das Bündnis zwischen Islamismus und Linken nicht auf einer ganz anderen Ebene längst materialisieren würde: Seitdem Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der selbsterklärte Anführer des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, und Irans Präsident Mahmoud Ahmedinejad, dem Möchtegern-Anführer der islamischen Welt, ein offenes, ausdrücklich als »antiimperialistisch« definiertes Bündnis eingegangen sind, das von der wirtschaftlichen bis zur militärischen Zusammenarbeit reicht, ist die links-jihadistische Querfront mehr als eine Verirrung einiger linker Spinner.
Dazu kommt, dass es beileibe nicht nur Linke sind, die sich potentiell mit antiisraelischen und islamistischen Kräften solidarisieren, sondern auch die extreme Rechte – und die bürgerliche Mitte. Selbst die Bundesregierung hat, wie die Reaktionen von Guido Westerwelle und Dirk Niebel (Jungle World 26/2010) gezeigt haben, den Mavi-Marmara-Vorfall genutzt, um gegen Israel Position zu beziehen, und dabei bewusst in Kauf genommen, sich vollkommen im Sinne der Hamas zu verhalten und so deren Stellung zu stärken. Die Vorfälle rund um die »Mavi Marmara« waren daher nicht nur eine Zäsur für die Linke.