Über die Memoiren von Suze Rotolo

Flegeljahre eines Global Player

Sie war seine große Liebe: Suze Rotolo erinnert sich an den frühen Bob Dylan.

Ein Liebespaar im winterlich verschneiten Village in New York City, 1963. Er, schlaksig, viel zu dünn angezogen, mit hochgezogenen Schultern und den Händen in den Hosentaschen. Sie, untergehakt, den Kopf auf seiner Schulter und den Blick direkt in die Kamera gerichtet. Don Huntstein war im Auftrag von Columbia Records zu der kleinen Wohnung der beiden an der West Fourth Street in New York City geschickt worden, um für die zweite Langspielplatte ein Coverfoto von dem noch relativ unbekannten Bob Dylan zu machen. Dylans Liebe gehörte damals Suze Rotolo, mit der er von Sommer 1961 bis 1965 zusammen war. Animiert durch Freunde und durch Martin Scorseses Dokumentation »No Direction Home«, hat Suze Rotolo nun ihre lesenswerten Erinnerungen an die Zeit mit Dylan aufgeschrieben.
Weit davon entfernt, irgendwelche anzüglichen Details auszuplaudern, und mit nur leise kritischen Tönen, liefert sie ein würdiges Porträt des Mannes, dessen Songs durch alle Interpretationsmaschinen gejagt werden, um daraus Erkenntnisse über die Gegenwart gewinnen zu können. In ihren Erinnerungen entsteht das ambivalente Bild eines Menschen, der zwar schüchtern und noch etwas grün hinter den Ohren war, andererseits aber über einen sicheren Instinkt für Themen verfügte und seine Karriere zielsicher und ehrgeizig verfolgte. In den 50 Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit hat er sich trotz seines gelegentlichen gesellschaftspolitischen Engagements (zum Beispiel für Rubin »Hurricane« Carter während der Rolling Thunder Revue in den frühen siebziger Jahren) immer wieder gerne unpolitisch gegeben und durch religiöse Bekenntnisse oder floskelhafte Statements viele Fans verstört.
In seiner Anfangszeit schrieb er hochpolitische Songs wie »The Lonesome Death Of Hattie Carroll« oder »Only a Pawn In Their Game«, in denen er den Rassismus in den USA anprangerte. In »Talkin’ John Birch Paranoid Blues« nahm Dylan den Antikommunismus ironisch und treffsicher aufs Korn. Zum politischen Hintergrund, der für das Entstehen solcher Songs im Werk Dylans wichtig war, trug seine damalige Gefährtin Suze Rotolo Wesentliches bei. Sie stammt aus einer Familie italienischer Einwanderer, die lange Zeit Mitglieder der Kommunistischen Partei der USA waren und in der McCarthy-Ära ihre politischen Erfahrungen machten. Schwarze Listen, Arbeitslosigkeit, Gesinnungsterror, Gewerkschaftsfeindlichkeit und ein mörderischer Rassismus im Süden kennzeichneten die USA Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre. Suze Rotolo war von der kritischen Haltung ihrer Eltern geprägt, engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung und sammelte seit 1958 Geld für den Congress of Racial Equality (Core). Sie konfrontierte den jungen Dylan mit den bestehenden gesellschaftlichen Widersprüchen und nahm ihn zu Veranstaltungen mit. Lange Zeit verschwieg Dylan ihr, dass sein bürgerlicher Name Robert Allen Zimmermann lautete. Bereits damals pflegte er gerne den Mythos, wonach er früh von Zuhause abgehauen und auf der Suche nach dem Blues alleine durch die USA gepilgert sei. Tatsächlich war er schnurstracks aus seinem behüteten Elternhaus in Hibbing nach New York gefahren.
Als Rotolo zufällig seinen Namen herausfand, zog sie ihn – sehr zu seinem Ärger – mit dem Kürzel RAZ, einem Akronym seines bürgerlichen Namens, auf. Suze Rotolo wäscht in ihrem Buch jedoch weder dreckige Wäsche, noch erzählt sie Intimes aus Dylans Leben. Ihre Anerkennung für seine Kunst und seine musikhistorische Bedeutung ist im Buch spürbar. Selbstbewusst und ihrerseits ein interessantes Leben führend, spielt sie nie die Rolle der Muse. Auch hat sich Dylans Fama erst allmählich entwickelt. In kleinen Musikschuppen wie Gerde’s Folk City hatte man ihn ab und an schon auf der Bühne gesehen, aber er war noch weit davon entfernt, ein Star zu sein. Viele Aspekte seiner künstlerischen Persönlichkeit sind aber bereits damals zu erahnen. Immer wieder dreht Dylan seine medialen Pirouetten und erneuert den Mythos, der seine Person umgibt. Mal sondert er skeptische Kommentare zu irgendeinem Thema ab oder verärgert seine Gemeinde, indem er Songs für kommerzielle Werbung freigibt. Als Künstler und globaler Wanderer auf seinen jährlich rund 150 Konzerten weltweit präsent zu sein und gleichzeitig ein völlig unbekanntes und rätselhaftes Dasein zu pflegen, entspricht Dylans eigenem Mythos.
Dazu passt es, dass er vor wenigen Monaten in New Jersey aufgegriffen wurde, weil er allein im strömenden Regen durch einen Suburb spazierte und in die Fenster von unbewohnten Häusern spähte. Gegenüber der von argwöhnischen Nachbarn alarmierten Polizistin konnte er sich nicht ausweisen, und der jungen Beamtin sagte auch der Name Dylan nichts. Erst der Tourmanager konnte seinen Pass vorlegen und die Identität Dylans bestätigen. Über Dylans Privatleben weiß man so gut wie nichts, weil er weder Home­stories zulässt noch Informationen über Beziehungen preisgibt.
Angesichts des Songs »Thunder on the Mountain« und der darin enthaltenen Zeile »I’m wondering where in the world Alicia Keys could be« meinten die Kaffeesatzleser gleich, eine neue Erkenntnis über sein privates Leben gewonnen zu haben. Dylans Hang, sich seine Geschichte und Teile seiner Biografie immer wieder neu zu erfinden, nimmt auch der großartige Film von Todd Haynes »I’m not there« auf. Dort wird in einer Episode Dylans Alter Ego von einem schwarzen Jungen gespielt, der mit Gitarre als kleiner Song- and Danceman durch die Südstaaten zieht, mit altklugen Sprüchen auffällt und mit seiner Musik imponiert, bis eine schwarze Mama ihm bedeutet, er sei ja noch ein Kind und solle sich setzen und essen.
Von der berüchtigten Neigung Dylans, als Plünderer durch das Musikuniversum zu reisen, erzählt auch Rotolo in ihren Erinnerungen. Der Folkie Dave van Ronk war Anfang der sechziger Jahre stolz darauf, »House of the Rising Sun« mit neuem Tempo und andersartiger Phrasierung wiederbelebt zu haben. Dylan, der ihn dabei beobachtet hatte, war davon so angetan, dass er den Song gleich selbst für seine LP aufnahm, obwohl er wusste, dass van Ronk dies für die eigene Platte vorgesehen hatte. Die Beziehung zwischen beiden war dann auch kurzfristig getrübt.

Suze Rotolo: Als sich die Zeiten zu ändern begannen. Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern. Aus dem amerikanischen Englisch von Paul Lukas. Parthas-Verlag, Berlin 2010, 376 Seiten, 24 Euro