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Am Dienstag hat es bei uns wieder mal einen Sektumtrunk gegeben. Das war nämlich der letzte Arbeitstag des Kollegen, der unseren Dossier-Redakteur für fünf Monate vertreten hat. Den Umtrunk gab es natürlich, weil wir uns schwer von dem Kollegen trennen können, nicht, weil er endlich geht. Obwohl er, wie wir zugeben müssen, nicht optimal in unsere Wohn- und Arbeitsgemeinschaft gepasst hat. Zwar zeichnete er sich durch Zuverlässigkeit bei der Teilnahme an den Redaktionsplena aus, was ihm hoch anzurechnen ist, da diese mittlerweile fast täglich stattfinden und schon mal drei Stunden dauern können. Doch seine Stellungnahmen zu diesen Anlässen waren oft eher defätistisch und seine Ideen für die Gestaltung unserer Titelbilder nie konsensfähig. Auch bei der Aufhübschung unserer Redaktionsräume hat er sich nicht durch Arbeitseifer hervorgetan. Den Handtuchdienst hat er nachlässig absolviert und beim Anbringen der Rollos in seinem Arbeitszimmer musste ihm der muskulöse Redakteur aus dem Inland, obwohl der gerade selber aus dem Vaterschaftsurlaub zurückgekommen war, mehr als nur behilflich sein. Die Dekoration seines Büros hat unsere charmante Webmasterin übernommen, die ihm Woche für Woche neue Topfpflanzen ins Zimmer gestellt hat, die er kaum je gegossen hat.
Von diesen sozialen Defiziten abgesehen, hat der Kollege seine Arbeit jedoch sehr gut gemacht. Er passte ja auch ins Stellenprofil, denn beim Dossier handelt es sich, wie Sie vielleicht wissen, um die endlose Bleiwüste, die auf den bunten Dschungel folgt. Da er auch für Zeitschriften schreibt, in denen es gar keine Bilder gibt, konnten wir ihm die redaktionelle Betreuung dieses Ressorts bedenkenlos überlassen. Mit Gleichmut hat er die Blattkritiken ertragen, bei denen das Dossier wöchentlich mit Bemerkungen wie »Bin ich nicht dazu gekommen«, »Hebe ich mir für später auf« oder »Viel zu lang« gewürdigt wird. Gemessen an diesen Bedingungen, hat er dort interessante Texte unterbringen können – jedenfalls, solange er nicht durch Lektoratsaufgaben überlastet war. Der Dossier-Redakteur ist bei uns nämlich, unterstützt von zwei Kollegen, auch für das Lektorat zuständig. Die Lektoren erkennt man bei uns daran, dass sie mit von Rotstift verunzierten Fahnen von Raum zu Raum tapern und den Redakteuren zeitraubende Fragen stellen. Außerdem sind sie für die vielen Fehler in unserer Zeitung verantwortlich, denn die meisten Fehler entstehen durch übergenaue Korrektoren. Immerhin sind die Texte, die der Kollege selber schreibt, kaum bearbeitungsbedürftig, und das will etwas heißen. Wir hoffen daher, dass er uns erhalten bleibt. Er hofft das sowieso, schon aus Gründen des Existenzerhalts.