Eine Biographie über Angelina Jolie

Angelina allein zuhaus

Andrew Morton hat sich auf die Biografien berühmter Frauen spezialisiert. Zwar hat Angelina Jolie nie mit ihm gesprochen, dennoch weiß er viel über sie zu erzählen.

Andrew Morton war, da bin ich fast sicher, immer einer der Jungs, mit denen auf dem Pausenhof niemand spielte. Weil er immer gleich zu den Lehren rannte, um zu petzen. Vermutlich war er auch pummelig und ungelenk, hatte keinen Erfolg bei seinen Angebeteten und kein Talent. Nach einem Geschichtsstudium glaubte er aber zu wissen, was er sein wollte. Ein Autor. Ein Schriftsteller. Ja, vielleicht sogar ein Genie. Aber vorerst nur Journalist. Dann aber immerhin englischer Hofberichterstatter. Für Zeitungen. Na gut, keine seriösen Zeitungen, nur Boulevardblätter wie Daily Mail und Daily Star. Aber immerhin. Er veröffentlichte neben seinen Boulevardberichten ein ganzes Buch über die könig­liche Yacht. Wenn das nichts ist!
Später dann diktierte ihm Prinzessin Diana den ganzen Schrecken ihrer Ehe mit Prinz Charles. Und dass alle, wirklich alle am Königshof echt gemein zu ihr seien. Und dass Andrew das mal bitteschön aufschreiben und an die Öffentlichkeit bringen solle. Morton ließ sich nicht lange bitten, veröffentlichte das Buch und war plötzlich berühmt. War damit aber auch unten durch beim Rest der königlichen Familie.
Morton jedoch hatte sein neues Betätigungsfeld gefunden. Fortan schnüffelte er in der Unterwäsche von Celebrities, vornehmlich weiblichen. Er schrieb Biografien über Madonna, Monica Lewinsky und Victoria Beckham. Die Titel lauten ähnlich. »Her true story« und »Her true life« oder einfach »Madonna«, wahlweise »Tom Cruise – An Unauthorized Biography«. Über den hat er »herausgefunden«, dass Tochter Suri mit tiefgekühltem Sperma des Scientology-Gründers Ron Hubbard gezeugt sei. Ja, ja, das sind alles Wahnsinnsgeschichten, die Morton da wie ein kleines Schweinchen zusammensucht. Natürlich hat er immer Quellen, die ungenannt bleiben wollen, aber enge Vertraute der Hauptpersonen sind.
Nun hat Morton sich also den Superstar Angelina Jolie vorgenommen. Ohne auch nur ein einziges Gespräch mit ihr zu führen, hat er knapp 500 Seiten gefüllt und nennt sein Buch, kaum überraschend, »Angelina Jolie«.
Eines kann man ihm nicht absprechen: Morton ist ein fleißiger Sammler. Er hat sämtliche Zeitungsausschnitte, Interviews, Fernsehauftritte, Ansprachen gesichtet, und das ist genau das, was man in den Händen hält, wenn man dieses Buch liest. Eine ganz, ganz dicke Ausgabe der Glamour, Instyle oder Frau im Spiegel, jedoch mit nur einem Thema: Angelina Jolie. Die Unerreichbare. Die Drogensüchtige. Die Sexbeses­sene. Die Männerfresserin. Die Schauspielerin. Das aber nur am Rande, Jolies filmisches Werk wird eingefügt wie eine lästige Nebensächlichkeit, Inhaltsangaben werden heruntergerasselt, damit man schnell wieder zu den eigentlich interessanten Fakten kommen kann, ihren Tätowierungen, ihren Essstörungen, ihren psycho­tischen Beziehungen, ihrer selbstzerstörerischen Seite. Morton nutzt Filme jeweils nur, um gespielte Figur und tatsächliche Person zu vermischen. Immer ist Angelina zufällig genau das passiert, was sie auf der Leinwand spielt.
Morton hat natürlich Beweise, Belege für alles, was er nicht aus anderen Magazinen zusammengetragen hat. Diese Beweise heißen: »Die Legende berichtet«, oder der Sohn eines Ladenbesitzers, bei dem Jolie als Teenie Messer gekauft haben soll, »erinnert sich«, ein »Freund der Familie« wird zitiert, oder auch Frank, »ihr Dealer aus dem Chelsea-Hotel«, manchmal auch ein schlichter »Augenzeuge«.
Eigentlich ist das alles auch nicht schlimm, schließlich ist Jolie eine wirklich schillernde Persönlichkeit, und ein Buch muss nicht immer mit Tiefgang daherkommen. Es befriedigt unsere Neugier und unseren Voyeurismus, von großen Stars scheinbar Privates zu lesen. Meistens reicht dazu allerdings eine Illustrierte, ein dickes Buch wie dieses macht einen eher sehr schläfrig. Aber auch das ist kein fundierter Vorwurf, auch andere Bücher lassen mich müde werden.
Tatsächlich schlimm an diesem Machwerk ist dreierlei. Da ist zum ersten die Frauenfeindlichkeit, die aus fast jeder Seite springt. Man merkt deutlich, dass Morton Probleme mit erfolgreichen Frauen hat. Faszinierend findet er sie natürlich auch, hauptsächlich jedoch ihre merkwürdige Sexualität. Da sabbert es aus seinen Büchern heraus, dass man ihm eine große Packung Kleenex reichen möchte. Ansonsten kann er mit der Karriere von Frauen nicht viel anfangen. Das ist ihm unheimlich, das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Nun hat er einen Trick gefunden, wie er der Größe der von ihm beschriebenen Frauen beikommen kann: Er erklärt sie zu neurotischen, psychisch kranken und getriebenen Wesen, und schon passt sein kleinbürgerliches Frauenbild wieder.
Im Fall von Jolie funktioniert das folgendermaßen: Morton hat ein Kindermädchen von Jolie ausfindig gemacht, das die einzige exklu­sive Information für dieses Werk liefert. Aus dem Bericht der Frau hat er einen Prolog gezaubert, mit dem schon auf den ersten zwei Seiten das Fundament seiner Interpretation gelegt ist und auf das er im Folgenden immer wieder zurückgreift. »Der Raum war schlicht und kahl: ein weißer Teppich, weiße Vorhänge, weiße Wände, keine Möbel außer einer weißen Wiege. Über ein Jahr lebt hier ein Baby, umsorgt von verschiedenen Babysittern (…) Das Kind wusste nicht, ob dieselbe Frau, die es abends zu Bett brachte, es am nächsten Morgen füttern würde. Seine Mutter, die in einer Wohnung drei Stockwerke tiefer lebte, kam manchmal tagelang nicht zu Besuch. (…) Das Baby war Angelina Jolie.«
In diesem Prolog wird Jolie zu einem hochgradig gestörten Wesen erklärt. Ob es um ihre Bi­sexualität geht, ihre Drogenerfahrungen, ihre Unsicherheiten, ihren Umgang mit Männern oder die Adoptionen, alles wird zurückgeführt auf diese Zeit im Babyzimmer. Eine junge Seele, die so etwas erlebt hat, kann nie, nie wieder zur Ruhe kommen.
Zur Untermauerung dieser These bemüht Morton eine Psychologin und eine Psychoanalytikerin. Die beiden haben, wie auch Morton, nie mit Jolie Kontakt gehabt, was sie nicht von »fundierten« Ferndiagnosen abhält.
So wird zum Beispiel in die Aussage der 13jährigen Jolie, dass das Leben deprimierend sein kann, von der Psychologin der Gedanke an Selbstmord hineininterpretiert. »Ihre Suizidgedanken kamen auf, weil sie kein Selbstgefühl hatte. Sie hatte internalisiert, dass sie als Baby im Stich gelassen wurde, und das drückt sie in dem Gefühl aus, sie sei unsichtbar und wertlos.« Auch Bisexualität kann nicht einfach normal sein, bei niemandem, und ganz besonders nicht bei Angelina Jolie. Da erfahren wir von der Analytikerin: »Bisexualität hat mit Orientierungslosigkeit zu tun (…). Wenn man sich selbst und die eigenen Bedürfnisse nicht versteht, dann fängt man an zu experimen­tieren.«
Die Psychologin wiederum glaubt, in der Bisexualität einen Bezug zu Jolies ersten Lebensmonaten zu finden, als Jolie allein in ihrer Wiege lag. »Für die meisten Frauen sind Freundinnen wie Schwestern. Sie wollen nicht mit ihnen schlafen. Wenn man aber nach Nähe hungert, weil man im Stich gelassen wurde, dann fühlt man sich wertlos. Sobald man sich zu einer Frau hingezogen fühlt, endet das im Bett.«
Jolies Liebhaberin ist natürlich »ein kurzhaariges Mannweib«. Alles andere wäre undenkbar. Ach, und als letztes Motiv findet Morton himself noch etwas zum Thema Bisexualität heraus. Jolie gehe nämlich nur mit Frauen ins Bett, weil sie sich an ihrem Vater rächen wolle. So ist das also. Überhaupt, der Sex. Igittigitt. Diese Jolie ist ein Männer (und Frauen) fressendes unersättliches Biest. Geht über Leichen, lässt Männer fallen wie alte Socken, nimmt anderen Frauen rücksichtslos den Kerl weg, betrügt ohne Gewissensbisse, ist immer und überall scharf und kann ihren Sexualtrieb einfach nicht kontrollieren. Ganz am Schluss des Buches, als Morton zu ihrem Leben mit Pitt und den sechs Kindern noch schnell ein paar Seiten vollkritzelt, wird aus der Hure dann doch noch die Heilige. Geht sonst ja nicht. Erst Mutterschaft macht eine Frau wirklich zur Frau und damit bezähmbar. Hätten wir dieses Feld auch geklärt. Seelisch gesund macht aber auch das Jolie nicht. Auch diesmal sind ihre Motive unlauter, oder wie die Fernanalytikerin zusammenfasst: »Dass Angelina ein Kind aus einem anderen Land adoptierte, ist symbolisch dafür, wie fremd sie sich fühlte.«
Zitate wie diese finden sich zuhauf in dem Buch, und es ist eigentlich vollkommen egal, was Jolie macht, alles zeigt Morton nur, wie krass gestört sie ist. Zur Not muss auch mal ihr Sternzeichen als Erklärung herhalten. Zwillinge sind immer gespaltene Persönlichkeiten.
Nicht nur ist an diesem Buch fast unerträglich, dass Morton Jolie hasst. Auch alle anderen Frauen werden mit frauenfeindlichen Kommentaren überzogen. Jolies Mutter Marcheline Bertrand wird eine »typische Bertrand-Kälte« unterstellt. Jennifer Aniston, die Ex-Frau von Brad Pitt, ist ein Dummchen, das die bösen Vorzeichen, die im Titel des ersten Films standen, den Jolie und Pitt zusammen drehten, einfach nicht erkannt hat. Der Film hieß »Mr. & Mrs. Smith«. Alles klar? Da ist Aniston dann wirklich selber an der zerbrochenen Ehe schuld. Die Schauspielerin Laura Dern wiederum kann nicht schön weinen. »Sie verzerrt ihr Gesicht zu einer Grimasse (…).«
Wem das noch nicht genug ist, dem möchte ich eine dritte Warnung mit auf den Weg geben. Hin und wieder, nein, ständig erliegt Morton dem Wahn, er sei ein großer Autor. Dann verliert er sich in der weiten Welt des Fabulierens. Es »klopft das Schicksal an die Tür«, Frauen müssen bei Heiratsanträgen »tief in ihr Herz blicken«, heiraten den Falschen und »verschließen allmählich die Tür zu ihrem Herzen«. Überall liegen »dunkle Geheimnisse« herum, da ringt »der lüsterne Liebhaber mit dem fürsorglichen Vater«, eine Verliebtheit wird »gleichsam eine Liftfahrt in die Ekstase«, und »dem Paar drang der Sex aus allen Poren, und die Boulevardreporter taten sich an einem üppigen Büfett gütlich«. Oder, in der Methaphernkiste völlig danebengegriffen: »Leider blieb der Film auf dem Jahrmarkt der Selbstgefälligkeit auf der Strecke und geisterte wie ein Flüchtling auf der Suche nach einer Heimat durch die Kinos.«
Na, reicht es? Nein, ein Zitat geht noch. »Als unkonventionelle Frau hat sie sich selbst einen goldenen Käfig gebaut, umgeben von den Schutzlosen, den Bedürftigen und den Enteigneten, mit einer stetig wachsenden Familie und einem Partner, der, in Krankheit und Gesundheit, dieses kühne Abenteuer offensichtlich mit ihr teilt.«
Nach der Lektüre der 500 Seiten weiß man nicht mehr als zuvor über die Schauspielerin Angelina Jolie, sie ist dem Autor vollkommen fremd. Erfahren hat der Leser stattdessen viel über Andrew Morton und seine zutiefst kleinbürgerlichen, eindimensionalen Moral- und Wertvorstellungen. Aber will man das wirklich wissen? Die 20 Euro, die das Buch kostet, sollte man vielleicht besser in Kinokarten für »Salt« anlegen. Mehr Spaß hat man da auf jeden Fall, und für Popcorn reicht das Geld auch noch.

Andrew Morton: Angelina Jolie. Droemer/Knaur. ­München 2010, 512 Seiten, 19,99 Euro