Carlos Busquet: »Unter dieser furchterregenden Sonne«

Axolotls Schweigen

Es ist nicht besonders angenehm unter der furchterregenden Sonne im argentinischen Chaco. Vielleicht verließ Javier Cetarti deswegen einst sein Heimatdorf Lapachito in Richtung Córdoba.

Wir erfahren den Grund nicht, weil wir im Grunde fast nichts über die Hauptfigur des Romans erfahren. Wir sehen ihm nur zu, wie er kifft, Pizza isst, und wir sehen mit ihm einen nicht enden wollenden Strom von Natur- und Geschichtsdokumentationen auf Spartensendern. Vorlieben, die er mit Daniel teilt, der in Lapachito lebt und mit dem er noch auf andere Weise verbunden ist, obschon die beiden einander erst ganz am Ende des Romans kennenlernen. Die Erzählperspektive wechselt von Kapitel zu Kapitel zwischen Daniel und Cetarti hin und her, das verbindende Glied ist Duarte, der mit einem Anruf bei Cetarti die Handlung ins Rollen bringt. Denn Cetartis Mutter und Bruder sind erschossen worden, hingerichtet geradezu, und zwar von dem Geliebten der Mutter, bevor dieser sich selbst den Schädel weggeblasen hat. Cetarti muss die Leichen identifizieren und fährt deshalb, nachdem er sich eine letzte Dokumentation über Riesenkalmare angesehen hat, in den Chaco.
Carlos Busqued inszeniert diesen Horrortrip vollkommen emotionslos, in präziser Sprache und ohne Erklärung, uns wird kein Blick in das Innere der emotional abgestorben wirkenden Personen gewährt. Es sind die äußeren Zeichen, Boten aus der Natur, die ahnen lassen, dass dort unter der Oberfläche Furchterregendes brodelt. Das ganze Chaco-Dorf säuft nach einem Erdbeben allmählich in einer stinkenden Schlammschicht ab, Hunde richten sich gegen ihre Herren, Bullen kämpfen vergeblich gegen ihre Schlachtung und bringen bei einem Fluchtversuch das Haus von Cetarti ins Wanken. Die größte Fürsorge erfährt lange Zeit ausgerechnet ein Axolotl.
Busqued hat mit seinem extrem komprimierten, emotionslosen Roman eine große Allegorie auf die argentinische Gesellschaft rund ein Vierteljahrhundert nach der Militärdiktatur entworfen, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Während die Gräuel der Vergangenheit unter der Oberfläche rumoren und jederzeit ausbrechen können, sitzt die nachgeborene Gesellschaft antriebslos da. Die Katharsis gelingt erst mit Hilfe einer neugierigen, friedlich dreinschauenden Kuh, und nur unter Opfern: Der schweigsame Axolotl muss dran glauben.
Carlos Busqued: Unter dieser furchterregenden Sonne. Kunstmann, Hamburg 2010, 192 Seiten, 17,90 Euro