Gesäß auf Hocker

Man soll ja mit dem Begriff »genial« vorsichtig umgehen, aber bei diesem Foto/Text-Band von Max Goldt kommt einem das Wörtchen immer wieder in den Sinn. Zum Beispiel wenn Goldt auf einem Rezeptfoto aus den Sechzigern ein dadaistisches Anti-Kriegs-Motiv zu erkennen vermag, wo unsereins nur einen Hackfleischeintopf mit Spiegelei gesehen hätte. Mit seinem wunderbaren Fotoband »Gattin aus Holzabfällen« kehrt Goldt gewissermaßen zu seinen Anfängen zurück, als er Ende der Achtziger, als Camp und Alltagskultur im deutschen Feuilleton noch unbetreut waren, seine legendäre Titanic-Kolumne »Aus Onkel Max’ Kulturtagebuch« schrieb. Hier wurde die ganze merkwürdige BRD-Folkore verhandelt, dazu gab es Abbildungen von Postkarten mit erdrückend leeren Fußgängerzonen oder auch mal eine Gay-Hotline-Anzeige mit nackten Männern, die sich riesige Telefonhörer an die Ohren hielten.
Auch wenn Trash-Motive mittlerweile in jedem Postkarten-Shop angeboten werden, die Fotos, die Goldt aufgestöbert hat, sind doch noch eine Spur grotesker. Wobei es erst die hochspekulativen Bildkommentare sind, die die ganze Schönheit des Abseitigen erschließen. Plötzlich zeigt das Foto eines breiten Gesäßes auf einem Klappstuhl nicht mehr nur einen dicken Hintern, es erzählt vielmehr eine Geschichte, nämlich die eines älteren Herrn, der im Garten sitzt und schmollt, weil Corinna Harfouch ihm nicht auf seinen Liebesbrief geantwortet hat, den er schrieb, nachdem er sich in »Der Untergang« in sie verliebt hatte.

Max Goldt: Gattin aus Holzabfällen. Rowohlt, Berlin 2010, 128 Seiten, 18,95 Euro