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Unser Produkt wird unter anderem nach Kanada, Russland und Israel ausgeführt, doch unsere Exportquote ist niedrig. Wenn Sie in dieser Ausgabe lesen, dass Angela Merkel beim G20-Gipfel in Südkorea erneut mit Kritik wegen der deutschen Exportpolitik rechnen muss, sollten Sie daran denken, dass wir ganz anders sind und uns vor allem für die Binnennachfrage interessieren. Und wenn Sie weiterblättern, um zu erfahren, warum Merkel in Europa immer unbeliebter wird, sollten Sie nicht vergessen, dass wir uns auf unseren Auslandsreisen immer vorbildlich integriert und keinen Anlass zur Klage geboten haben. Dass Analysten glauben, Vorstandsvorsitzende bedürften keiner fachlichen Qualifikation, können Sie ebenfalls in dieser Ausgabe nachlesen. Auch das ist bei uns natürlich anders. Einen Vorstand haben wir ohnehin nicht, aber selbst wenn wir einen hätten, wäre Roland Kochs Bewerbung gleich im Papierkorb gelandet.
Aber Geld verdienen müssen auch wir. Damit das klappt, widerfährt nur den Klügsten und Besten die Ehre, im Geschäftsführungszimmer Platz nehmen zu dürfen. Sympathisch sollen sie auch noch sein, und der Begriff »Einheitslohn« darf sie nicht abschrecken. Eine Geschäftsführerin verlässt uns, um sich der Forschung zu widmen. Wir bedauern das sehr, doch blieb uns nichts anderes übrig, als mit der Anzeige, die Ihnen im Frühherbst vielleicht aufgefallen ist, »eine/n Geschäftsführer/in« zu suchen. Die Suche war von Erfolg gekrönt, am 1. Dezember beginnt eine neue Geschäftsführerin ihre Arbeit. Mit Sorge erfüllt uns nur, dass in der Anzeige nicht die ganze Wahrheit offenbart wurde. Denn die Anforderungen sind noch ein wenig höher, als wir zu schreiben für klug hielten.
Unbedarfte mögen glauben, Geschäftsführung bei uns habe etwas mit Führung zu tun. Sie wissen schon, so wie früher bei Focus: »Fakten, Fakten, Fakten, und immer an die Leser denken«, sagt der Chef, die Redakteure nicken demütig und eilen gehorsam zu ihren Schreib­tischen. Bei uns ist es schon schwer, die Redakteure zur Teilnahme an der Geschäftsführungssitzung zu bewegen. Das Läuten der Glocke wird meist mit Kommentaren wie »Schon wieder?« oder »Ich wollte doch gerade zum Asia-Imbiss!« quittiert. Überdies ist die Geschäftsführung bei uns für alle Dinge zuständig, für die sich sonst niemand zuständig fühlt. Diese Ansicht hält sich jedenfalls hartnäckig bei den Redakteuren. »Der Zucker ist schon wieder alle«, mault der eine. »In meinem Zimmer wird es nicht warm«, jammert ein anderer. Kompetenzen in Catering, Heizungstechnik und vielen weiteren Fachgebieten sind gefragt, wenn man die Redakteure glücklich machen will. Allerdings wird sich wohl auch die neue Geschäftsführerin darauf besinnen, dass Glück im Kapitalismus nur ein Versprechen sein und auch jemand anders Zucker kaufen oder den Radiator suchen kann.