Der Fall Sakineh Ashtiani und die iranische Opposition im

Sharia ohne Gnade

Die weltweiten Proteste haben die Steinigung von Sakineh Mohammadi Ashtiani bisher verhindern können. Die Kampagne der im Iran zum Tode verurteilten Frau bleibt jedoch umstritten.

»Ich bin Sakineh Mohammadi Ashtiani. Nachdem ich verheiratet worden war, bekam ich zwei Kinder und meine ganze Hoffnung ist mit ihnen. Ich bin jetzt ruhig und traurig, weil ein Teil meines Herzens gefroren ist. An dem Tag, an dem ich vor den Augen meines Sohnes Sajjad ausgepeitscht wurde, bin ich zerstört worden und meine Würde und mein Herz wurden gebrochen. Am Tag, an dem mein Steinigungsurteil verkündet wurde, war mir, als sei ich in ein tiefes Loch gefallen, und ich verlor mein Bewusstsein. Nachts, vor dem Einschlafen, denke ich oft: Wie kann jemand bereit sein, Steine auf mich, auf mein Gesicht, auf meine Hände zu werfen? Warum?«

Das sind die Worte einer Frau, die seit Jahren darauf wartet, gesteinigt zu werden. Sakineh Ashtiani wurde 2006 nach dem Tod ihres Ehemannes wegen Ehebruchs zunächst zu 99 Peitschenhieben und später zum Tod durch Steinigung verurteilt. Ashtianis Sohn wandte sich vor der drohenden Hinrichtung seiner Mutter im Sommer über die Menschenrechtlerin und Vorsitzende des »Internationalen Komitees gegen Steinigung«, Mina Ahadi (Jungle World 47/10), an die internationale Öffentlichkeit. Seitdem ist Ashtianis Fall weltweit bekannt. Prominente aus vielen Ländern haben sich mit ihr solidarisiert und die Aufhebung des Steinigungsurteils gefordert. Sogar der brasilianische Präsident Lula da Silva bot als strategischer Bündnispartner des Iran an, Ashtiani Asyl zu gewähren. Das iranische Regime wurde immer nervöser und sah sich zunächst gezwungen, die Steinigung vorläufig auszusetzen.
Anfang Oktober verhafteten iranische Repressionskräfte zwei deutsche Journalisten, als sie versuchten, den Sohn und den Anwalt von Sakineh Ashtiani zu interviewen. Sie sitzen seither im Gefängnis. Am 15. November wurden sie im iranischen Fernsehen in einem offensichtlich manipulierten Beitrag als geständige Agenten vorgeführt, Ashtiani bezeichnete sich demselben Beitrag zufolge als »Sünderin«. Gleichzeitig kündigte das iranische Regime an, am 1. Dezember Shahla Jahed hinzurichten. Sie wurde im Jahr 2004 zum Tode verurteilt, nach dem wahrscheinlich erzwungenen Geständnis des Mordes an der Erstfrau ihres Ehemannes.
Durch die weltweite Resonanz auf Ashtianis Leid unter Druck gesetzt, versucht die Islamische Republik, mit allen Mitteln Handlungsfähigkeit in Sachen Justizmord zu beweisen.

Bis vor fünf Jahren bezeichnete man in Deutschland die Islamische Republik gerne als Ausdruck »orientalischer Kultur«. Mit Ahmadinejads Amtsantritt wurde immer deutlicher, dass dieses Regime sich nur durch blanke Gewalt an der Macht halten kann. Der Aufstand der iranischen Freiheitsbewegung im Sommer vergangenen Jahres zerstörte den Nimbus der Islamischen Republik endgültig. Die deutsche Politik und Wirtschaft sowie einen Großteil der Think-Tanks und der Medien hat diese Entwicklung aber nur kurz irritiert. Ungezählt sind die Versuche etwa der Grünen, mit Vertretern des Mörderregimes wie dem iranischen Botschafter in der Bundes­republik, Ali Reza Sheikh Attar, ins Gespräch zu kommen, oder die Treffen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit regimetreuen Leuten in Deutschland und im Iran. Erst im Oktober reiste eine Delegation des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit Peter Gauweiler (CSU), Claudia Roth (Die Grünen), Luc Jochimsen (Linkspartei) und anderen unter dem Motto des »kulturellen Dialogs« zu einer einwöchigen Propagandatour in den Iran. Ihnen folgte wenige Wochen später die FDP-Abgeordnete Elke Hoff, die im Iran gleichzeitig die Interessen des seit 1934 traditionsreich wirkenden »Nah- und Mittelostvereins« vertrat, dessen Vorstandsmitglied sie ist.
Kazem Moussavi, Sprecher der Green Party of Iran, kommentierte diesen Regimetourismus treffend mit den Worten: »Diese Reisen ändern nichts an der katastrophalen Menschenrechts­lage der iranischen Bevölkerung und an der Situation von Sakineh Ashtiani, Shahla Jahed, Sajjad, Hutan, Nasrin Sotudeh und den weiteren Rechtsanwälten und Oppositionellen, die im Gefängnis sitzen. Im Gegenteil, sie nutzen allein dem menschenverachtenden Regime. Dieses kann der Welt zeigen: Wir sind nicht isoliert.«

Genau dies wollte auch die Konferenz »Iran Business Forum – Investitionsmöglichkeiten in den Nordwestlichen Provinzen Irans« beweisen, die am 22. November in Hamburg stattfand. Das Regime entsandte zu dem deutsch-iranischen Wirtschaftstreffen ausgerechnet den Gouverneur der Provinz Ost-Aserbaidschan, in der Ashtiani verurteilt wurde und die zwei deutschen Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch de facto als Geiseln gehalten werden. Die Veranstaltung in Hamburg wäre ohne die Duldung oder Unterstützung der Bundesregierung nicht möglich gewesen. Das Signal ist klar: Anstatt auf die Terrorliste gesetzt zu werden, können Vertreter des iranischen Verbrecherregimes in Deutschland als Wirtschaftslobbyisten auftreten. Wie bestellt kam noch die Aussage des Generalstaatsanwalts von Ost-Aserbaidschan, dass eine Steinigung Ashtianis nach Abschluss aller Formalitäten weiterhin möglich sei.
Der Fall Ashtiani ist zum globalen Politikum geworden. An ihm scheiden sich auch unter Iranern, die im Ausland leben, die Geister. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat mehrmals die Thematisierung des iranischen Atomprogramms kritisiert, da diese angeblich von den Menschenrechtsverletzungen im Iran ablenke. In der Sache Ashtiani behauptete sie nun, es handele sich um eine »aufgeblasene« Geschichte, die andere Menschenrechtsverletzungen verdunkle.
Mitte November sekundierte ihr der in Deutschland lebende Exiloppositionelle Mehran Barati. In einem Interview mit dem Radiosender »Voice of America« machte er Ashtianis Sohn und eine nicht namentlich genannte Übersetzerin – gemeint war Mina Ahadi – für die Verhaftung der deutschen Journalisten verantwortlich. Auch Mariam Lau griff Ahadi in der Zeit in einer Weise an, die in Deutschland in der Regel für die »Israelkritik« reserviert ist, nämlich indem man eigene Ressentiments im Namen anderer formuliert. »Ein oft geäußerter Verdacht« unter deutsch-iranischen Exiloppositionellen laute, schreibt Lau, Ahadi habe Ashtians Sohn »und die beiden ahnungslosen Journalisten in die Falle der Mullahs tappen lassen, um so ein Exempel zu statuieren«.
Diese absurden Anschuldigungen können als Warnung an viele Oppositionelle gesehen werden, sich gefälligst an die von Deutschland und Europa zugelassenen Regimekritiker zu halten, während jede unabhängige oder gar radikale Kritik am islamischen Regimes in den Abgrund führe. So wird der Fall Ashtiani – der wie kein zweiter seit dem Tod von Neda Agha Soltan während der Proteste im Sommer 2009 für weltweite Empörung gesorgt hat – abqualifiziert, da er sich nicht dafür eignet, Träumereien von einer reformierten Islamischen Republik zu verbreiten.
Doch genau solche Illusionen haben die Machthaber des iranischen Regime im vergangenen Jahr selbst konsequent zerstört, als sie die »Reformer« erfolgreich bekämpften. Und ob es Ebadi, Barati und andere Oppositionelle von Deutschlands Gnaden wollen oder nicht, das Engagement von Mina Ahadi und anderen hat gezeigt: Nur wer ernsthaft und kompromisslos gegen die Barbarei des iranischen Regimes kämpft, hat eine Chance, Menschen in aller Welt zu gewinnen und das Regime an seinen mörderischen Absichten zu hindern. »Scharia oder Gnade?« – dieser Alternative, mit der Laus Artikel überschrieben ist, will sich die Mehrheit der Iraner nicht mehr unterwerfen.