Über den neuen Film von Woody Allen 

In Zukunft ohne uns

Woody Allen verhandelt in seinem neuen Film mal wieder seine Todesangst.

Glück, Betrug, Zufall, Verderben, zügelloser Sex, kein zügelloser Sex, Geburt, Tod, Mord – das sind die Themen, über die Regisseur Woody Allen gemeinhin seine Witzchen reißt. Regelmäßig wachsen die Schauspieler in seinen Komödien über sich hinaus, denn für seine Filme gibt es immer ein gutes Drehbuch – im Kino längst keine Selbstverständlichkeit.
Die Filme des New Yorker Existenzphilosophen variieren immer dieselben Themen, setzen aber unterschiedliche Schwerpunkte. Mit seinem Werk Nummer 41 mit dem Titel »Ich sehe den Mann deiner Träume«, der einmal mehr die Antagonismen der Londoner Klassengesellschaft spiegelt, legt er den Fokus gezielt auf die Themen Sex und Tod.
Alfie, gespielt von einem scheintoten Anthony Hopkins, trennt sich von seiner Frau Helena (Gemma Jones). Beide sind Anfang siebzig, und Alfie, bis dato stinkereich, hat es satt, sich von seiner Gattin ans Altsein erinnern zu lassen. Der Gegner heißt nun mal Todesangst. Seinen Körper renoviert der Aktienmagnat in der örtlichen Muckibude, als gäb’s kein Morgen – und das ist in dem Alter ja durchaus eine Möglichkeit.
Die junge Prostituierte Charmaine (Lucy Punch), aufgetakelt wie ein Transvestit und erotisch wie Lady Gaga – (die in dieser Rolle brilliert hätte!), erleichtert ihn um den Inhalt seines Portemonnaies – ein teures Apartment, wo man die Gucci-Tütchen nach dem Shoppen abstellen kann, ist schnell gefunden.
Während die verlassene Helena bitterlich in die Kissen weint … Sie sucht alsbald Trost in den Untiefen des Übersinnlichen: Tagsüber säuft sie ihrer Tochter Sally (Naomi Watts) und deren nutzlosem Schriftstellermann Roy (Josh Brolin) den Schnaps weg, im Klarzustand flüchtet sie ins Esoterische.
Wenn es in der realen Welt, wie man sie gemeinhin kennt, keine Entsprechung mehr fürs Selbst gibt, müssen Horoskope und Sterndeuterei für den Lebenssinn sorgen, wer könnte es der alten Dame verdenken. »Ich sehe den Mann deiner Träume«, verkündet die Wahrsagerin aus der Nachbarschaft. Es ist ein großer dunkler Fremder, der Helenas Schicksal entscheiden wird, »a tall dark stranger«, wie der Film im Original heißt. Tall, dark, strange – möglicherweise ist auch das Jenseits gemeint.
Bei Freunden lernt sie den trauernden Witwer und Inhaber einer Buchhandlung für okkultistische Bücher, Jonathan (Roger Ashton-Griffiths), kennen, mit dem sie schließlich zusammenkommt, da auch die Wahrsagerin diese Verbindung gutheißt. Wird er derjenige welcher sein … ?
Während Helena ihre Tochter nervt, lernt man nebenbei auch deren Leben kennen. Sally, Mitte 30, ist im besten Alter für sexuelle Unzufriedenheit. Ganz klar: Ein neuer Job muss her.
Sie heuert in der Galerie eines feinfühligen Kunstprofis an, gespielt von einem leicht angeschrammelten Antonio Banderas. Genau das, wonach die wunde Seele dieser armen Frau verlangt: Er ist unglücklich verheiratet, an Opern interessiert, das Leben hat ihm ein paar Fältchen ins Gesicht gemalt, und die Bandscheibe kracht beim Aussteigen aus dem Audi R8. Wenn das hier kein Woody-Allen-Film wäre, man glaubte sich im letzten Roman von Ildikó von Kürthy.
Sallys Mann Roy dagegen ist ein irgendwie lästiges Subjekt, das es loszuwerden gilt. Sein hoffnungsvoll begonnenes Medizinstudium hat er kurz vor Schluss abgebrochen, jetzt sollen es Romane bringen. Dumm nur, dass die Hälfte der Einwohnerschaft Londons schon ihr Heil im Schreiben sucht. Und das mit besseren Ergebnissen.
Nun würde Allen seinen Figuren nie vorwerfen, dass sie erfolglos sind, da ist schon die Statistik vor. Wo einer Karriere macht, müssen folglich viele andere zurückstecken. Besser wird durch eine altruistische Haltung allerdings auch nichts: Das Leben hat Roy noch etwas Schlimmeres zu bieten als zu versagen. Denn sein erster Roman war erfolgreich. Die Kritik hatte ihn als vielversprechenden Newcomer gefeiert. Doch wie so oft: Für das Schreiben des ersten Buchs hatte er 30 Jahre Zeit, für das zweite nur eines. Was sich beim ersten Mal wie im Spiel ergab, ist nun harte Arbeit. Roys Arbeit stagniert. Das einzige, was hier helfen kann: Eine Muse muss her.
Die meiste Zeit starrt er deshalb aus dem Fenster hinüber zu seiner jungen Nachbarin Dia (Freida Pinto), vor allem, wenn sie nackt in der Wohnung herumläuft. Es gelingt ihm tatsächlich, sich mit ihr zu verabreden und ihr mit seiner direkten Art den Kopf zu verdrehen: »Als du nackt in der Wohnung herumgelaufen bist, war dies der erotischste Moment meines Lebens.«
Der Allen-gewohnte Zuschauer merkt alsbald: Hier geht es um das ganz Grundsätzliche, wie immer. Uns so driften Geschehnisse Shakespeareschen Ausmaßes und Witzes auf zwei Schlüsselszenen zu: Alfie kriegt richtig was auf die Schnauze. Denn all seine faulen Aktienpapiere schützen ihn nicht vor dem, was er noch mehr hasst als Alter und Tod: die Jugend. Charmaine lässt sich mit dem Sportlehrer ein, der alte Mensch erwischt sie inflagranti im Fitnessstudio. Mit all dem Geld kann man kein Leben kaufen, lautet Allens tiefenpsychologische Kritik der Conditio humana. Die zivilisatorische Decke ist nun mal dünn.
Die zweite Szene geht so: Schriftsteller-Roy verhindert tatsächlich, dass Nachbarin Dia einen Jungen aus der Oberschicht heiratet, bandelt mit ihr an, verlässt seine Frau und zieht bei der jungen Schönheit ein.
Eines Tages schaut er aus dem Fenster hinein in seine alte Wohnung. Da steht dann die ehemalige Ehefrau Sally nackt herum, weil sie gerade ihre Wäsche wechselt. Man kann es förmlich rattern hören in Roys Kopf. Dieser Mann, und damit das ganze menschliche Dilemma-Projekt, wird auf ewig zwischen den Fenstern sitzen. Mal die ganzen schlechten Altherrenwitze und etwas eingeschränkte Schauspielkunst wie im Falle Freida Pinto weggelassen, die es in diesem Allen-Film auffällig zu hören und zu sehen gibt, zumal sich die einzelnen Plots nach der Hälfte des Films etwas totgelaufen haben: Genau so kann man die Metropolen-Langeweile – Kulturbesuch, prekäre Beschäftigung, Partnerwechsel, spirituelle Suche – abbilden. Die Moral von der Geschicht’: Das einzelne Individuum ist zwar totzukriegen, nicht aber die ganze Natur.
Wie zu Beginn, so macht der Film auch in der Schlussphase Halt beim Klassiker, mit einer Zeile aus »Macbeth«: Es werde ein Märchen gespielt, »voller Klang und Wut, das nichts bedeutet«.
Die randalierenden Figuren versuchen verzweifelt, ihrem Leben mehr Sinn zu verleihen, als es für sie geben kann. Sie verfolgen lauter dubiose Ziele wie Erfolg, Geld und Liebe. Sie puzzeln, verletzen und produzieren Fehler, von denen jeder das Ende bedeuten kann.
Der Morgen nach der Party? Bald, sagt Regisseur Allen, »wird jeder, der auf der Erde gemeinsam mit ihnen gelebt hat, nicht mehr da sein, und nach 100 Jahren wird es kompett andere Menschen auf der Erde geben«.
In vielen Jahren sei die Sonne vermutlich ausgebrannt und die Erde verschwunden. Ein paar Jahre drauf sei dann das komplette Universum weg. Auf die Frage, wieso man da noch Filme machen solle, sagt Allen: »Es lenkt ab.«
Welch’ hoffnungsfrohe Kunst.

»Ich sehe den Mann deiner Träume« (USA/ESP 2010). Regie: Woody Allen, Darsteller: Antonio Banderas, Josh Brolin, Anthony Hopkins, Gemma Jones, Freida Pinto, Naomi Watts. Start: 2. Dezember