Über die Proteste gegen die Klimakonferenz in Cancún

Treibstoff statt Tortillas

Während der Klimakonferenz in Cancún protestieren zentralamerikanische Umweltschützer. Sie kämpfen auch gegen die Pläne, durch den Einsatz von Biokraftstoffen die CO2-Emissionen zu reduzieren.

»Frage: Was ist ein Umweltschützer? Antwort: Ein recycelter Kommunist.« Dieser in El Salvador kursierende Witz bringt die Herkunft der regionalen Ökologiebewegung auf den Punkt. In El Salvador sind die meisten Mitarbeiter der Umweltorganisationen sogar ehemalige Guerillaangehörige. Dass die nun gegen Klima­wandel, Bergbau- und Staudammprojekte kämpfen, zeugt jedoch nicht von einem grundsätzlichen Gesinnungs­wandel. Vielmehr werden die damaligen Ansichten auf die aktuellen Probleme im Land und in der Region übertragen. Denn der Klimawandel trifft auch in Zentralamerika zuerst die marginalisierten Menschen.
Die Proteste der Umweltbewegung begleiten die 16. UN-Klimakonferenz (Cop16) im mexikanischen Cancún. Bis zum 10. Dezember wird dort über ein neues Abkommen zum Klimaschutz diskutiert. »Während die westlichen Länder das Privileg genießen, über die Folgen des Klima­wandels noch zu spekulieren, ist dieser in Zentralamerika längst eingetreten, mit schwerwiegenden Folgen für die arme Mehrheitsbevölkerung«, sagt Angel Ibarra, Präsident des salva­doria­nischen Umweltdachverbandes Unes, der dem internationalen Komitee auf dem alter­nativen Klimaforum in Cancún angehört. »Der derzeitige, für akzeptabel gehaltene Anstieg der Temperatur um zwei Grad führt dazu, dass es seltener regnet, dafür aber umso heftiger. Wirbelstürme und andere Natur­phänomene führen immer öfter zu verheerenden Katastrophen und fordern Todesopfer auf dem Land und in den Armenvierteln.«

Für Ibarra geht es um »Klimagerechtigkeit«. Dass den südlichen Ländern geholfen wird, die Folgen des Klimawandels zu tragen, sieht er dabei als das Mindeste an. »Zentralamerika selbst stößt nur 0,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. Wir baden aus, was die reichen Länder verursacht haben«, konstatiert der gelernte Mediziner. »Der Klimawandel wird oft als isoliertes Problem verkauft, tatsächlich hat er hier in der Region jedoch auf zweifacher Ebene eine Ernährungskrise hervorgebracht. War die Ernäh­rungssicher­heit vormals durch billige Grundnahrungsmittel garantiert, steigen die Preise heute ins Unerschwingliche. Jedenfalls für die, die mit einem Dollar am Tag auskommen müssen.«
Heftige Regenfälle vernichteten im vergangenen Jahr die gesamte Bohnenernte in El Salvador. Importe konnten die Ver­sorgung garantieren, der Preis verdoppelte sich jedoch. Mais wird hingegen wegen der von den Industrieländern pro­pagierten Nutzung nach­wach­sender Brennstoffe knapp. »Um Ethanol herzustellen, wird in El Salvador Mais aufgekauft. Das lässt die Tortillapreise in die Höhe schießen«, berichtet Ibarra. Die Europäische Union will ihre CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent senken, zur Hälfte soll diese Reduktion durch den Einsatz von Biokraftstoffen erreicht werden. Die benötigten Nutzpflanzen »werden aber garantiert nicht in Europa angebaut«, sagt Ibarra. Das im Mai in Barcelona unterzeichnete Assoziierungs­abkommen zwischen der EU und Zentralamerika dürfte den verstärkten Import aus der Region erleichtern.
Bei der Organisation der Gegenaktivitäten in Cancún spielen die zentralamerikanischen Nicht­regierungs­organisationen eine wichtige Rolle, Derzeit ist der Klimawandel eines der Hauptthemen der globalen Bewegung, die sich in den internationalen Sozialforen engagiert. Rund 35 000 Menschen protestierten in Kopenhagen, viele Umweltschützer kamen danach zum Alternativgipfel der sozialen Bewegungen nach Cochabamba in Bolivien. In Cancún werden nun 50 000 Protestierende erwartet.

»Um die globale Krise überwinden zu können, bedarf es eines radikalen Wandels. Dabei ist nicht ein technologischer Wandel gefragt, sondern ein Wandel der bestehenden Machtverhältnisse«, konstatiert Francisco Javier Rivera, Kli­maexperte des unabhängigen Programms zur Stärkung der Kapazitäten für das Risikomanagment in Zentralamerika (PFC-GR). »In Kopenhagen ist dies klar auf den Punkt gebracht worden durch das Motto: Nicht das Klima, sondern das System ändern.«
Wegen der Ergebnislosigkeit des Klimagipfels in Kopenhagen und des repressiven Vorgehens der Polizei, die fast 2 000 Menschen festgenommen hatte, wollten viele Protestierende keinen zentralen Gegengipfel mehr veranstalten. Via Campesina propagiert nun »1 000 Cancúns«, eine Dezentralisierung der Proteste mit einer Vielzahl lokaler Aktionen. Rivera kritisiert dieses Konzept: »Ich glaube, die sozialen Bewegungen müssen dort präsent sein, wo die Weltöffentlichkeit zugegen ist, um diese Kämpfe öffentlich zu machen und voranzubringen. Selbst wenn unser eigener ökologischer Fuß­abdruck dadurch mehr und mehr zu wünschen übrig lässt.« Rivera ist seit einer Woche in Cancún. »Dass auch der Cop16 scheitern wird, war schon vorher abzusehen. Der Klimawandel ist ein Problem, das man lösen kann, aber nur noch in sehr begrenzter Zeit. Die reichen Länder der Welt müssten bis 2020 ihren Energieverbrauch halbieren. Stattdessen versuchen sie Lösungswege anzubieten, die im Grunde genommen keine sind. Sie bieten markt­wirtschaftlich gewinnbringende Instrumentarien an.«
Im Vordergrund steht bei den Verhandlungen derzeit die Vermeidung der Abholzung von Wäldern. »Das ist eigentlich das einzige, was jetzt in Cancún besprochen wird. Aber es ist nicht möglich, diese Zivilisationskrise mit ökologischem Antlitz durch einen internationalen Kongress oder durch die Uno zu lösen. Das kann im Endeffekt nur von den globalen sozialen Bewegungen in einem langen zivilgesellschaftlichen Prozess bewältigt werden«, sagt Rivera Bisher ist es in Cancún jedoch eher ruhig. Weder auf dem Gipfel noch vor dem Konferenzzentrum scheint sich viel zu bewegen.