Ein Präsident zuviel

Côte d’Ivoires bisheriger Präsident Laurent Gbagbo ist vor allem für nationalistische Agitation und antikoloniale Posen bekannt. Obwohl er die Wahlen offenbar verloren hat, weigert er sich abzutreten. Doch auch Alassane Ouattara, der international als sein legitimer Nachfolger gilt, macht mit Ethnonationalisten gemeinsame Sache.

»Kann er durchhalten?« fragt diese Woche das französisch-afrikanische Wochenmagazin Jeune Afrique auf der Titelseite. Gemeint ist der ivorische Präsident Laurent Gbagbo, der die von massiven Manipulationen auf beiden Seiten überschattete Stichwahl um die Präsidentschaftswahl seines Landes Ende November mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit verloren hat.
Denn die Nationale Wahlkommission, die mehrheitlich mit Verbündeten seines Herausforderers Alassane Ouattara besetzt war, hatte diesem mit 54 Prozent der Stimmen den Wahlsieg zugesprochen. Ouattara gilt mittlerweile als Gegenpräsident des Landes und hat sich im Hôtel du Golf in der ivorischen Wirtschaftsmetropole Abidjan verschanzt. Bei Zusammenstößen seiner teilweise bewaffneten Anhänger mit Polizei und Armee starben einem UN-Bericht vom vergangenen Donnerstag zufolge 210 Menschen. Bislang flohen rund 23 000 Menschen aus der Côte d’Ivoire in die Nachbarländer, vor allem nach Liberia. 16 000 Personen sind innerhalb des Landes auf der Flucht.

Laurent Gbagbo vertraut indes darauf, dass die Zeit für ihn arbeitet. Immerhin ist es nicht selten, dass der Protest gegen einen umstrittenen Wahlausgang zwar einige Wochen anhält, aber dann irgendwann zusammenbricht. Und die Armeeführung scheint bislang einig hinter ihm zu stehen. Alassane Dramane Ouattara baut hingegen auf die bewaffneten Kräfte außerhalb der ivorischen Armee. Das bedeutet vor allem: auf die der früheren Rebellenarmee Forces Nouvelles (FN), die im September 2002 aus einem gescheiterten Umsturzversuch hervorging und seitdem den Norden der Côte d’Ivoire kontrolliert. Ihre Warlords finanzieren sich aus »Revolutionssteuern«, die die Bevölkerung zu zahlen hat und die an Straßensperren erhoben werden. Von denen geben sie noch weniger für Schulen oder Gesundheitsversorgung aus als die korrupte Staatsmacht im Süden. Die Forces Nouvelles sind zwar keine politische Partei und treten nicht bei Wahlen an. Dass sie unter der Hand Ouattara unterstützen, ist jedoch mehr als deutlich.
Zudem setzt Ouattara, der als ehemaliger hochrangiger Ökonom des Internationalen Währungsfonds über gute internationale Kontakte verfügt, auf die bewaffnete Unterstützung der sogenannten internationalen Gemeinschaft. Die zögert bislang noch, eine militärische Intervention anzuordnen, denn die birgt ein erhebliches Eskalationspotential. Frankreich hat bislang offiziell versichert, nicht militärisch einzugreifen – es sei denn, französische Staatsbürger kämen in Gefahr, wie der französische Verteidigungsminister Alain Juppé erklärte. Der »Schutz französischer Staatsbürger« war in den vergangenen Jahrzehnten jedoch schon oft der Vorwand für Truppenentsendungen in afrikanische Länder.
Dennoch sähe Frankreich es lieber, dass etwa die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas eingriffe. Ouattara forderte diese vergangene Woche dazu auf, Gagbo durch eine »gewaltlose Kommandoaktion« zu »entführen«. Viele Nachbarstaaten der Côte d’Ivoire halten sich jedoch sehr bedeckt. Denn es ist keineswegs ausgemacht, dass eine solche Truppe die Gbagbo-treuen Teile der ivorischen Armee einfach besiegen könnte. Im reicheren Süden des Landes fände eine Eingreiftruppe kein von marodierenden Milizen geprägtes Chaos vor wie in Liberia oder Sierra Leone, sondern einen nach wie vor strukturierten Staat. Darüber hinaus hat Gbagbo im christlich-animistischen Süden und Westen der Côte d’Ivoire noch beträchtlichen Rückhalt.
Der muslimische Norden und das Zentrum des Landes, in dem die Hochburg des Ex-Präsidenten Henri Konan Bédié liegt, halten dagegen mehrheitlich zu Alassane Ouattara. Denn Bédié und Ouattara hatten sich nach dem ersten Wahlgang um die ivorische Präsidentschaft verbündet, nachdem Bédié aus ihm nur als Dritter hervorgegangen war. Beide Kandidaten führten ihre jeweiligen Anhängergruppen zusammen, die jeweils zum Großteil auf »ethnischer« Basis rekrutiert werden.

Ethnizität ist in der Côte d’Ivoire seit etwa 15 Jahren ein wichtiger politischer Faktor. Denn als Mitte der neunziger Jahre die vor allem auf den Kakaoexport gegründete Wirtschaft des Landes zusammenbrach, reagierten Intellektuelle um Präsident Bédié wie etwa Venance Konan auf die Krise mit dem ethno-nationalistischen Konzept der Ivoirité, das die »wahren« Ivorer von Zuwanderern aus den nördlichen Nachbarländern unterscheiden soll – vor allem von Menschen, die aus Burkina Faso stammen. Auch Ouattaras Eltern kommen aus Burkina Faso. Der Politiker wurde deshalb von den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 ausgeschlossen. Deshalb ist die Meinung verbreitet, Ouattara sei vor allem ein Opfer des Rassismus der Pro-Gbagbo-Nationalisten. Dabei wird allerdings übersehen, dass der von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Präsident selbst mit Bédié und damit mit Vertretern des ethnonationalistischen Konzepts der Ivorité zusammenarbeitet. Zu seinen aktivsten Unterstützern zählt heute Venance Konan, der in den neunziger Jahren als Rassenideologe des Bédié-Regimes wirkte.
Beide Seiten, aber vor allem die Ouattara-Anhänger, appellieren derzeit an die »internationale Gemeinschaft« mit dem Argument, es drohe ein Völkermord. So warnte der Ouattara-Unterstützer und ivorische Botschafter bei den UN, Youssouf Bamba, vor dem »Risiko eines Genozids«. Zwar dürfen die Risiken, die einem teilweise ethnisierten Konflikt innewohnen, nicht unterschätzt werden. Doch je stärker die angebliche Parallele zu Rwanda strapaziert wird, desto unglaubwürdiger erscheint die Warnung – auch wenn sie im Westen gern geglaubt wird. Denn rassistischen Stereotypen zufolge geht es in Afrika archaisch und blutrünstig zu. »Wann wird Krieg zum Genozid?« fragt Brendan O’Neill im Telegraph und gibt die polemische Antwort: »Wenn die Protagonisten schwarze Menschen sind.« Tatsächlich haben die Warnungen vor einem angeblich drohenden Völkermord der jeweils anderen Seite vor allem die Funktion, internationale Unterstützung für die je eigene Fraktion zu mobilisieren.

Während sich weder Gbagbo noch Ouattara scheuen, mit rassistischen Ideologien und überzogenen Genozid-Warnungen Politik zu machen, unterscheiden sie sich in ihrer Haltung gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht. Als Laurent Gbagbo Ende Dezember den Abzug aller französischer Truppen aus der Côte d’Ivoire forderte, widersprachen ihm die Anhänger Ouattaras rasch. Allen voran Guillaume Soro, der frühere Rebellenchef der FN, der von 2007 bis 2010 als Premierminister unter Gbagbo diente, mittlerweile aber designierter Premierminister von »Gegenpräsident« Ouattara ist. Guillaume Soro erklärte Gbagbos Forderung nach einem Abzug der französischen Soldaten für »lächerlich«.
Anderswo bringt Gbagbo die Pose des »Helden der afrikanischen Selbstbehauptung« mitunter Sympathien ein, etwa bei den kamerunischen Linksnationalisten der UPC. Bei einer Pro-Gbagbo-Demonstration in Kamerun wurden drei Menschen durch die Polizei verletzt. Dortige Regimegegner halten ihrem eigenen Regime, das noch wesentlich autoritärer ist als das ivorische und dabei stark von Frankreich abhängt, die antikoloniale Pose Laurent Gbagbos als positive Alternative entgegen.

Symphatisch sind Gbagbos Drohgebärden gegen den Neokolonialismus, die manchmal an die Posen von Hugo Chávez erinnern, allerdings nicht, schwingt in ihnen doch immer auch ein Ressentiment gegen die »Ethnien« im Norden sowie ein religiöser, leicht apokalyptischer Zug mit, der vor allem die Reden seiner Ehefrau Simone Gbagbo prägt. Sie gehört zu den evangelikalen Christen in Westafrika, die stark von US-amerikanischen Evangelikalen beeinflusst sind.
Wohl auch deshalb erhielt Laurent Gbagbo Unterstützung von der US-amerikanischen Rechten. Auch Israel unterstützte ihn, da seine Regierung ein wichtiger Kunde der israelischen Waffenindustrie ist. Rückhalt erhielt Gbagbo auch aus China, das seinen eigenen wirtschaftlichen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auszudehnen sucht. Doch unter Barack Obama hat sich die US-Administration nun explizit gegen Gbagbo gewendet.
Auch die Unterstützung bei den französischen Sozialisten schwindet. Weil Gbagbo als Oppositioneller im Exil in Frankreich gelebt hat und dort in der Sozialistischen Partei (PS) aktiv war, wurde er jahrelang von der französischen Sozialdemokratie protegiert. Derzeit sind die Gbagbo-Unterstützer allerdings auch im PS in die Defensive geraten. Viele wollen von früheren Freundschaften nichts mehr wissen, wie etwa der frühere Kulturminister Jack Lang. Anders der wegen schwerer Korruptionsdelikte in der französischen »Elf-Affäre« verurteile, politisch abgehalfterte Ex-Außenminister Roland Dumas, der sich weiterhin für Gbagbo stark macht.
Frankreichs Konservative stehen dabei fast geschlossen hinter der Position von Präsident Nicolas Sarkozy, der Ouattara unterstützt. Viele Akteure der französischen Politik können Laurent Gbagbo unmöglich verzeihen, dass er im Herbst 2004 »französische Soldaten bombardieren ließ«, wie viele Franzosen sagen. Damals kam es zu einem bis heute unaufgeklärten Zwischenfall, als ex-sowjetische Piloten der ivorischen Luftwaffe eine Fliegerbombe über einem französischen Militärcamp in Bouaké fallen ließen. Gbagbo distanzierte sich davon, doch die französische Armee zerstörte daraufhin alle Flugzeuge der ivorischen Luftwaffe. Dies wiederum löste Massendemonstrationen aus, in deren Folge französische Soldaten vor dem Hôtel Ivoire in Abidjan in die Menge feuerten.

Die meisten französischen Politiker betrachten Gbagbo daher als Feind oder »unzuverlässig«. Dies ist der Grund, warum sich Frankreich so stark gegen einen Verbleib Gbagbos im Amt wendet. Denn bisher störte sich die französische Regierung noch an keinem Wahlbetrug in Afrika. Neben wenigen Sozialisten halten nur die nationalistischen extremen Rechten zu Laurent Gbagbo. Jean-Marie Le Pen vom Front National (FN) erklärte offen seine Unterstützung für ihn. Dabei spielt eine große Rolle, dass der rechts­extreme Oppositionspolitiker es liebt, mit »starken Männern« zu kokettieren, die in einer internationalen Außenseiterposition der ganzen Welt trotzen – schließlich verteidigte Le Pen auch Saddam Hussein und Slobodan Milosevic.
Vor allem aber ist in den Augen der Rechten das Argument, dass Gbagbo wegen mangelnder demokratischer Legitimation zurücktreten müsse, ohnehin illegitim. Demokratie sei mit der afrikanischen Kultur nicht vereinbar, die vielmehr auf »traditionelle Chefs und Häuptlinge« setze, wie etwa der Schriftsteller François Celier auf der rassistischen Webseite La valise ou le cercueil schreibt. Da bilden sich Allianzen, die den Allianzen innerhalb der Côte d’Ivoire an Merkwürdigkeit kaum nachstehen.
Alassane Ouattara schlug an diesem Montag dem Gbagbo-Lager eine »Regierung der nationalen Einheit« vor, aber unter der Bedingung, dass Laurent Gbagbo auf das Präsidentenamt verzichte. Dass dieser freiwillig nachgibt, ist indes nicht sehr wahrscheinlich. Nicht unwahrscheinlich ist indessen, dass auf längere Sicht alles bleibt, wie es ist – bei einer zweigeteilten Côte d’Ivoire, deren Norden von den Forces Nouvelles und deren Süden von Laurent Gbagbo beherrscht wird.