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Reden wir mal kurz über das R-Wort.
Einerseits wird es hier ständig benutzt und taucht andauernd auf, in Anekdoten und Theorien. Es findet auch keine Konferenz statt, ohne dass jemand sein Witzchen reißt, in dem das R-Wort irgendwie unter­gebracht wird. Irgendwann hat das Feuilleton mal eine Umfrage gestartet, was die Revolution eigentlich genau bringen soll, aber die Fragestellung wurde dann als viel zu allgemein und albern zurückgewiesen.
Denn andererseits gibt es in dieser Zeitung auch ziemlich strenge Auflagen, was den offiziellen Gebrauch des Wörtchens angeht, und das, was der Rest der Welt als Revolution bezeichnet, zum Beispiel gewisse Ereignisse im Jahr 1989, bei denen Bananen, Levis-Jeanshosen und Demokratie eine Rolle spielten, gehen hier keineswegs als Revolution durch.
Und nun das.
In der vergangenen Woche hat sich ein zweiköpfiger Recherche-Trupp der Jungle World auf den Weg nach Tunis gemacht, um vor Ort über die Ereignisse, bei denen Brot, Twitter und Demokratie eine Rolle spielen, zu bloggen und zu berichten. Die Flugpreise waren gefallen, und plötzlich war die nächste Wir-nennen-es-jetzt-doch-mal-Revolution nur drei Stunden entfernt.
Unser Außenteam nahm an Demonstrationen teil, führte Interviews, fotografierte, analysierte und bloggte. Unter dem schönen Titel »Jasmin und Tränengas« konnte man lesen, was gerade abging im Mutterland der maghrebinischen Revolution, wo alles begann.
Da war es also gefallen, das R-Wort, und niemand kam daher und setzte das stolze Wort in demütigende Anführungszeichen oder degradierte das Ganze zu einer dummen kleinen Blümchenrevolution.
Auch wenn Optimismus normalerweise nicht so unsere Disziplin ist: Das umtriebige Team Tunis verbreitete eine politische Aufbruchstimmung, die bis zu uns nach Kreuzberg schwappte. Zum Beispiel die täglichen Anrufe. Sie wurden per Lautstelltaste quasi live in die Redaktionsflure übertragen. Von wegen the ­revolution will not be televised! Aus dem Lautsprecher schallte die vertraute Stimme unseres ansonsten für behutsame politische Analysen bekannten Kollegen, der jetzt, man traute seinen Ohren nicht, tatsächlich von einem »historischen« Moment sprach.
Was das Team vor Ort recherchiert hat, steht in dieser Zeitung, und wie alles weitergeht in den Sternen. Ob die Revolution dann doch nur ein Wort ist, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.