Abolfazl Eslami im Gespräch über die iranische Außenpolitik

»Sie müssen verstehen, sie fürchten sich sehr«

Insgesamt 22 Jahre diente Abolfazl Eslami der Islamischen Republik als Diplomat. Der Absolvent der iranischen Diplomatenschule gehörte zum ersten Jahrgang des nachrevolutionären diplomatischen Korps und war während seiner Amtszeit unter anderem mit den Nuklearverhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Iran sowie mit dem Fall der im Evin-Gefängnis zu Tode gefolterten iranisch-kanadischen Journalistin Zahra Kazemi befasst. Er setzte sich 2005 nach Japan ab, wo er mittlerweile mit seiner Familie lebt. Im Interview mit der Jungle World berichtet er Interna aus der iranischen Außenpolitik.

Bevor Sie Ihren Posten an der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Japan innehatten, waren Sie an den Nuklearverhandlungen mit der Europäischen Union beteiligt. Was war Ihre Rolle in diesen Verhandlungen?
Von 1996 bis 2000 arbeitete ich als Diplomat bei der Sektion des Nichtverbreitungsabkommens (NPT) der UN. In dieser Zeit gab es viele Verhandlungen zwischen den Vertretern der EU-Troika und dem iranischen Verteidigungsministerium, den Revolutionswächtern und dem Büro des religiösen Führers. Zuvor war ich in der Botschaft auf den Philippinen tätig. Weil das Regime islamische Extremisten und muslimische Aufständische in Thailand und auf den Philippinen unterstützte und wir Diplomaten gegen diese Politik waren, es aber sehr gefährlich war, das offen zu äußern, ließ ich mich zu den UN versetzen. Aber meine Situation wurde dort nicht besser.
Nach vier Jahren Arbeit in der NPT-Sektion hatten wir ein letztes Treffen mit den Vertretern der EU-Troika. Sie schlugen uns vor, dass die iranische Regierung ihre versteckten Nuklearanlagen offenlegen solle. Für den Fall, dass sich dann herausstellen würde, dass diese Anlagen nur friedlichen Zwecken dienen, würden die Europäer helfen, dem iranischen Volk eine Nuklearanlage zu bauen. Aber zuerst wollten sie sich vergewissern, dass das iranische Atomprogramm keine militärischen Zwecke verfolgt.
Was geschah dann?
Ich schrieb einen Bericht an das Büro des religiösen Führers, worin ich den Vorschlag der EU-Troika detailliert darlegte. Aber aus dem Büro des religiösen Führers kam die Antwort: »Nein, wir können ihnen nicht unsere geheimen Aktivitäten offenlegen.« Daraufhin wurde der Vorschlag von iranischer Seite abgelehnt.
Haben Sie angesichts dessen nicht gemutmaßt, dass das iranische Atomprogramm doch nicht rein ziviler Natur ist?
Vorher konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie an einer Atombombe arbeiten. Aber als sie den Vorschlag zurückwiesen, wurde mir klar, dass sie wirklich genau das tun. Sie wollen keine Nuklearanlage für das iranische Volk, wie sie offziell immer behauptet haben. Zivile Nuklearanlagen sind nur ein Vorwand, um an Nuklearwaffen zu kommen. Wir iranischen Diplomaten waren uns dessen anschließend vollständig bewusst. Deshalb habe ich dann auch die NPT-Sektion der UN verlassen. Ich ging dann als Botschaftsberater nach Tokio.
Wie fühlt man sich eigentlich als Diplomat eines Schurkenstaats?
Glauben Sie mir: Viele, viele meiner ehemaligen Kommilitonen, die mit mir die Diplomatenschule absolvierten, sind sehr betrübt darüber, was mit unserem Land heute geschieht. Aber Sie müssen verstehen, wie sehr sie sich fürchten. Wenn sie versuchen, sich abzusetzen, oder preisgeben, was sie wirklich denken, bringen sie ihre Familien in Gefahr.
Wann und warum haben Sie dennoch beschlossen, sich abzusetzen?
Das ist eine längere Geschichte. Ich war ja bereits unglücklich mit meinem Job. Nach meiner Zeit in Japan ließ ich mich in die Amerika-Abteilung versetzen, wo ich dann im Kanada-Ressort arbeitete. Unter Khatami hatten wir dort mit dem Fall Zahra Kazemi zu tun. Zahra Kazemi war eine iranisch-kanadische Journalistin, die an den Folgen ihrer Folterungen im Evin-Gefängnis starb. Als eine Delegation kanadischer Diplomaten in den Iran kam, sollte das Kanada-Ressort, für das ich verantwortlich war, zwischen der kanadischen Delegation und der iranischen Justiz und dem Informationsministerium vermitteln. Dabei ging es um die Herausgabe der Leiche. Die Justiz und das Geheimdienstministerium wollten die Leiche nicht an die Familie zurückgeben. Ich sollte einen Bericht für die iranische Seite schreiben. Also schrieb ich, sie sollten die Leiche zurückgeben, aber das wurde abgelehnt. Ich argumentierte, dass die Familie ein Recht habe, die Leiche zu begraben. Aber sie war bereits begraben worden. Kazemis Sohn Estephan streitet bis heute darum, dass die Leiche nach Kanada zurückkehrt.
Warum wollten die Justiz und das Informationsministerium die Leiche nicht zurückgeben?
Mir haben sie gesagt, wenn wir die Leiche zurückgeben würden, könnten forensische Experten in Kanada trotz der Verwesung noch anhand von Röntgenbildern Frakturen an den Knochen feststellen. Sie würden feststellen, was Zahra Kazemi im Gefängnis widerfahren ist, und dann der Islamischen Republik einen internationalen Skandal bereiten. Sie haben sogar zugegeben, dass man ihr harte Gegenstände in die Vagina geschoben hat, und dass forensische Experten auch dies feststellen könnten. Im Evin-Gefängnis ist es eine gängige Praxis, harte Gegenstände in das Rektum oder in die Vulva zu schieben, um die Gefangenen zu Geständnissen zu zwingen. Daher wollten sie die Leiche nicht herausgeben.
Mit wem standen Sie in diesem Fall auf iranischer Seite in Kontakt?
Saeed Mortazavi war damals Generalstaatsanwalt. Ein Jahr später, als Mohammed Khatami sein Amt verlor und Mahmoud Ahmadinejad an die Macht kam, wurde Manouchehr Mottaki iranischer Außenminister. Das Büro für Investigation und Sicherheit des Außenministeriums schickte jemanden zu mir, der mich fragte, warum ich so einen Bericht geschrieben hätte. »Du bist ein iranischer Diplomat und kein kanadischer«, sagte man mir. An diesem Punkt beschloss ich, den Iran zu verlassen.
Wie sind Sie dann aus dem Iran entkommen?
Ich fand eine Ausrede, um das Land zu verlassen. Einer meiner Freunde war in Tokio gestorben und ich sagte, ich wollte zu seiner Beerdigung, was durchaus der Wahrheit entsprach. Nur hatte ich nicht vor zurückzugehen. Ich nahm für die Reise absichtlich ein Touristenvisum und nutzte nicht meinen Diplomatenpass, denn Diplomaten werden sehr genau überwacht. Ich wollte mich in Japan an die kanadische Botschaft wenden und den Fall Zahra Kazemi aufdecken. Ich dachte, dann könnte ich ein Visum für Kanada bekommen. Aber als ich dort meinen Fall darlegte, erklärten sie mir, dass ich in Japan in einem sicheren Drittland sei und daher in Japan Asyl beantragen solle. Deshalb blieb ich in Japan.
Was sagten die Japaner dazu?
Die sagten, wenn ich dort bliebe, wäre das ein Problem für sie. Die iranische Regierung habe gedroht, es werde Probleme bei ihren Ölgeschäften geben, wenn ich Asyl bekäme. Und Japan ist ein wichtiger Abnehmer iranischen Öls. Also gaben sie mir zunächst nur eine auf sechs Monate befristete Aufenthaltserlaubnis. Für mich und meine Familie war das schrecklich. Als ihnen nach sechs Monaten klar wurde, dass ich nicht zurückgehe, gaben sie mir ein Visum für drei Jahre, mehr nicht.
Wie ist Ihr Status heute?
Vor zwei Jahren lief das Visum aus. Wieder fragten sie mich, ob ich nicht zurück in den Iran wolle. Ich sagte: »Solange Ahmadinejad an der Macht ist, kann ich unmöglich zurück.« Also befragten sie mich noch einmal und gaben mir für weitere drei Jahre ein Visum.
Wurden Sie auch von iranischer Seite unter Druck gesetzt?
Das Regime schickte eine Delegation von sechs Leuten vom Büro für Investigation und Sicherheit im Außenministerium. Sie sagen nie ihre Namen und reisten wie üblich mit falschen Identi­täten in Japan ein. Sie kamen in mein Hotel und sagten, ich müsse in den Iran zurück, »sonst kommen unsere Agenten und dir wird etwas passieren«. Sie sagten, ich sei in Japan nicht sicher, schließlich hätte ich 22 Jahre für das diplomatische Korps gearbeitet, sie sagten: »Du bist ein Diplomat, du kannst nicht bleiben.« Aber ich ging nicht. Zum Glück konnte ich in Japan bleiben.
Passierte nach dieser Drohung irgendetwas?
Ich hatte viele Probleme. Die iranische Botschaft folgte mir auf Schritt und Tritt. Und die japanische Regierung wollte nicht, dass ich Sachen gegen das Regime sage. Einmal sprach ich mit dem japanischen Rundfunk NHK, aber sie veröffentlichten das Interview nicht.
Sie haben nun eine politische Bewegung mitbegründet. Worum geht es?
Als die grüne Bewegung anhob, war ich in Japan. Ich schrieb etliche Briefe an meine Freunde, dass sie bitte nicht eine derart kriminelle Regierung unterstützen dürften. Jetzt haben wir – wir sind sechs ehemalige Diplomaten – die Green Embassy Campaign gegründet und haben unsere Kollegen dazu aufgerufen, sich uns anzuschließen. Meine Mitstreiter sind in Norwegen, Belgien, Finnland, Dänemark, einer ist in Amerika.
Was sind Ihre politischen Ziele?
Wir wollen Menschen, die noch in das System integriert sind, zu einem Ausstieg bewegen und sie dazu bringen, sich gegen das Regime zusammenzuschließen. Selbstverständlich bedroht uns das Regime. Sie sagen: »Wir werden nicht zulassen, dass ihr eure Aktivitäten ausweitet.« Ich habe mit einigen Oppositionsgruppen im Ausland gesprochen, aber jede von ihnen bekämpft das Regime für sich. Wir müssen aber gemeinsam kämpfen. Jetzt sind wir wie viele kleine Bächlein, die vor sich hinströmen. Wir müssen aber wie ein einziger gewaltiger Fluss werden, wenn wir das Regime wegspülen wollen. Ein Problem ist, dass die Botschaften des Regimes in der ganzen Welt Pläne und Budgets haben, um die Iraner in der Diaspora gegeneinander aufzubringen und auszuspielen. Ich hoffe, dass die Vereinigten Staaten, Europa und die internationale Gemeinschaft die bestehenden Sanktionen auf den Ölexport ausweiten. Ich weiß aus meiner Zeit als Diplomat, dass das Regime meint, solange das Ausland iranisches Öl kaufe, könne es machen, was es will.
Haben Sie und Ihre anderen ausgestiegenen Kollegen keine Angst, dass Sie nach einem Umsturz im Iran als Kollaborateure angesehen werden, als Opportunisten, die noch rechtzeitig die Seite wechseln wollten?
Wir glauben nicht, dass so etwas passieren wird, weil die Bevölkerung das Regime hasst und alle schätzt, die sich gegen das Regime wenden.
Was denken Sie über die Ereignisse in Tunesien und Ägypten?
Was 2009 bei uns angefangen hat, war dasselbe wie in Tunesien. Was die Tunesier geschafft haben, wollen wir auch im Iran erreichen. Das iranische Volk hat gelernt, dass die Islamisten unser Land zerstören. Keiner will sie noch an der Macht. Ich bin mir sicher, dass Ahmadinejad das Ende der Islamischen Republik bedeutet und dass innerhalb von drei Jahren alles vorbei sein wird.