Umstrittene Dissertation über einen verurteilten NS-Verbrecher

Die Rede, über die man nicht spricht

Der Jurist und Historiker Klaus Bästlein hat in einer Rede den Leiter der Staatskanzlei Schleswig-Holsteins wegen seiner Doktorarbeit über einen NS-Verbrecher angegriffen. Die Reaktionen waren verhalten.

»Man kann mit Recht von einer Renazifizierung sprechen.« Diesen Satz notierte Innenminister Paul Pagel (CDU) nach einer Landtagsdebatte über das 1951 verabschiedete Landtagsgesetz zur Beendigung der Entnazifizierung in seinem Tagebuch. Schon 1947 hatte die britische Besatzungsmacht die Entnazifizierung in Schleswig-Holstein weitgehend aufgegeben. In der ersten aus Wahlen hervorgegangenen Landesregierung gab es mit Pagel immerhin einen Minister, der vor 1945 kein Mitglied einer NS-Organisation war.
Nach dem Sieg der Alliierten tauchten in Schleswig-Holstein nicht nur viele Nazis unter, wie etwa der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß, die meisten mussten sich gar nicht erst verstecken.

Zu ihnen gehörte auch Franz Schlegelberger, dem Hitler 1938 persönlich das goldene Parteiabzeichen der NSDAP überreicht hatte. Schlegelberger war zuvor kein Mitglied der NSDAP, aber 1933 behielt er seinen Posten in der Regierung als Staatssekretär und Stellvertreter des Justizministers Franz Gürtner. Nach Gürtners Tod war er zeitweilig geschäftsführender Reichsjustizminister. Schlegelberger leitete die Euthanasiekonferenz, auf der die Straffreiheit für diejenigen Täter beschlossen wurde, die für die Ermordung der Euthanasieopfer verantwortlich waren, und propagierte nach der Wannseekonferenz die Zwangssterilisation der als »Halbjuden« kategorisierten Menschen. Er verantwortete auch die Polenstrafrechtsverordnung, in der es hieß: »Polen und Juden … werden mit dem Tode bestraft, wenn sie gegen einen Deutschen wegen seiner Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum eine Gewalttat begehen.«
Der Jurist und Historiker Klaus Bästlein bezeichnete diese Verordnung in seiner Eröffnungsrede für die Ausstellung »Justiz im Nationalsozialismus« in den Räumen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts als »einen Höhepunkt nationalsozialistischer Gesetzgebung auf strafrechtlichem Gebiet«. Bästlein hielt bei der Eröffnung keine Gefälligkeitsrede, er warf der Landesregierung vor, dass Schleswig-Holstein seit dem Jahr 2000 »keine Bundesmittel für Gedenkstätten zum Nationalsozialismus abgerufen« habe und »durch ganze Legislaturperioden auf zeitgeschichtlichem Gebiet untätig« geblieben sei. In seiner Rede widmete er sich ausführlich dem NS-Justizminister Schlegelberger und kam auch auf eine Dissertation aus dem Jahr 1991 zu sprechen: »Sie trägt den Titel ›Staatssekretär Prof. Dr. Dr. hc Franz Schlegelberger‹ und kommt wie eine Festschrift mit einem ganzseitigen Foto hinter der Titelseite daher.« Der Verfasser dieser Doktorarbeit ist Arne Wulff, der seit Oktober 2009 die Staatskanzlei Schleswig-Holsteins für Ministerpräsident ­Peter Harry Carstensen (CDU) leitet.

Bästlein warf Wulff vor, dass er in seiner Promo­tion Hitlers zeitweiligen Justizminister offen verteidige. Die Darstellung erwecke zwar den Eindruck, neutral zu sein, die Parteinahme für Schlegelberger sei jedoch ohne weiteres erkennbar, »wenn sich der Verfasser dessen Exkulpation zu eigen macht, er sei nur im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten«. Bästlein sagte, es mache ihn »fassungslos«, dass der Autor nun die Staatskanzlei leitet. Seine Rede wurde nicht weiter beachtet, bis sie im Januar im Justizministerialblatt Schleswig-Holsteinische Anzeigen abgedruckt werden sollte.
Die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung (SHZ) berichtete, dass es im Justizministerium, in der Staatskanzlei und beim Oberlandesgericht ein »Unbehagen« bezüglich des Abdrucks der von Bästlein gehaltenen Rede gegeben habe. Nach Angaben der SHZ soll Innenminister Klaus Schlie (CDU) beim parteilosen Justizminister Emil Schmalfuß gegen den geplanten Abdruck protestiert haben. Schmalfuß entschied sich dennoch für eine Ver­öffentlichung, allerdings bleibt Bästleins Rede in der Einleitung des Amtsblattes unerwähnt. Der Journalist der SHZ, der Anfang Februar die kritischen Inhalte der Rede aufgriff, blieb alleiniger Berichterstatter. Kaum war sein Artikel erschienen, konterte die Pressestelle der Landes-regierung mit der Erklärung von Arne Wulff, dass Bäst­leins Vorwürfe nicht zutreffend seien: »Vielmehr wurde die Arbeit durch mich so abgefasst, dass sich jeder Leser ein eigenes Urteil bilden kann, ohne vom Autor in eine vorgefasste Meinung bewegt oder gedrängt zu werden. Mir daraus eine Rechtfertigung des Tuns und Handelns Schlegelbergers vorzuhalten, ist konstruiert und politisch infam.« Im übrigen sei die Dissertation mit magna cum laude bewertet und von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert worden. Darüber hinaus sagte Wulff: »Die Arbeit ist insoweit auch aufgrund ihrer Vielzahl von Quellen dokumentarisch und nicht bewertend oder politisch. Dies war auch so gewollt.« Fraglich ist, ob diese Absicht bei einem hohen Funktionsträger des NS-Regimes angebracht ist.

Franz Schlegelberger gehörte zu den Haupt­angeklagten des Nürnberger Juristenprozesses von 1947, er wurde wegen Verbrechen gegen die Menschheit zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Lange dauerte diese allerdings nicht, schon 1951 wurde er aus »humanitären Gründen« aus der Haft entlassen und noch in den fünfziger Jahren rehabilitiert. Bästlein brachte die Entnazifizierung in seiner Rede mit der politischen Karriere seines Sohnes Hartwig Schlegelberger in Verbindung. »Die Entnazifizierung von Vater Franz erfolgte daher im Schnellgang: Er wurde in die Kategorie V für Entlastete eingestuft, die auch für Widerstandskämpfer galt. Das Land Schleswig-Holstein zahlte ihm die volle Pension eines Staatssekretärs.« Hartwig Schlegelberger, vor 1945 noch Marinekriegsrichter, war langjäh­riger CDU-Innenminister Schleswig-Holsteins. Sein Vater, der NS-Justizminister, lebte bis 1970 als wohlhabender Mann in Flensburg und starb dort im Alter von 94 Jahren.
Arne Wulff sagte in seiner Presseerklärung, er habe sich »immer zur Demokratie bekannt« und an seiner »Ablehnung gegenüber allen totalitären Systemen, einschließlich des Faschismus und Kommunismus, keinen Zweifel gelassen«. Diese allgemeine Aussage scheint auszureichen, nach Wulffs Mitteilung gab es in den Medien keine weiteren Beiträge zu dem Thema.