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Heute wollen wir diese Stelle nutzen, um Sie, lieber Leser, einer radikalen Desillusionierung auszusetzen, ohne die keine Ideologiekritik auskommt. Die vergangenen Ausgaben könnten nämlich bei denjenigen, die noch nie von uns enttäuscht worden sind, den Eindruck erweckt haben, wir wären ein fröhlicher Haufen vitaler Jungspunde, die ihrem Publikum die Aufbrüche, Umstürze, Aufstände und Umbrüche gleich im Dutzend servieren. Wer so etwas glaubt, hat uns noch nie erlebt. Zwar hängen bei uns in jedem Arbeitszimmer irgendwelche links kolorierten Plakate, aber die gibt es schließlich auch in Ihrer WG, obwohl Sie sich bislang wahrscheinlich auch nicht nachhaltig um die Umwälzung der Verhältnisse, die aus dem Menschen ein geknechtetes, verlassenes und verächtliches Wesen machen, bemüht haben. Nach den Veranstaltungen, die wir organisieren, gehen wir so ausgelaugt nach Hause wie Sie nach Ihrer Lohnarbeit beim Callcenter. Die kleine Freiheitsstatue, die auf unseren Konferenztisch so gut passt wie auf Ihr Fensterbrett, kann unseren Alltag zwischen Textbestellung, Redaktionssitzung und Layout mit ihrem ärmlichen Flämmchen schon lange nicht mehr erleuchten, und der Zustand unserer Gemeinschaftsküche, die nur durch eine hochtoxische Vollreinigung gerettet werden kann, spricht weniger von Anarchie als von Nachlässigkeit und Überforderung. Dass die Zeiten, in denen wir Teil einer Jugendbewegung waren, schon länger vorbei sind, konnten Sie unserer Neujahrsausgabe entnehmen, in der unsere Autoren Sie mit ihren Alterserscheinungen, ihrem enttäuschten Idealismus und ihrem Genörgel über nörgelnde Mitmenschen behelligen durften. Selbst die Verordnung zur Einrichtung von Raucherzimmern haben wir, kleinmütigen Bürgern gleich, befolgt, was unsere ebenso duldsame wie freundliche Layouterin, die es als einzige Nichtraucherin zwischen lauter paffenden Männern aushält, bezeugen kann. Wenn wir nach einem langen Arbeitstag nach Hause gehen, schaffen wir es gerade noch, die Füße auf den Tisch zu legen, uns ein Bier aufzumachen und die Glotze anzuschalten. Einige von uns, Rezensenten inklusive, haben seit Jahren kein gutes Buch mehr gelesen. Mit einem Wort: Wir sind wie Sie. Das muss Sie aber nicht deprimieren. Immerhin verstehen Sie nun vielleicht besser, warum hier jedes Mal Begeisterung ausbricht, wenn sich irgendwo auf dem Erdball ein wenig Leben regt. Und wenn Ihnen klar geworden ist, dass Sie in Sachen Revolution von uns nichts zu erwarten haben, kaufen Sie sich doch einen dieser Buttons mit dem Slogan »Mein Kommunismus funktioniert nur allein«, scheren Sie sich fortan um Ihre Zeitung so wenig wie um Ihre WG, und fangen Sie, nur sich selbst zuliebe, etwas Neues an. Unseren Segen haben Sie.