Jutta Ditfurths Abrechnung mit den Grünen 

Die Allerschlimmsten

Jutta Ditfurth verfasste erneut eine Abrechnung mit ihrer ehemaligen Partei, den Grünen. Dieses Mal aber eine besonders gesalzene.

Genau 20 Jahre ist es her, dass Jutta Ditfurth, Mitbegründerin und ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, und mit ihr viele andere als Linke gescholtene politische Aktivisten dieser Partei endgültig den Rücken kehrten. Seitdem hat Ditfurth nicht wenige Veröffentlichungen über ihre ehemalige Partei und ihre ehemaligen politischen Mitstreiter vorgelegt. Die Frage, warum sie nun ein weiteres Buch über diese Partei geschrieben habe, beantwortet sie so: »In der Nachbetrachtung muss ich zugeben, meine Kritik war zu mild. Das Ausmaß, in dem die Grünen sich und ihre Klientel bedient haben und bedienen und manche grüne FunktionärInnen sich bereichern, habe ich unterschätzt.« Aber natürlich muss man den für die Veröffentlichung gewählten Zeitpunkt auch im Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen sehen, insofern ist dieses Buch auch als Warnung zu verstehen.
Den insgesamt 59 Regierungsjahren, die diese Partei in den Länderparlamenten und im Bund bereits absolviert hat, stünden bisher keine adäquaten kritischen Analysen gegenüber, moniert Ditfuth. Und richtet sich damit auch an die Journalisten. Auch dies ist sicher ein Grund, warum einige Linke, oder besser gesagt, einige, die sich dafür halten, immer noch der Illusion anhängen, bei »den Grünen handele es sich um eine halbwegs linke, ökologische, irgendwie auch soziale Partei«. Ditfurth holt das bisher Versäumte, zumindest in Ansätzen, hier nach, und ihre Kritik geht bis an die Wurzeln und ist gut recherchiert.
Behandelt werden die Themen Atomkraft, Krieg, Armut, Menschenrechte, »Stuttgart 21« sowie die destruktive Rolle, die die Grünen spielen. In einem historischen Rückblick bis in die siebziger Jahre – ohne Zweifel eine der Stärken des Buches – legt die Autorin dar, dass die Antiatombewegung damals viel radikaler war, als es die Grünen selbst in den achtziger Jahren noch gewesen sind.
Mindestens 90 AKW beabsichtigte die Atomlobby einst allein in Deutschland zu errichten. Damit seien, so Ditfurth, immerhin mehr als 70 Atomkraftwerke verhindert worden. Sie beschreibt die Kämpfe, die Platzbesetzungen, die Erstürmungen der mit Nato-Draht abgesicherten Bauplätze in Wyhl, Gorleben, Brokdorf und Grohnde, samt der Gründung des dortigen Anti-Atomdorfes mit dem überfütterten Hausschwein »Genscher« als Bürgermeister. Es ist durchaus interessant, diese Anekdoten hier noch einmal nachzulesen.
Im Jahr 2001, nach dem sogenannten Energiekonsens, warnten die grünen Vorzeigepolitiker, allen voran Claudia Roth und Umweltminister Jürgen Trittin, die Basis der Grünen davor, sich an Anti-Castor-Demonstrationen zu beteiligen. Die Botschaft war eindeutig: Atommülltransporte unter einer SPD/Grünen-Regierung sind gut, nur die unter einer CDU/CSU/FDP-Regierung sind gefährlich. Die Analogie zur Auffassung der DKP in den siebziger Jahren, nach der die AKW nur dann, wenn sie sich in der Hand des Volkes befinden, der Inbegriff des Fortschritts seien, ist unübersehbar.
Ditfurth stellt in ihrem Buch die richtigen Fragen. Wofür brauchte die herrschende Klasse Ende der neunziger Jahre einen grünen Außenminister? Käme der Außenminister bei dem bevorstehenden Jugoslawien-Krieg aus einer CDU/CSU/FDP-Koalition, wären die Straßen in den Städten mit Demonstranten verstopft gewesen. Mit Joschka Fischer haben sich die Proteste bequem kontrollieren lassen.
Wozu haben die Grünen sich an der Zerstörung des Sozialstaats beteiligt? Um ihrer neuen Klientel – von Siemens über RWE und etliche Banken bis Bertelsmann – gigantische Extra­profite zu bescheren. Wenn Grüne vom postmaterialistischen Wertewandel oder vom Paradigmenwechsel faseln, bedeute dies, so Ditfurth, höchste Alarmstufe.
Seit ihrer ersten Regierungsbeteiligung auf Landesebene verabschiedeten die Grünen sich nach und nach von ihrem auf dem Gründungskongress 1980 in Karlsruhe gefassten Grundsatzbeschluss, einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel anzustreben. Aus der »sofortigen Stillegung aller Atomanlagen« wurde die Unterscheidung zwischen guten und bösen Castortransporten. Aus »Nie wieder Auschwitz! Nie wieder Krieg!« neuer Krieg. Aus »offenen Grenzen« die Selektion von Einwanderern nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit, aus linkem Feminismus Gender Mainstreaming und schließlich aus der Erkenntnis, dass der Kapitalismus Mensch und Natur gleichermaßen zerstört, der Green New Deal, der doch nur ein grüner Deal der sozialen Ungleichheit und der naturzerstörerischen Umwelttechnokratie ist.
Die Grünen seien, wie jeder Bourgeois, längst die Profiteurinnen und Profiteure dieser Wirtschaftsordnung, veranschaulicht Ditfurth. Ein Ministerpöstchen hier, ein Staatssekretärpöstchen dort, ein Aufsichtsratmandat bei dieser Firma, ein Vorstandsgehalt von jener Organisation, selbstverständlich bei lebenslangen Ruhestandsbezügen. Irgendein Restgrüner wird aufmüpfig? Schütten wir einfach etwas Gold in seinen Rachen. Vetternwirtschaft, die Verteilung von Machtpositionen und staatlicher Förderung an politisch Gleichgesinnte, ist bei den Grünen nicht erst seit gestern gang und gäbe. Alle grünen Lobbyistinnen und Lobbyisten aufzuzählen, dafür sei in diesem Buch nicht ausreichend Platz, schreibt Ditfurth. Die kurze Aufzählung, die sie vornimmt, ist erschreckend genug.
Das Ausmaß, in dem sich die Grünen ihrer eigenen Geschichte entledigt haben, übertreffe das jeder anderen Partei, resümiert die Autorin. Um ihren Stimmenanteil in der gut ausgebildeten und verdienenden Mittelschicht auf das Niveau heutiger Umfragewerte bringen zu können, sei die künstliche Trennung der ökologischen von der sozialen Frage eine wichtige Voraussetzung gewesen. In der Gründerzeit der Partei bedeutete linke ökologische Politik immer auch die Forderung nach Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Menschen. Das Resultat von 59 Jahren Regierungsbeteiligung in den Ländern und im Bund ist, dass die Grünen die Bedingungen, zu denen die Menschen an gefährlichen, ungesunden, kaputtmachenden Arbeitsplätzen schuften müssen, noch ein ganzes Stück unerträglicher gemacht haben. Diese Feststellung ist nicht neu. Das Erschreckende hieran aber ist, dass die Grünen einst angetreten sind, genau diese Situation zu beseitigen.

Jutta Ditfurth: Krieg. Atom. Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen. Rotbuch, Berlin 2011, 288 Seiten, 14,95 Euro