Über die Dokumentation »Bad Boy Kummer«

Die anderen waren auch nicht besser

Die Dokumentation »Bad Boy Kummer« arbeitet den Medienskandal um die gefälschten Interviews des Schweizer Journalisten Tom Kummer nochmals auf.

Was macht eigentlich Tom Kummer, der Mann, dessen gefälschte Interviews aus Hollywood vor gut einem Jahrzehnt dem deutschen Medienbetrieb einen seiner größten Skandale bescherten? Dieser Frage geht der Filmemacher Miklós Gimes in seiner Dokumentation »Bad Boy Kummer« nach. Gimes war auch von persönlichem Interesse angetrieben, schließlich war er damals, als die Sache mit den gefälschten Kummer-Interviews aufflog, stellvertretender Chefredakteur beim Magazin des Schweizer Tages-Anzeiger, einem der damaligen Abnehmer der Interviews.
Gimes hat sich also aufgemacht nach Los Angeles, wo Kummer heute noch mit seiner Familie lebt, um besser verstehen zu können, was damals genau passiert ist. Gimes will wissen, was dazu geführt hat, dass Kummer seine angeblichen Interviewpartner irgendwann gar nicht mehr traf, die komplett gefälschten Gespräche aber bei den Magazinen, auch dem des Tages-Anzeiger, begehrter waren als der ganze Smalltalk mit der Prominenz, den man sonst so aus der Welt des Glamours angeboten bekam.
In »Bad Boy Kummer« treffen wir auf keinen geläuterten Journalisten, der bereut und heute wasserdicht recherchierte Geschichten mit hoher journalistischer Redlichkeit zusammenschreibt. Nein, Kummer ist durch mit dem Journalismus. Nach dem Skandal bekam er bei der Berliner Zeitung und der Woz noch eine Chance, sich zu rehabilitieren. Doch die Sache ging in die Hose. Seine Texte wurden nach dem Sündenfall genauestens geprüft, und so fand man, was man wohl auch finden wollte: wieder journalistische Unredlichkeiten. Und so blieb Kummer ein Fälscher und Lügner, eine Unperson im deutschen Journalismus. Von Kummer gab es dann noch einen Interviewband mit Knut, dem Eisbären, und gerade schreibt er an einem Roman.
Trotzdem wirkt Kummer nicht wie ein Verlierer. Er wollte es schaffen in Hollywood. Er ist gescheitert. Doch er ist wieder aufgestanden. Und er macht weiter in der Glamourstadt Los Angeles – als Paddle-Tennis-Trainer. Paddle-Tennis ist eine Art Kleinfeldtennis. Man sieht, wie Kummer ein paar Paris-Hilton-artige Geschöpfe auf dem Platz motiviert und wie er selbst ein paar Bälle aus der Ballmaschine schlägt. Jeden Ball setzt er mit perfektem Volley ins Feld. Er ist ein guter Tennisspieler, und er will noch besser werden.
So ähnlich muss es damals auch in seiner Journalistenkarriere gewesen sein. Er war gut, ein echtes Schreibtalent, aber er wollte der Beste sein. Aus der beschaulichen Schweiz kam er Anfang der Achtziger in die Mauerstadt Berlin und verlor sich erst mal in der dortigen Musik- und Kunstszene, die von Punk und den Genialen Dilletanten geprägt war. Kummer selbst war eine Zeit lang auch Künstler, man sieht in »Bad Boy Kummer« ein paar seiner damaligen Aktionen. Mit Feuer hantierte er gerne, expressiv wirken diese Aktionen und teilweise gefährlich. Hauptsache, es langweilte nicht.
Es war die Zeit der Einstürzenden Neubauten, der Merve-Bändchen und des Poststrukturalismus. Alles musste neu werden, das Alte galt als verbraucht. Nur der Journalismus, der war so langweilig und pseudo-objektiv wie eh und je. Nicht nur Tom Kummer wollte das wohl nicht mehr hinnehmen. Die Spex etablierte ein neues Schreiben über Popmusik und die Zeitschrift Tempo versuchte mit einer völlig neuen Form von radikalsubjektivem Berichten und dem bewussten Abfeiern der Oberfläche im traurigen Deutschland ein glamouröses Lifestyle-Magazin zu etablieren. 24 Stunden am Stück fernsehen im Selbstversuch, all diese spielerischen neuen journalistischen Formen, die heute auch schon wieder verbrannt sind, haben hier ihren Ursprung. Und Tom Kummer war natürlich Tempo-Autor.
»Bad Boy Kummer« zeichnet diese Mediengeschichte Deutschlands nach, weil sie wichtig ist, um zu verstehen, was dann passierte. Denn in der Dokumentation geht es ja nicht darum, nur den vermeintlichen Sünder, also Tom Kummer, zu verstehen, sondern das System, das einen wie Tom Kummer erschaffen hat. So zumindest sieht es Kummer bis heute: Er hat den Leuten nur das gegeben, was sie wollten. Sie wollten ja nicht die Wahrheit, sondern etwas, was die Wahrheit sein könnte, nur tausendmal glamouröser wirkt. Borderline-Journalismus nennt Kummer seinen Weg dieser »Wahrheitsfindung« heute.
Er sieht die Schuld auch weniger bei sich als bei denjenigen, die damals immer mehr von dem verlangten, was Kummer ihnen da im fernen Hollywood an Unglaublichkeiten zurecht­reimte. Vorneweg geht es dabei natürlich um Ulf Poschardt, ehemals ein Freund Kummers und als Chefredakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung einer seiner Hauptabnehmer. Nach dem Skandal um Kummer verlor Poschardt seinen Job, scheiterte im großen Stil mit der deutschen Vanity Fair und ist heute eine große Nummer beim Springer-Verlag. In dem Dokumentarfilm über Tom Kummer wollte er nicht auftreten.
Eigentlich haben es alle aus der Tempo-Generation geschafft. Moritz von Uslar, Christian Kracht, Markus Peichl, Andrian Kreye, alle sind sie große Nummern in der deutschen Medienwelt. Nur Kummer ist der Verfemte. Natürlich nagt das an ihm.
Kummer also ist sich immer noch sicher, dass alle wussten, dass er ihnen Lügengeschichten verkaufte. Ganze Passagen aus seinen damaligen Interviews liest er in »Bad Boy Kummer« nochmals vor laufender Kamera vor und meint danach, dass kein Mensch, der bei Verstand ist, hätte annehmen können, dass es hier um so etwas wie die Wirklichkeit gegangen sein konnte.
Gimes selbst, der Filmemacher, der damals Betroffene, gibt jedoch immer wieder zu bedenken: Ja, er habe schon an mancher Formulierung in den Kummer-Interviews gezweifelt. Aber dass Kummer Sharon Stone und all die anderen nicht mal getroffen habe, das hätte er sich doch nicht vorstellen können.
Wer was wusste, das bleibt auch nach diesem Dokumentarfilm Spekulation. Poschardt und Co. haben wohl einfach lieber nicht so genau nachgefragt und sonnten sich gerne im grellen Licht, das ihr Starautor aus Hollywood warf. Charles Bronson erzählt in Tom Kummers Märchen kurz vor seinem Tod von seiner Arbeit im Garten. Sharon Stone zitiert Kierkegaard, Mike Tyson bemüht Nietzsche und berichtet, wie er im Gefängnis Kakerlaken gegessen habe.
Der Pseudojournalist aus Hollywood schickte die Projektionen aus der Traumfabrik einfach zurück in die graue Bundesrepublik und man erfeute sich an diesen Hirngespinsten. Eigentlich war es für Leser, Magazin und Autor eine echte Win-win-Situation.
Und ehrlich gesagt: Die Kummer-Zeiten waren tolle Zeiten. Das SZ-Magazin ist seit der Einführung des Faktenchecks ein ödes und politisch korrektes Spießerblatt geworden. Und die Interviews mit den Promis sind meist langweiliger als die Filme oder die Platten, die sie darin bewerben.

»Bad Boy Kummer« (Schweiz 2010). Regie: Miklós Gimes. Kinostart: 5.Mai