Lena mit Bart

Berlin Beatet Bestes. Folge 96. Crazy Otto: Palesteena (1955).

Der Song »Palesteena« (auch bekannt unter dem Titel »Lena from Palesteena«) geht auf die Original Dixieland Jazz Band zurück, die ihn 1920 einspielte. Die historisch bedeutsame Band, bestehend aus fünf weißen Musikern aus New Orleans, nahm 1917 in New York das Stück »Livery Staple Blues« auf, das als allererste Jazzplatte gilt. Der mit allerlei improvisierten Schlagwerkzeugen irrwitzig instrumentierte, zunächst als Novelty-Song wahrgenomme Hit inspirierte die erste Jazzwelle und in der Folge eine ganze Flut von Jazzgruppen, die diesen neuen Sound aufgriffen. Die Gruppe produzierte weitere Hits, wie zum Beispiel »Tiger Rag« und »Margie«, die inzwischen von allen wichtigen Jazzbands gecovert wurden. Ihr Song »Palesteena« war eine der populärsten und meistverkauften Platten des Jahres 1920.
Der deutsche Musiker und Songschreiber Fritz Schulze-Reichel galt bereits in den vierziger Jahren als bester deutscher Swing-Pianist. Als der Swing 1942 in Deutschland verboten wurde, ging der Musiker nach Norwegen, um im Swingorchester von Herbert Velmer zu spielen. Ab 1946 arbeitete er im neu gegründeten Radio Berlin Tanzorchester unter der Leitung von Walter Dobschinski, damals eine der besten deutschen Bigbands. Seinen ersten Erfolg als Komponist hatte Schulze-Reichel Anfang der fünfziger Jahre. Zusammen mit Bully Buhlan schrieb er tolle Swing-Schlager wie »Am Samstag um Vier« und »Ich bin nun mal so schrecklich schüchtern«. Berühmt wurde er allerdings als »Der schräge Otto«. Mit seinem leicht verstimmten Ragtime-Klavier, das an den Stil der farbigen englischen Boogie-Woogie-Pianistin Winifred Atwell erinnerte, erreichte er als Crazy Otto 1955 sogar Platz 19 der US-Charts. In dem deutschen Film »Der schräge Otto« spielt Schulze-Reichel, in seiner zum Markenzeichen gewordenen Verkleidung mit angeklebtem Bart, Zylinder und langem, hellblauem Mantel, auf einem auch optisch schräg gestalteten Klavier.
Crazy Ottos Coverversion von »Palesteena« nimmt nur noch die Melodie des Vorbilds auf. Der Song der Original Dixieland Jazz Band greift interessanterweise die Tradition des Klezmer auf, mischt ihn mit einer Art Oriental-Fox und hat musikalisch nicht viel mit Dixielandjazz zu tun. Eine Refrainzeile des lustigen Originaltextes lautet: »Lena’s girlfriend Arabella/Let her meet an Arab fella/Who she thought was grand/On the camel’s back a-swaying/You could hear Miss Lena playing.«
Hellseherisches Talent bewiesen die verrückten Dixieländer allerdings mit der Refrainzeile: »They say that Lena is the Queen o’Palesteena/Just because she plays the Concertina/She only knows one song/She plays it all night long.«
Woher konnten sie eigentlich wissen, dass eine gewisse Lena neunzig Jahre später tatsächlich ununterbrochen ein und denselben Song singen würde? Am 14. Mai wird ganz Europa beim Eurovision Song Contest noch einmal in den Genuss dieser Lena-Endlosschleife gekommen sein.