Die Platzbesetzungen in Griechenland

Ein Ausweg aus der Krise?

In Griechenland beteiligt sich eine Masse von Menschen jenseits der Parteien und der antiautoritären Szene an den Platzbesetzungen. Das bietet zumindest eine Chance für Veränderung.

Was haben griechische Studienräte und Autonome gemeinsam? Richtig: ein gewisses Faible für griechische Mythologie, die einen für die antike, die anderen für die moderne. Denn lange schon macht die Hoffnung auf die griechische Revolution, die da kommen mag, die Runde. In hiesigen Breiten wird sie zumeist assoziiert mit großen Protestmärschen und Straßenschlachten: Sparpakete, staatliche Repression und Gegenwehr.
Seit Ende Mai tut sich hingegen etwas, das der klassisch linksradikalen Griechenland-Rezeption eher ungewöhnlich anmuten muss: In Anlehnung an die Proteste auf dem Tahrir-Platz, insbesondere aber an die Camps der spanischen »Democracia Real Ya!«-Bewegung, nehmen Protestierende in einer Vielzahl von Städten die zentralen Plätze in Beschlag. Allen voran den Athener Syntagma-Platz, auf dem sich am 6. Juni mutmaßlich 200 000 bis 500 000 Menschen zu einem der größten Proteste seit Ende der Militärjunta 1974 versammelten. Ähnlich wie bei den Revolten im Maghreb und im Nahen Osten scheinen die Proteste auf den Plätzen mit eigenen Komitees für Sicherheit, medizinische Versorgung, Sauberkeit, Öffentlichkeitsarbeit und Ähnlichem recht gut organisiert zu sein. Auf den Plätzen gibt es offene Mikrofone und Vollversammlungen, die sogar per Livestream übertragen werden.
Doch ist dies wirklich der Beginn der griechischen Revolution, der Ausweg aus der Krise? Nachdem bei jeder größeren Protestwelle der vergangenen Jahre die sogenannte griechische Revolution schon fast inflationär bemüht wurde, mag man zuweilen geneigt sein, von ihr mit einer guten Prise Sarkasmus eher als der »Revolution, die nicht kommt«, zu sprechen – oder dies zumindest insgeheim zu denken. Den aktuellen Entwicklungen gegenüber wäre dies jedoch ein wenig vorschnell.

Nun: Griechenland ist nicht Spanien und nicht Ägypten. Weder Spanien noch Griechenland litten unter einem Jahrzehnte währenden autoritären Regime, und trotz aller gravierenden Probleme steht Spanien nicht vor einem Staatsbankrott. Was aber macht die Bewegung in Griechenland möglicherweise zu etwas Besonderem?
Neben den offensichtlichen Belastungen durch die Sparprogramme ist der aktuelle Anlass zunächst einmal so banal wie dramatisch: Die von der Europäischen Zentralbank (EZB), der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erzwungenen Sparmaßnahmen im Tausch gegen eine weitere Tranche aus dem »Rettungsschirm« stellen die gesamte Bevölkerung vor den realen Verlust ihrer Möglichkeit zur demokratischen Einflussnahme. Denn der Gestaltungsspielraum des Parlaments hält sich in engen Grenzen. Die Frage, ob nun diese oder jene Partei ein besseres Krisenmanagement betreiben würde, stellt sich demnach gar nicht erst, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die sogenannte Troika aus EZB, EU und IWF versucht, alle Parteien für einen »Pakt zur Nationalen Rettung« an einen Tisch zu bringen.
Während die Proteste der vergangenen Jahre mehrheitlich von Verbänden wie Parteien, Gewerkschaften und anderen Gruppen organisiert und getragen wurden, sind die derzeitigen Proteste für die breite Masse jenseits einer besonderen Klientel offen. Dies ist sicher nicht per se emanzipatorisch oder gar revolutionär, bietet neben allen Schwächen jedoch ein ungeheures Potential. »Unsere Unterschiede sind unsere Stärke!« lautet denn auch einer der selbstbewussten Slogans aus Kreisen der Bewegung. Unter diesem Motto scheint es progressiven Teilen der antiautoritären Linken zu gelingen, bestimmte Inhalte in die Bewegung zu bringen. Und zwar nicht durch Schulmeisterei, sondern durch die offene Debatte. So ist zu lesen, dass auf den Plätzen neben Fahnen von Parteien, Gewerkschaften und politischen Bewegungen mittlerweile auch Griechenland-Flaggen als unerwünscht gelten. Ebenso gibt es Vorschläge, die Vollversammlungen der einzelnen Plätze mittels eines Delegiertensystems mit imperativem Mandat zu einer Art landesweiten Versammlung der Vollversammlungen zusammenzubringen, sogar eine Art eigene, basisdemokratische Verfassung zu verabschieden. Ebenso soll in diesem Rahmen auch Migranten das Recht zur vollen politischen Teilhabe verschafft werden.
Was die Bewegung bietet, ist eine Chance, nicht mehr. Eine Chance, in die Gesellschaft zu wirken und sie Schritt für Schritt zu verändern. Und die Bewegung bietet einer orthodoxen Linken die Chance, sich von sich selbst zu emanzipieren, die eigenen Ideen zu überprüfen und der Gesellschaft zur Debatte zu stellen. Der nächste Aktionstag auf den Plätzen Griechenlands ist der 15. Juni. Es wird sicherlich wert sein, die weiteren Entwicklungen zu verfolgen und zu unterstützen.