Hadi Ghaemi im Gespräch über den Kampf für Menschenrechte im Iran

»Veränderung muss vom Iran selbst ausgehen«

Hadi Ghaemi hat im Jahr 2008 die »Internationale Kampagne für Menschenrechte im Iran« gegründet, die auf ihrer Website www.iranhumanrights.org seither regelmäßig Nachrichten über Menschenrechtsverletzungen im Iran veröffentlicht. Mit der Kampagne soll eine Verbindung zwischen der Menschen- und Bürgerrechts­bewegung im Iran und der internationalen Öffentlichkeit hergestellt werden. Bereits vor der Niederschlagung der Protestbewegung im Jahr 2009 warnte Ghaemi vor der fortschreitenden Verschlechterung der Menschenrechtssituation unter dem Mullah-Regime.

Kritiker bemängeln häufig, dass die Veröffentlichungen über Menschenrechtsverletzungen im Iran die Lage der Betroffenen nur schlimmer machen würden.
Diese Vorstellung ist vollkommen falsch. Aus irgendeinem Grund bekomme ich das meistens von europäischen Diplomaten oder Journalisten zu hören. Die Situation der Betroffenen kann sich aus vielen Gründen verschlechtern. Wenn Wärter, Folterer oder vernehmende Beamte alleine mit ihren Gefangenen sind, müssen sie sich gegenüber niemandem verantworten, der in der Hie­rarchie höher steht, sie befinden sich in einer Situation der vollständigen Straflosigkeit. Wenn wir kein Licht in das bringen, was sie da tun – wir sind so etwas wie eine Taschenlampe in dieser dunklen Höhle –, dann können sie einfach weitermachen. Und dann können die Dinge erst wirklich schlimm werden.
Gibt es Fälle, in denen die öffentliche Aufmerksamkeit die Situation der Gefangenen verbessert hat?
Viele ehemalige Gefangene erzählen, dass vernehmende Beamte oder Richter mit einem Stapel Veröffentlichungen von uns oder ähnlichen Gruppen zu ihnen kamen und fragten: »Wie haben sie davon erfahren?« Dann sagten die Beamten: »Sag’ deiner Familie, sie soll das Maul halten!« Oder: »Sag’ deinem Anwalt, er soll schweigen!« Aber anschließend verbesserte sich die Situa­tion. Gefangene kommen aus der Einzelhaft, erhalten ein Telefon, um ihre Familie anzurufen, oder medizinische Behandlung. Selbst wenn die Sprache der Regierung oder der Justiz rabiater wird, wird sie durch die öffentliche Aufmerksamkeit doch zu einem Minimum an Verantwortlichkeit gezwungen. Man denke zum Beispiel an die zur Steinigung verurteilte Sakineh Ashtiani. Warum wurde sie nicht hingerichtet? Weil ihr Fall so viel Aufmerksamkeit erregt hat.
Wir stellen also eine Hürde her, indem wir zunächst einmal Personen, die im System weiter oben stehen, wissen lassen, was Vernehmende, Richter oder Wärter anrichten, so dass die Funk­tio­näre später nicht behaupten können, von nichts gewusst zu haben. Egal ob es sich nun um das Oberhaupt des Justizministeriums, den Prä­sidenten oder den religiösen Führer handelt – wir sorgen dafür, dass keiner von ihnen behaupten kann, ahnungslos gewesen zu sein. Hoffentlich bewirkt das ein gewisses Maß an Kontrolle über die Personen, die weiter unten in der Hierarchie stehen. Wir diskutieren heute beispielsweise immer noch die Gefängnismassaker von 1988. Ein großer Teil der Debatte dreht sich darum, wer wann was wusste.
Manche Gefangene verfügen über gute Verbindungen zum System. Ist es für sie nicht besser, sich auf Beziehungen zu verlassen, statt an die Öffentlichkeit zu gehen?
Nicht unbedingt. Ich möchte auf den Fall des bekannten Bloggers Hossein Derakhshan hinweisen. Er hat die besten Verbindungen. Während seines ersten Jahres in Haft entschied sich seine Familie, sich auf ihre Beziehungen zu verlassen. Sie hat versucht, ihn auf diesem Weg aus der Haft zu bekommen – vergeblich. Als sie merkte, dass es zu einer Gerichtsverhandlung und einer Verurteilung kommen würde, versuchte sie ganz vorsichtig, sich an die kanadische Presse zu wenden und einige Organisationen zu kontaktieren, aber dafür war es schon zu spät.
Wenn man ein ganzes Jahr wartet, ist die inhaftierte Person bereits gebrochen. Sie hat viele Dokumente und Geständnisse unterschrieben. Das alles passiert in den ersten Wochen. Wie wir festgestellt haben, sind die ersten Tage besonders wichtig, weil in dieser Zeit ein sehr ungleiches Kräftemessen zwischen dem Gefangenen und seinem vernehmenden Beamten stattfindet. Der Verhörende hat viel mehr Macht als der Gefangene, auch wenn dieser gute Beziehungen hat.
Was ist das Ziel Ihrer Kampagne?
Zuerst einmal wollen wir den Stimmen von Menschenrechtsaktivisten im Iran ein Forum bereitstellen. Natürlich hat seit 2009 eine ganze Menge von ihnen das Land verlassen. Aber wir versuchen immer noch, den Verbliebenen eine Möglichkeit zu geben, die internationale Öffentlichkeit zu erreichen und eine Verbesserung der Verhältnisse zu fordern.
Auch können wir als eine iranische Gruppe mit internationalem Fokus die Behauptung der Regierung widerlegen, dass die Forderung nach Menschenrechten Teil eines westlichen Diskurses sei, der sich gegen die »Islamische Republik« richte. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt aber auf denen, die gegen die Menschenrechte verstoßen.
Um wen handelt es sich dabei?
Das betrifft mehr oder weniger das ganze System der »Islamischen Republik« – die Justiz, die Verwaltung, den religiösen Führer, die Revolutionswächter. Der Unterschied zwischen der Menschenrechtsarbeit und dem politischen Kampf der Opposition ist, dass für uns die Verfechtung der Menschenrechte nicht an dem Tag enden wird, an dem die »Islamische Republik« aufhört zu bestehen oder irgendwelche Reformen durchgesetzt werden. Ich glaube, dass unsere Arbeit dann erst wirklich anfängt.
Weshalb nehmen Sie das an?
In der Übergangsphase dürfte die Frage sein: Können wir die Saat legen und sichergehen, dass sie überlebt, ohne dass ein neuer Zyklus der Unterdrückung einsetzt, durch wen auch immer? Das ist die Herausforderung, auf die wir uns vorbereiten. Der Sturz der »Islamischen Republik« wird nicht der Tag des Triumphes sein, er wird nur ein Tag in einem langen Prozess sein.
Welche Aussichten bestehen, die Menschenrechte im Iran durchzusetzen?
Es gibt ein starkes Bedürfnis bei den einfachen Leuten und insbesondere in der jungen Generation, den willkürlichen Verhaftungen, der Folter und der Verweigerung sozialer und ökonomischer Rechte wegen politischer oder religiöser Überzeugungen eine Ende zu setzen. Auch denke ich, dass die Kinder der derzeitigen Entscheidungsträger sich sehr von ihren Eltern unterscheiden. Vielleicht bin ich da sehr optimistisch – aber wenn diejenigen sterben, die heute etwa 60 Jahre alt sind, also Leute, die während der Revolution etwa 30 waren, wird eine jüngere Generation antreten, die ganz anders denkt.
An welche Personen im Iran wendet sich Ihre Kampagne?
Wir sind bei Journalisten, Aktivisten, Intellektuellen, der politischen Klasse und auch bei Leuten in der Regierung gut bekannt. Wir denken, dass unsere Stimme im Iran gehört wird.
Gibt es Reaktionen, die das beweisen?
Ahmadinejad hat einige Male auf unsere Arbeit reagiert. Als er im vergangenen September zur jährlichen UN-Vollversammlung nach New York kam, haben wir einen Bericht unter dem Titel »Reporters’ Guide« veröffentlicht. Darin haben wir Fragen für Journalisten vorgeschlagen, die diese iranischen Vertretern zum Thema Menschenrechte stellen sollten. Als Ahmadinejad in den Iran zurückkehrte, erwähnte er uns im Fernsehen: »Sie haben sogar einen 40seitigen Bericht produziert mit Anweisungen, wie man mich fragen und düpieren soll.« Wir versuchen, alle internationalen Hebel in Bewegung zu setzen, um die Situation zum Besseren zu beeinflussen.
Wie groß sind die Möglichkeiten der Einflussnahme von außerhalb?
Veränderung muss vom Iran selbst ausgehen, das ist klar. Wir wollen keine fremde Einmischung politischer oder militärischer Art. Ich sehe nicht, wie eine amerikanische oder europäische Einmischung etwa in Form der Unterstützung irgend­einer Dissidentengruppe oder einer militärischen Intervention in irgendeiner Weise hilfreich sein könnte.
Lehnen Sie auch die Unterstützung der US-Regierung für Organisationen wie das Iran Human Rights Documentation Center in Yale ab?
Nein, das ist eher eine gute Sache. Das Geld geht zumeist in die Forschung. Ich möchte nicht bestreiten, dass Dissidenten, die das Land verlassen, irgendeine Art von Unterstützung brauchen. Wenn die amerikanische Nationalstiftung für Demokratie solchen Personen ein Stipendium und die Möglichkeit gibt, zu forschen oder zu schreiben, ist das nicht verkehrt.
Aus welchen Motiven engagieren Sie sich persönlich?
Ich habe den Iran in den frühen achtziger Jahren wegen des Kriegs verlassen. Das war wirklich eine Zeit der Finsternis. Die grauenvollsten Verbrechen waren die Massaker von 1988, die an politischen Gefangenen verübt wurden. Das war wahrscheinlich das schlimmste Verbrechen in der modernen Geschichte des Iran, ein Verbrechen gegen die eigenen Bürger, gegen vollkommen wehrlose Gefangene. Ich möchte mich mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass dergleichen nicht noch einmal geschieht. Meine Hoffnung ist, dass unsere Arbeit einen Beitrag dazu leistet.