Über den Unterschied zwischen Islamkritik und Ressentiment

Der Elchtest der Islamkritik

Über den Unterschied zwischen Islamkritik und Ressentiment.

Auf den Hinweis, dass er im Manifest des Anders Behring Breivik zustimmend zitiert wird, reagierte Henryk M. Broder wenig überzeugend. Der Mörder sei ein Spinner und Psychopath, der zum Selbstzweck getötet und zur Rationalisierung alles Mögliche zitiert habe. Dass es dabei auch ihn, Broder, traf, sei nicht mehr als ein Zufall. Überhaupt seien es letztlich doch eher die jihadistischen Mörder, die Breivik nachgeahmt habe.
Auf der einen Seite erscheint der Täter tatsächlich als ein geltungsbedürftiger, mordlüsterner Psychopath, der ein ideologisches Ticket benötigt, um sein Morden rationalisieren und zur Heldentat stilisieren zu können. Möglich, dass ein ähnlich strukturiertes Individuum zu einer anderen Zeit in einem anderen Milieu nicht Muslime und Sozialdemokraten, sondern Juden, Schwarze, Kommunisten, Tutsi, Katholiken, Protestanten, Ungläubige oder Kapitalisten zum Hauptfeind erklärt hätte. Auch konnte niemand damit rechnen, dass irgendwo in Norwegen jemand eine derartige Tat vorbereiten würde. Es scheint zudem, anders als bei den meisten islamistischen Terroristen, keinen Auftraggeber, keine unterstützenden Netzwerke und keine die Tat bejubelnden Massen zu geben. Niemand außer Breivik selbst trägt also die Schuld und die Verantwortung an dem Massaker.
Aber auch wenn die Logistik der Tat darauf hinweist, dass Breivik als Einzeltäter gehandelt hat, haben wir es mit einem von Ressentiments gegen Muslime getriebenen Gesinnungstäter zu tun. Anders als Broder es darstellt, ist die Ideologie in diesem Fall kein bloßes Beiwerk, das der Mörder seinen Taten nachträglich als Rationalisierung hinzugefügt hätte. Wäre es ihm »lediglich« darum gegangen, Jugendliche zu ermorden, wäre er vermutlich in einer Schule oder einem x-beliebigen Ferienlager Amok gelaufen und hätte ein paar wütende Zeilen über die Entfremdung unserer Zeit oder die Menschheit im Allgemeinen auf einem Stückchen Papier oder in einem Chatroom hinterlassen. Der Umstand jedoch, dass Breivik es für nötig hielt, ein 1 518 Seiten starkes Konvolut zusammenzustellen, in dem er seine Motive teils konfus, aber doch in Form eines geschlossenen Weltbildes darlegt, zeigt, dass ihn eine Ideologie zu der Tat getrieben hat, nach der Europa gegen eine durch »Kulturmarxisten« unterstützte Islamisierung verteidigt werden muss. Aus dieser Gesinnung heraus konnte er den Massenmord als »grausam, aber notwendig« verteidigen.
Es war auch kein Zufall, dass sich Breivik die Feinde wählte, die er sich wählte. Auf die Idee, dass Europa von Islamisierung bedroht ist und zukünftige Generationen Gefahr laufen, vor Sharia-Gerichten zu koranischen Körperstrafen verurteilt zu werden, ist er nicht selbst gekommen. Dasselbe gilt für den Gedanken, dass diese Entwicklung durch eine hegemoniale linke Kultur befördert wird, welche die althergebrachten europäischen Werte verrät. Diese Weltsicht entspricht genau dem, was in der sich selbst als »islamkritisch« bezeichnenden islamfeindlichen Szene in den vergangenen Jahren zu einem geschlossenen Weltbild zusammengefügt wurde.
Eine drohende Islamisierung und Preisgabe abendländischer Kultur durch die Linke sind Kernelemente in der Rhetorik des rechten Orientalisten Hans-Peter Raddatz. Auch die Propaganda rechtspopulistischer Parteien beschwört das Szenario der Islamisierung. Besonders plakative Bilder fanden sich im FPÖ-Wahlkampfcomic »Sagen aus Wien«, in dem ein verweichlichter Sozialdemokrat die Tore Wiens für die islamisierungswütigen türkischen Belagerer öffnen will. Am deutlichsten aber entsprechen diese Motive dem, was auf Websites wie »Politically Incorrect« (PI) verhandelt wird. Die islamfeindliche Szene meint, das Unglück der Islamisierung Europas vorhersehen zu können, ihre Kassandra-Rufe blieben aber in den verächtlich »MSM« genannten Mainstream-Medien wegen ihrer »Multikulti-Ideologie« ungehört.
Nun aber, da jemand ihre Warnungen ernst genommen und seine eigenen Konsequenzen daraus gezogen hat, gibt sich die Szene zerknirscht. Auch wenn man mit Breivik die paranoide Angst vor dem Islam sowie das Ziel eines starken, konservativen und von Muslimen freien Abendlandes teilt, auch wenn man bei PI oft die rhetorische Frage lesen konnte, wie lange »das Volk« sich »das alles« noch von den Muslimen und Eliten gefallen lassen wolle, bevor es endlich »etwas tue«, teilt man die militanten Strategien des Täters nicht. Die demokratische Kultur in Europa scheint so intakt zu sein, dass keine relevante Stimme das Massaker als Heldentat oder Fanal feiert. Niemand verleiht dem Mörder die seinem Pamphlet zufolge für solche Morde vorgesehene »Distinguished Destroyer of Cultural Marxism«-Medaille.
Stattdessen hadert die Szene nun mit dem Schicksal. Denn obschon man endlich die öffentliche Aufmerksamkeit erhält, nach der man sich seit Jahren sehnt, hat diese Beachtung kaum die erwünschte Form. Während in PI-Leserkommentaren schon mal spekuliert wird, ob nicht eine Verschwörung zur Diffamierung der »islamkritischen Bewegung« hinter den Taten stehe, zeigen sich die Autoren zwar betroffen von dem Massaker, doch mehr als das Schicksal der Opfer beklagt man das eigene. Breivik habe »der islamkritischen Szene einen Bärendienst erwiesen«, und die linke Medienverschwörung nutze dies nun, um die islamkritische Szene mit dem Massaker in Verbindung zu bringen, so der Tenor.
Genauso wie es in den neunziger Jahren richtig war, einen Zusammenhang zwischen den rassistischen Morden zu der vorausgegangen »Asyldebatte« herzustellen, genauso wie es richtig ist, auf die Verbindung zwischen jihadistischen Terroristen und autoritären muslimischen Milieus hinzuweisen, ist es auch richtig, die Verbindung von Breiviks Taten mit der islamfeindlichen Gesinnung, die ihn motivierte, und der Szene, die diese Ressentiments kultiviert, zu betonen.
Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass Kritik am Islam oder islamischen Strömungen delegitimiert wird. Es ist vielmehr nötig, den Unterschied von Ressentiment und Kritik herauszu­arbeiten. Dieses Unterfangen wäre sehr viel einfacher, wenn die islamfeindlichen Strömungen, die sich als »islamkritisch« bezeichnen, die aber lediglich durch Ressentiments motiviert sind, sich eindeutig von einer emanzipatorischen Kritik am Islam und seinen autoritären Strömungen abgrenzen ließen. Dies ist jedoch schwierig, wie sich am Beispiel Henryk M. Broders veranschaulichen lässt.
Auch wenn man Broder für vieles, was er schreibt, und dafür, wie er es schreibt, dankbar sein muss, auch wenn er reale Probleme im Islam benennt und verklärende Islambilder zu Recht kritisiert, weckt er bisweilen doch auch irrationale Ängste. Beispielsweise als er 2007 für den Spiegel 60 Jahre in die Zukunft blickte und das Schreckensbild eines Europa sah, in dem Muslime und Nichtmuslime sich gleichermaßen koranischen Regeln beugen müssen, weil bequeme Liberale Anfang des 21. Jahrhunderts nicht bereit waren, zu ihren europäischen Werten zu stehen.
Aus seinen Texten spricht sowohl emanzipatorische Kritik als auch ein gewisses Ressentiment. Der Unterschied zwischen Kritik und Ressentiment ist nur allgemein zu fassen: Er ist dadurch bestimmt, dass jene aus einer offenen, rationalen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, diese aus irrationalen, projektiven Bedürfnissen des Subjekts resultiert. Bestände also tatsächlich die Gefahr, dass Europa islamisiert wird, wären die Schreckensbilder eines Europas unter der Sharia eine berechtigte Warnung. Aber dem ist nicht so. Denn obgleich es Muslime gibt, die sich ein islamistisches Europa wünschen, ist dies unter europäischen Muslimen bei weitem nicht mehrheitsfähig, und nichts deutet darauf hin, dass es je so weit kommen könnte.
Doch so Unrecht Broder in vielen Punkten hat, so berechtigt ist es, ihn in Schutz zu nehmen gegen die öffentlichen Angriffe derjenigen, die seit einigen Jahren im Vorurteil gegen den Islam den neuen Antisemitismus und in Islamkritikern die neuen Nazis erblicken. Auch sie inszenieren sich oft als die einsamen Rufer im Mainstream, der auf einen »Holocaust« an den Muslimen zusteuere. Auch diese Leute fühlen sich nun endlich von der Öffentlichkeit erhört. Dies gilt besonders für Abraham Melzer, der nun seine Chance gekommen sieht, alte Rechnungen mit Broder zu begleichen. Er erklärt Broder nicht bloß zum »geistigem Brandstifter«, sondern nennt ihn in Anspielung auf den für Eichmann geprägten Begriff einen »Schreibtischtäter«.
Ähnliches gilt für die israelfeindliche ARD-Korrespondentin Bettina Marx, die auf der Website der Deutschen Welle am liebsten allen, die sich negativ über den Islam oder positiv über Israel geäußert haben, eine Mitschuld am Massaker zusprechen möchte. Oder für Helmut Schümann, der im Tagesspiegel seinen Assoziationen freien Lauf lässt und vom Massaker zügig zu den konservativen israelischen Rabbinern kommt, oder für die Vorurteilsforscherin Sabine Schiffer, die der Süddeutschen Zeitung aus Anlass des Massakers ihre Forderung mitteilte, »Meinungsfreiheit neu zu definieren«. Dieser weit über die erwartbaren Überwachungsphantasien der Innenminister hinausgehende Wunsch nach einer Einschränkung von Grundrechten ist besonders pikant, weil sich Schiffer in der Vergangenheit immer wieder dadurch hervortat, dass sie Kritik an bestimmten Strömungen des Islam gerne als Hetze abstempelte.
Gegen solche Stimmen muss eine emanzipatorische Islamkritik unbedingt verteidigt werden. All denjenigen, denen es wirklich um Aufklärung und die Freiheit des Individuums geht, sollten die Massaker von Oslo und Utøya eine Mahnung sein, dass es ein manifestes und gefährliches Ressentiment gegen den Islam gibt. Dieses darf nicht verleugnet oder bagatellisiert werden, es muss als gesellschaftliches Problem anerkannt werden, von ihm muss eine deutliche verbale und inhaltliche Abgrenzung erfolgen. Mehr noch, man sollte die Reflektiertheit besitzen, die eigenen Aussagen daraufhin zu prüfen, ob solches Ressentiment in ihnen zum Vorschein kommt oder geschürt wird.