Eine Ausstellung über Storyboards in Emden

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Storyboards sind handgezeichnete ­»optische Drehbücher«, nach deren Vorgaben Regie und Kamera arbeiten. Als ­eigenständige Kunstform wurden sie bisher nicht wahrgenommen. Gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek in Berlin präsentiert die Kunsthalle Emden die weltweit erste große Ausstellung mit Storyboards.

Werner Herzog verabscheut Storyboards und bezeichnet sie als eine »Hollywood-Krankheit«, denn als Regisseur müsse man ein »Löwenbändiger des Unerwarteten« sein. Tatsächlich steht das Storyboard als Übersetzung des Drehbuchs in eine gezeichnete Bildfolge, die sowohl die Abläufe vor der Kamera skizziert wie auch Kamerabewegungen und -einstellungen vorab festlegt, einer direkten, auf die jeweiligen Bedingungen der Drehsituation unmittelbar reagierenden Form des Arbeitens entgegen. Ein »Hilfsmittel für phantasielose Filmemacher«, wie Herzog es polemisch formuliert hat, ist das Storyboard deshalb aber noch lange nicht. Von Alfred Hitchcock ist bekannt, dass er seine Filme mit Hilfe von Storyboards so minutiös plante, dass die Dreharbeiten fast zu einer Nebensache wurden. So weichen die für »Die Vögel« (1963) gezeichneten Bildfolgen kaum von dem fertiggestellten Film ab, Kopfbewegungen und Blicke wurden ebenso vorab »entworfen« wie die Flugbewegungen der Vogel­attrappen und der sicherlich nicht leicht zu dirigierenden Dressurvögel. Die berühmte Sequenz, in der Tippi Hedren auf einer Parkbank eine Zigarette raucht, während sich hinter ihr allmählich eine unübersichtliche Schar von Krähen auf einem Klettergerüst zusammenrottet, gibt bereits im Storyboard die ganze Spannung der Szene wieder. Allerdings erschöpft sich die Qualität der von Harold Michelson mit Tusche gezeichneten Arbeiten kaum im Vergleich von Entwurf und filmischer Umsetzung. Denn Michelsons Storyboard funktioniert in seiner Dramatik fast wie eine eigenständige Serie von Zeichnungen, so dass die Aufmerksamkeit auf das Genre selbst gelenkt wird – als eine seltsame Hybridform zwischen künstlerischem Entwurf und technischer Zeichnung, ein entfernter Verwandter des Comicstrips, dessen Motor jedoch allein die Bewegung ist. Bislang gilt das Storyboard nicht als eigene Kunstform, ähnlich wie das Genre der Reportagezeichnung wird es nur als Mittel zum Zweck angesehen, als eine Vorstufe des eigentlichen Werks.
Die in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Emden entstandene Ausstellung »Zwischen Film und Kunst – Storyboards von Hitchcock bis Spielberg« hat sich nun erstmals umfassend diesem vernachlässigten Genre angenommen. Gezeigt werden Arbeiten aus den vergangenen 80 Jahren, wobei sich die Auswahl trotz aller stilistischen Vielfalt – von Arbeiten in Graphit und Tusche bis hin zu Ausführungen mit Bunt- und Filzstift, Kreide und Aquarell – auf kanonisierte Werke des westlichen Kinos beschränkt. Gezeigt werden außerdem Werke der bildenden Kunst, darunter Arbeiten von Raymond Pettibon, Tony Oursler und Georg Baselitz.
Die Gegenüberstellungen von Storyboards und Kunstwerken sind meist recht unspezifisch gefasst und zeigen vor allem, wie sich die Bildsprachen von Kunst und Film gegenseitig inspirieren. In der Kunst ist die Bezugnahme auf das Kino spätestens mit dem Aufkommen der Pop Art ein Evergreen, und mit der neuerlichen Konjunktur von Narration in der zeitgenössischen Kunst ist die Allianz von Kunst und Kino sicherlich noch einmal enger geworden. Ebenso war das Kino schon früh von der Kunst beeinflusst. Gerade im Bereich des Setdesigns lassen sich künstlerische Referenzen häufig sehr gut ablesen und auch die Storyboard-Artists bedienten sich ausgiebig an den künstlerischen Strömungen ihrer Zeit. So erinnern etwa die Kohlezeichnungen von Fritz Maurischat für Maurice Tourneurs Schwarz-Weiß-Film »Das Schiff der verlorenen Menschen« (1929) ganz explizit an expressionistische Vorlagen – etwa an die Stadtlandschaften von George Grosz oder auch an Arbeiten von Ernst Ludwig Kirchner. Und Ivor Beddoes ungewöhnlich malerisches, mitunter sogar abstrakt gehaltenes Storyboard für Michael Powells und Emeric Pressburgers Ballettfilm »Die roten Schuhe« (1948) ist unübersehbar von Kandinsky beeinflusst.
Allerdings geht es der Ausstellung nicht darum, den künstlerischen Referenzen von Storyboards nachzugehen, sondern darum, deren Verhältnis zur Kunst assoziativ zu fassen. So fallen die Zuordnungen überwiegend atmosphärisch und rein formal aus, was in einigen Fällen plausibel ist. Henri Micheaux’ tachistische Arbeit »Ohne Titel« (1959) erinnert mit ihrem eindringlichen Gewirr aus Tuscheflecken in seiner Dramatik an die Attacken im Hitchcock-Klassiker »Die Vögel«. An anderer Stelle gerät das Wechselverhältnis zwischen Kunst und Film aber auch etwas geschmäcklerisch, wie etwa die Kombination von Julian Opies »Wooden Painting« – eine Arbeit, die mit wenigen breiten Strichen auskommt – mit dem Storyboard zu Jean-Jacques Annauds Filmdrama »Der Liebhaber« (1992), das mit seinem reduzierten Schwarz-Weiß-Stil auf rein dekorativer Ebene zum Stil Opies passt. Beispiele aus der Kunst, die sich auf die ganz spezifischen bildnerischen Bedingungen des Genres Storyboard beziehen – nämlich die Simulation von Bewegung in einer sequentiellen Abfolge –, finden sich in der Ausstellung mit Ausnahme des niederländischen Malers und Zeichners Marcel van Eeden jedoch kaum.
Der Begriff Storyboard ist vermutlich eine Wortschöpfung aus den Walt-Disney-Studios, in denen die Einzelzeichnungen tatsächlich an ein »Board«, eine Korktafel, gepinnt wurden. Disney ist in der Ausstellung denn auch gleich zwei Mal vertreten, mit Storyboards für den ersten abendfüllenden Animationsfilm, »Schneewittchen und die sieben Zwerge« (1937), sowie mit Skizzen für den Film »Fantasia« (1940). Während die Zeichnungen zu »Fantasia« detailliert ausgearbeitet sind und ein räumliches Setting entwerfen, liegt der Fokus bei »Schneewittchen« allein auf den Bewegungen der Protagonisten Doc und Dopey. Paul McCarthys Zeichnungen der Serie »Spinning Dwarfs« (2009), eine eigenwillige Adaption des »Schneewittchen«-Films von Walt Disney, ist eine vieldeutige Ergänzung. McCarthy greift nicht nur das Prinzip der Bildfolge auf, auch sein energetischer Zeichenstil steht dem Duktus des Disney-Storyboards nahe, wenn er etwa mit Bewegungslinien die Drehbewegungen des Zwergs andeutet. Doch vor allem beschmutzen die »Spinning Dwarfs« die vermeintlich unschuldige Kinderwelt von Disney mit einer perversen Sexualität: McCarthys Zwerge sind im Grunde kleine, ferkelnde Sexmonster, unberechenbar und abgründig.
Aus der stilistischen Vielfalt der Storyboards ergibt sich nicht zuletzt eine schillernde Ausstellung mit Zeichnungen, denn selbst in ihrer Funktion als »Dienstleistungskünstler« verfügen viele Storyboard-Artists über eine signifikante künstlerische Handschrift. Saul Bass’ Storyboard für Stanley Kubricks »Spartacus« (1960) ist ebenso dynamisch wie André Guerins Zeichnungen für Fred Zinnemanns »Der Schakal« (1973), wobei letztgenannte mit groben Strichen gearbeitet sind und sich ganz auf die Darstellung von Geschwindigkeit beschränken. Dagegen liegt der Fokus des von Wiard Ihnen gezeichneten Storyboards für Fritz Langs »Menschenjagd« (1941) auf der von Licht- und Schattenspielen bestimmten Atmosphäre des Film Noir. Und Ivor Beddoes virtuose Zeichnungs­serie für »Star Wars. Episode IV: A New Hope« (1977) mutet mit ihren extremen Perspektiven und Verkürzungen von Figuren wiederum fast wie ein Comic an. Dass ein Storyboard ausdrucksstark sein kann, selbst wenn es etwas stümperhaft gezeichnet ist, zeigen Martin Scorseses Zeichnungen für »Taxi Driver« (1976). Auf einem Block mit vorgezeichnetem Rahmen ist die berühmte Bordellszene skizziert, die mit einem Blutbad endet. Die ganze Dramatik und Gewalt der Szene ist hier schon enthalten – mit einem überaus simplen, aber effektiven Mittel: Scorsese kritzelte auf die Bleistiftzeichnungen mit einem Filzstift einfach ein paar rote Flecken.

Zwischen Film und Kunst – Storyboards von Hitchcock bis Spielberg. Deutsche Kinemathek, Museum für Film und Fernsehen. Bis 27. November